Kurze Lieferketten und der Anbau pilzwiderstandsfähiger Rebsorten

Robert Finger, Lucca Zachmann, Chloe McCallum*

Die Weinrebe ist wirtschaftlich und kulturell zentral für die Schweizer Landwirtschaft, aber auch die Kultur mit dem grössten Pflanzenschutzmitteleinsatz. Durch die Verwendung pilzwiderstandsfähiger Rebsorten könnte der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln bei gleichbleibender Quantität und Qualität der Produktion erheblich reduziert werden. Diese Sorten werden jedoch bis anhin nur selten verwendet. Anhand von Umfragedaten von 775 Schweizer Rebproduzentinnen/Rebproduzenten (ab jetzt ‘Produzenten’) untersuchen wir Faktoren die die Verwendung pilzwiderstandsfähiger Sorten beeinflussen und analysieren insbesondere die Bedeutung von Vermarktungswegen sowie die Rolle kurzer Lieferketten. 20,1 % der Befragten bauen pilzwiderstandsfähige Sorten an, die Anbaufläche beträgt jedoch nur 1,2 %. Unsere Ergebnisse führen zu einer einfachen Schlussfolgerung: Je näher Produzenten am Endverbraucher sind, desto eher werden pilzwiderstandsfähige Sorten verwendet. So haben zum Beispiel Erzeuger, die ihren Wein hauptsächlich über Direktvermarktung verkaufen, eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit (8-38 %), pilzwiderstandsfähige Sorten zu verwenden.

Die Verringerung des Risikos des Pflanzenschutzmitteleinsatzes für Mensch und Umwelt ist ein zentrales Ziel in Politik und Industrie. So will die Schweiz bis 2027, die Europäische Union bis 2030, Risiken des Pflanzenschutzmitteleinsatzes um 50 % reduzieren (Finger 2021). Rebbau gehört in vielen Teilen der Welt zu den Kulturen mit dem intensivsten Pflanzenschutzmitteleinsatz. Auch in der Schweiz. So werden im Weinbau ca. 1/3 aller in der Schweizer Landwirtschaft eingesetzten Pflanzenschutzmittel verwendet, wobei Fungizide den grössten Anteil ausmachen (de Baan 2020, Menge ist jedoch nicht gleich Risiko). Rebbau ist auch wirtschaftlich sehr relevant für die Schweizer Landwirtschaft: Der Bruttowert der Rebenproduktion in der Schweiz beträgt 17,3 % der gesamten pflanzlichen Produktion (FAO 2022), höher als bei jeder anderen Kulturpflanze.

Eingebettet in eine Reihe von Praktiken des integrierten Pflanzenschutzes kann die Verwendung von Sorten, die gegen Pilzbefall tolerant(er) sind (d.h. pilzwiderstandfähige Sorten wie Divico, Abbildung 1), eine erhebliche Reduzierung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes (bis zu 80 % und mehr) bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Quantität und Qualität der Produktion ermöglichen (Mailly et al. 2017; Pedneault & Provost, 2016). Die Verwendung und Verbreitung dieser Sorten sind jedoch weltweit und auch in der Schweiz noch sehr begrenzt.

Abbildung 1. Divico ist eine der bekanntesten pilzwiderstandfähigen Sorten in der Schweiz. 

In einer in der Zeitschrift ‘Applied Economics Perspectives and Policy’ (Finger et al. 2023) veröffentlichten Studie geben wir erstmals systematisch empirische Einblicke in die Determinanten und Hindernisse für den Anbau pilzwiderstandsfähiger Rebsorten auf Betriebsebene. Wir verwenden Umfragedaten, die im Zeitraum 2016-2018 erhoben wurden und 775 Schweizer Produzenten  oder ca. 28% der gesamten Rebfläche in der Schweiz repräsentieren (siehe Knapp et al. 2019). Die Umfrage deckt die wichtigsten Sprachen (d.h. Deutsch, Französisch und Italienisch) und Weinbauregionen der Schweiz ab, was uns erlaubt, verschiedene Betriebsstrukturen sowie klimatische und kulturelle Regionen zu unterscheiden. Wir untersuchen die Rolle der Vermarktungskanäle für die Akzeptanz und Anbau pilzwiderstandsfähiger Sorten. Die grossen Unterschiede in den von Betrieben genutzten Vermarkungskanälen, erlauben es uns zu analysieren, ob und in welchem Umfang kurze Lieferketten (z.B. die Direktvermarktung), den Anbau pilzwiderstandsfähiger Sorten unterstützen. Detaillierte Informationen darüber, welche Sorten die Produzenten auf welcher Anbaufläche verwenden, ermöglichen es uns zu bestimmen, ob und in welchem Umfang Betriebe pilzwiderstandsfähige Sorten anbauen. Darüber hinaus kontrollieren wir in unserer Analyse für eine grosse Anzahl Charakteristika der Betriebe und Betriebsleiter sowie für diverse Umweltbedingungen, z.B. mit lokalen Informationen über den Pilzbefalldruck, die ebenfalls potenziell die Nutzung pilzwiderstandsfähiger beeinflussen.

