Robert Finger & Niklas Möhring*
Mittels einer Umfrage mit 1073 ProduzentInnen untersuchen wir, was die Teilnahme an pestizidfreien Weizenanbau in der Schweiz erklärt. Ein besonderer Fokus liegt auf der Relevanz nicht-monetärer Faktoren. Wir zeigen, dass die von Landwirten erwarteten positiven Effekte durch den Verzicht auf Pflanzenschutzmittel für Mensch und insbesondere für die Umwelt zentral für ihre Entscheidung pestizidfreien Weizen anzubauen sind.
Die Reduzierung der Risiken für Mensch und Umwelt die durch den Einsatz von Pflanzenschutzmittel hervorgerufen werden sind ein zentrales Politikziel. So zielt beispielsweise die Schweiz auf eine Halbierung der Risiken bis 2027 ab, auch die Farm-To-Fork-Strategie der Europäischen Union sieht eine 50-prozentige Reduzierung des Pestizideinsatzes und der Risiken bis 2030 vor (Finger, 2021).
Um die Ziele zu erreichen, müssen Produktionsverfahren mit geringem oder gänzlich ohne Pestizideinsatz grossflächig umgesetzt werden. Für Landwirte gibt dabei jedoch grosse Hürden in der Umsetzung. Wirtschaftliche Erwägungen wie Kosten, Nutzen, erforderliche Investitionen und Produktionsrisiken nachhaltiger Schädlingsbekämpfungsmethoden sind dabei für die Entscheidungen der Landwirte von grosser Bedeutung. Diese Faktoren können aber die damit verbundenen Übernahmeentscheidungen nicht vollständig erklären. Daher ist ein tieferes Verständnis der Faktoren, die das Verhalten der Landwirte beeinflussen, von entscheidender Bedeutung für die Gestaltung von Massnahmen in Beratung, Industrie und Politik. Insbesondere nicht-monetäre und verhaltensökonomische Aspekte rücken zunehmend in den Vordergrund (Dessart et al., 2019). Diese sind besonders relevant bei der Etablierung neuartiger Produktionssysteme, über deren Funktionsweise im Vorhinein oft nur limitierte und unsichere Informationen und Erfahrungswerte bestehen (Möhring und Finger, 2022).
In einem in der Fachzeitschrift Ecological Economics erschienen Beitrag (Finger und Möhring 2022) haben wir untersucht welche Rolle die Wahrnehmung der Landwirte von negativen Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit auf ihre Entscheidung haben, an pestizidfreiem IP-SUISSE Weizenanbau in der Schweiz teilzunehmen.
Genauer gesagt konzentrieren wir uns auf einen neuen Standard für die pestizidfreie Weizenproduktion, der 2019/2020 in der Schweiz eingeführt wurde. Die pestizidfreie Produktion kann (zumindest kurzfristig) zu niedrigeren Produktionsmengen und höheren Produktionskosten (z. B. wenn die mechanische Unkrautbekämpfung den Einsatz von Herbiziden ersetzt) sowie zu grösseren Produktionsrisiken führen. Teilnehmende Landwirte werden durch eine Kombination aus staatlichen Direktzahlungen und vom Markt gezahlten Preisprämien entschädigt**. Die Migros hat sich entschieden für die Brot- und Backwarenproduktion nur noch Getreide aus diesem komplett pestizidfreien Anbau einzusetzen***. Dies bedingt die Umstellung eines grossen Teils der Schweizer Weizenproduktion auf pestizidfreie Produktion. Solch eine grossflächige Umstellung der Schweizer Weizenproduktion hätte einen relevanten Beitrag zur Erreichung der Reduktionsziele im Bereich der Risiken des Pflanzenschutzmitteleinsatzes.
Wir haben im Dezember 2019 bis Januar 2020 eine Onlineumfrage an alle IP Suisse Weizenproduzenten (N= 4749) gesendet. Produzenten gaben an, ob sie auf die neue pestizidfreie Weizenproduktion umgestellt haben, oder dies in den kommenden Jahren vorhaben. Aus den Antworten von 1073 Weizenproduzenten geht hervor, dass 14% der Landwirte das pestizidfreie Weizenanbauprogramm frühzeitig (2019/2020) eingeführt haben und weitere 44% beabsichtigen, in den folgenden Anbausaisons auf dieses Anbausystem umzustellen (siehe auch Möhring und Finger, 2022).
Abbildung 1. Effektive Teilnahmeentscheidung 2019/2020 an pestizidfreier Weizenproduktion von 1073 Produzenten

Zentral für die hier präsentierte Studie war, dass wir Landwirte gefragt haben, wie sie einschätzen dass der gänzliche Verzicht auf Pflanzenschutzmittel im pestizidfreien Weizenanbau zu i) positiven Auswirkungen auf die Umwelt und ii) positiven Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit beiträgt. Dies wurde anhand einer 5-stufigen Likert-Skala (von 1 = trifft nicht zu bis 5 = trifft voll und ganz zu) erfragt. Im Durchschnitt zeigt sich, dass die Landwirte die positiven Auswirkungen der Programme auf die Umwelt (Mittelwert=3,16, Standardabweichung=1,30) deutlich höher einschätzen als die positiven Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit (Mittelwert=2,57, Standardabweichung =1,26). Beide Wahrnehmungen sind positiv und signifikant miteinander korreliert (Korrelationskoeffizient 0,63, 95% Konfidenzintervall 0,60-0,67).
Generell stellen wir fest, dass Landwirte, die eine pestizidfreie Produktion eingeführt haben, sowohl die positiven Auswirkungen des Programms auf die Umwelt (Korrelationskoeffizient 0,27, 95 % Konfidenzintervall 0,21-0,32) als auch die Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit (Korrelationskoeffizient 0,22, 95 % Konfidenzintervall 0,17- 0,28) deutlich positiver wahrnehmen.
Wir verwenden eine Regressionsanalyse, um für viele andere Faktoren zu kontrollieren, die möglicherweise mit der Entscheidung der Landwirte für eine pestizidfreie Produktion korrelieren könnten. Das Hinzufügen von Kontrollvariablen hat keinen Einfluss auf die positiven und signifikanten Korrelationen zwischen den Wahrnehmungen der Landwirte und der Umstellung auf pestizidfreie Produktion. Wenn wir jedoch beide Variablen zur Wahrnehmung der Landwirte hinzufügen, d. h. eine für die Umwelt- und eine für die Gesundheitsauswirkungen, bleibt nur die erste signifikant. Die empirische Analyse zeigt, dass eine Erhöhung der Erwartungen der Landwirte hinsichtlich der positiven Auswirkungen des Programmes um eine Einheit mit i) einer 5-7%igen (Auswirkungen auf die Umwelt) bzw. ii) einer 2-6%igen (Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit) Erhöhung der Wahrscheinlichkeit der Programmteilnahme korreliert ist. Das bedeutet, dass (alle anderen Faktoren festgehalten), ein Landwirt mit der positivsten Wahrnehmung eine um 20-28% (Auswirkungen auf die Umwelt) bzw. 8-24% (Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit) höhere Wahrscheinlichkeit der Programmteilnahme hat gegenüber einem Landwirt mit der niedrigsten positiven Wahrnehmung der Auswirkungen des Programms (5 vs. 1 auf der 5-Punkte-Likert-Skala).
Generell bliebt die erwartete Umweltauswirkung wichtiger für die Umstellungsentscheidung, als die erwartete Verbesserung für die menschliche Gesundheit. Es gibt verschiedene mögliche Gründe dafür. Zum Beispiel ist die Verwendung von Schutzausrüstung in der Schweiz weit verbreitet und obligatorisch, was die Wahrnehmung von Risiken für die menschliche Gesundheit ebenfalls einschränken könnte. Zudem sind aktuelle gesellschaftspolitischen Debatten über Risiken des Pflanzenschutzmitteleinsatzes in der Schweizer Landwirtschaft oft auf Risiken für die Umwelt und weniger auf Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit fokussiert. Unsere Ergebnisse blieben robust, wenn wir die Variable für die Einschätzung der Risiken anders definieren, oder auch den Zusammenhang mit in Zukunft beabsichtigter (statt effektiver) Umstellung analysieren und für weitere Fehlerquellen (z.B. selection bias und sampling bias) kontrollieren.
Zusammengefasst, zeigt unsere Analyse, dass die von Landwirten erwarteten positiven Effekte für Mensch und insbesondere für die Umwelt zentral für ihre Entscheidung pestizidfreien Weizen anzubauen sind.