Abbildung 2: Räumliche Verteilung des Anbaus pilzwiderstandfähiger Sorten.

Anmerkung: Jeder Punkt steht für einen Betrieb. Die Beobachtungen wurden nach dem Zufallsprinzip innerhalb der Gemeinden platziert und stellen nicht die tatsächlichen Standorte der Betriebe dar, um die Anonymität der Umfrageteilnehmenden zu wahren.

Wir stellen fest, dass zwar 20,1 % der Befragten pilzwiderstandsfähige Sorten verwenden, die Anbaufläche mit pilzwiderstandsfähigen Sorten jedoch nur etwa 1,2 % beträgt. Abbildung 2 zeigt die räumliche Verteilung des Anbaus pilzwiderstandsfähiger Sorten in unserer Stichprobe. Es gibt zwar in allen Weinregionen der Schweiz einen Anbau von pilzwiderstandsfähigen Sorten, aber wir finden grosse regionale Unterschiede. Im Tessin (dort haben 11% der Betriebe einen Anbau pilzwiderstandsfähiger Sorten), im Wallis (13%) und in der Waadt (17%) sind die Verbreitungsraten geringer, während der Anbau pilzwiderstandsfähiger Sorten in den Regionen Trois-Lacs (22%), Genf (25%) und Deutschschweiz (29%) stärker ausgeprägt ist.

Unsere Stichprobe setzt sich zu gleichen Teilen aus Produzenten zusammen, die ihre unverarbeiteten Trauben vermarkten (d.h. keinen eigenen Wein produzieren), und solchen, die ihren eigenen Wein vermarkten. Die Direktvermarktung ist für mehr als 30 % der Produzenten der wichtigste Vertriebsweg (d.h. mehr als 50 % des Verkaufswert).

Die deskriptiven Statistiken zeigen klare Muster: Je näher die Produzenten an Konsumentinnen und Konsumenten sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie pilzwiderstandsfähige Sorten nutzen. So vermarkten Nutzer pilzwiderstandsfähiger Sorten eher ihren eigenen Wein, und nicht die unverarbeiteten Trauben. Zudem bauen Direktvermarkter wahrscheinlicher pilzwiderstandsfähige Sorten an, z.B. im Vergleich zu den Produzenten, die ihren Wein im Einzel- und Grosshandel absetzen. Darüber hinaus zeigt die deskriptive Analyse, dass Produzenten, die pilzwiderstandsfähige Sorten verwenden, tendenziell jünger und risikoliebender sind, grössere Betriebe haben und die Weinproduktion einen grösseren Anteil am Betriebseinkommen hat. Ausserdem ist der Anbau pilzwiderstandsfähiger Sorten bei Bio-Betrieben wahrscheinlicher.

Eine Regressionsanalyse, in der wir für viele weitere Faktoren kontrollieren, stützt die ersten Beobachtungen, und insbesondere die grosse Relevanz der Vermarktungskanäle. Wenn beispielsweise ein Betrieb seinen Wein hauptsächlich über die Direktvermarktung (statt im Einzel -und Grosshandel) vermarktet, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass dieser pilzwiderstandsfähige Sorten verwendet um ca. 8-38 %. In der Summe führen unsere Ergebnisse zu einer einfachen Schlussfolgerung: Je kürzer die Lieferkette und je näher der Produzent am Endverbraucher des Weins ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass dieser pilzwiderstandsfähige Sorten verwendet. Die Resultate sind robust gegenüber verschiedenen alternativen Spezifikationen und Analysen, einschliesslich der Verwendung der Anbaufläche pilzwiderstandsfähiger Sorten anstelle einer Ja/Nein Informationen zum Anbau.   