Dies bedeutet, dass die politischen Entscheidungsträger und die Industrie bei der Ausweitung der nachhaltigen landwirtschaftlichen Produktion auf ganzheitliche Programmkonzepte zurückgreifen müssen, die über rein monetäre Anreize hinausgehen. Die Offenlegung von Informationen über die Gefahren für die Umwelt und die menschliche Gesundheit, z. B. über den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, könnte ein Schlüssel zu einer Verhaltensänderung sein. Diese Erkenntnis ist für die Entwicklung besserer, informationsgestützter politischer Massnahmen unerlässlich. Insbesondere müssen die mit dem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln verbundenen Risiken stärker kommuniziert werden. Dies muss auch über eine binäre Logik des „was erlaubt ist, ist sicher“ hinausgehen. Die in Dänemark verwendeten Pestizid-Risikoindikatoren (siehe Möhring et al., 2021) ermöglichen beispielsweise eine einfache Kommunikation von Informationen über die ganzheitlichen Risiken von Pflanzenschutzmitteln für die Umwelt und die menschliche Gesundheit sowie deren Heterogenität über verschiedene Produkte hinweg. Unsere Ergebnisse unterstreichen auch den Bedarf an Forschung zu den Umwelt- und Gesundheitseffekten landwirtschaftlicher Praktiken und Systeme auf Betriebsebene sowie zu den Kommunikationskanälen, wobei Beratungsdienste eine wichtige Rolle spielen sollten (Wuepper et al., 2021). Experimente und Forschung in landwirtschaftlichen Betrieben könnten auch hier ein gangbarer Weg sein, zum Beispiel durch die Durchführung neuartiger sozio-ökologischer Experimente unter realen Feldbedingungen (zB Gaba und Bretagnolle, 2020) . Die Wahrnehmung der Landwirte in Bezug auf neue landwirtschaftliche Praktiken und die damit verbundenen Kosten, Vorteile und Risiken könnte sich ändern, wenn überzeugende Beweise für die Umweltauswirkungen des Programms in Form von Feldexperimenten vorgelegt werden können.
*Robert Finger ist an der ETH Zürich. Niklas Möhring ist Marie Skłodowska-Curie Fellow am Centre d’etudes biologiques de Chizé des französischen nationalen Forschungszentrums (CNRS). Kontakt: Robert Finger (rofinger@ethz.ch)
** Details bei IP Suisse siehe https://www.ipsuisse.ch/produzenten/pflanzenbau/#. Pestizidfreie Produktion ist auch für andere Getreide wie Dinkel und Roggen möglich und unterstützt.
Referenzen
Dessart, F. J., Barreiro-Hurlé, J., & van Bavel, R. (2019). Behavioural factors affecting the adoption of sustainable farming practices: a policy-oriented review. European Review of Agricultural Economics, 46(3), 417-471.
Finger, R. (2021). No pesticide free Switzerland. Nature Plants 7, 1324–1325 >> https://doi.org/10.1038/s41477-021-01009-6 (Blog : https://agrarpolitik-blog.com/2021/10/15/keine-pestizidfreie-schweiz/)
Finger, R., Möhring, N. (2022). The adoption of pesticide-free wheat production and farmers’ perceptions of its environmental and health effects . Ecological Economics. In Press https://doi.org/10.1016/j.ecolecon.2022.107463
Gaba, S., & Bretagnolle, V. (2020). Social–ecological experiments to foster agroecological transition. People and Nature, 2(2), 317-327.
Möhring, N., Kudsk, P., Nistrup, L., Ørum, J.E., Finger, R. (2021). An R package to calculate potential environmental and human health risks from pesticide applications using the ‘Pesticide Load’ indicator applied in Denmark. Computers and Electronics in Agriculture 191: 106498 https://doi.org/10.1016/j.compag.2021.106498
Möhring, N., Finger, R. (2022). Pesticide-free but not organic: adoption of a large-scale wheat production standard in Switzerland . Food Policy 106: 102188 https://doi.org/10.1016/j.foodpol.2021.102188 (open access) BLOG https://agrarpolitik-blog.com/2022/01/23/teilnahme-an-pestizidfreier-weizenproduktion-in-der-schweiz/
Wuepper, D., Roleff, N., & Finger, R. (2021). Does it matter who advises farmers? Pest management choices with public and private extension. Food Policy, 101995. https://doi.org/10.1016/j.foodpol.2020.101995
Diese Studie ist ein Beitrag zum von der Swiss National Science Foundation geförderten Projekt ‘Evidence-based Transformation in Pesticide Governance’ (Grant 193762). https://trapego.ch/de/