Für die Industrie und die Politik bedeutet dies, dass die Schaffung kürzerer Lieferketten, d.h. direkterer Verbindungspunkte zwischen Produzenten und Verbrauchern, den Übergang zu einer pflanzenschutzmittelreduzierten Weinproduktion erleichtern kann. Die Politik und Industrie kann dabei ein aufeinander abgestimmtes und kohärentes Massnahmenpaket entwickeln. Zum Beispiel können die Züchtung und Förderung neuer, pilzwiderstandsfähiger Sorten, durch die Unterstützung und Ermöglichung kürzerer Lieferketten, aber auch die Schaffung geeigneter Informationskanäle für Verbraucher und Erzeuger, sowie Bildung und Beratung ergänzt werden. Im Paper erörtern wir weitere Optionen, wie pilzwiderstandsfähige Sorten in die derzeitigen Weinproduktionssysteme gestärkt werden können (z.B. durch eine stärkere Berücksichtigung pilzwiderstandsfähiger Sorten mit anderen Sorten in Cuvées) und diskutieren die Rolle geografischer Ursprungsbezeichnungen (z.B. AOC) und Label. Unsere Ergebnisse verdeutlichen den möglichen Zusammenhang zwischen der Kombination kürzerer Lieferketten, der Diversifizierung landwirtschaftlicher Betriebe und dem Übergang zu nachhaltigeren landwirtschaftlichen Praktiken. Es gibt also möglicherweise „Sweet Spots“ für die Agrarpolitik.

Im Rahmen unserer laufenden Forschungsarbeiten befassen wir uns weiter mit diversen agrarökonomischen und agrarpolitischen Fragen zum Anbau pilzwiderstandsfähiger Rebsorten in der Schweiz. Zum Beispiel untersuchen wir momentan, welche Rolle Informationen über den Pflanzenschutzmitteleinsatz und dessen Risiko, sowie geografische Ursprungsbezeichnungen für die Verwendung pilzwiderstandsfähiger Rebsorten spielen. Darüber hinaus untersuchen wir, was die Absichten von Produzenten beeinflusst, pilzwiderstandsfähige Rebsorten in der Zukunft auf mehr oder weniger Fläche anzubauen. Dazu wurden im Jahr 2022 weitere Befragungen durchgeführt (https://trapego.ch/de/).

Referenzen

de Baan, Laura. “Agrarbericht 2020 – Wasser Und Landwirtschaft,” 2020. https://2020.agrarbericht.ch/de/umwelt/wasser/verkauf-und-einsatz-von-pflanzenschutzmitteln.

FAO. 2022. “FAOSTAT”. https://www.fao.org/faostat/en/#home

Finger, Robert, Zachmann, Lucca, McCallum, Chloe. 2023. Short supply chains and the adoption of fungus-resistant grapevine varieties. Applied Economic Perspectives and Policy. In Press https://doi.org/10.1002/aepp.13337 (Open Access)

Knapp, Ladina, Esther Bravin, and Robert Finger. 2019. “Data on Swiss Fruit and Wine Growers‘ Management Strategies against D. Suzukii, Risk Preference and Perception.” Data in Brief 24: 103920. https://doi.org/10.1016/j.dib.2019.103920.

Mailly, Florine, Laure Hossard, Jean-Marc Barbier, Marie Thiollet-Scholtus, and Christian Gary. 2017. “Quantifying the Impact of Crop Protection Practices on Pesticide Use in Wine-Growing Systems.” European Journal of Agronomy 84: 23–34. https://doi.org/10.1016/j.eja.2016.12.005.

Pedneault, Karine, and Caroline Provost. 2016. “Fungus Resistant Grape Varieties as a Suitable Alternative for Organic Wine Production: Benefits, Limits, and Challenges.” Scientia Horticulturae 208: 57–77. https://doi.org/10.1016/j.scienta.2016.03.016.

* Autoren: Robert Finger, Lucca Zachmann, Chloe McCallum; Agricultural Economic and Policy Group, ETH Zürich. Hauptautorenschaft ist unter allen Koautoren geteilt

Diese Arbeit wurde mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds im Rahmen des Projekts ‚Evidence-based Transformation in Pesticide Governance‘ (Grant 193762) realisiert. Die Datenerhebung wurde vom Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) über die Task Force Drosophila suzukii finanziert. Grosser Dank gilt den Produzentinnen und Produzenten, die sich an der Umfrage beteiligt haben.

4 Antworten auf „Kurze Lieferketten und der Anbau pilzwiderstandsfähiger Rebsorten

  1. Ein wichtiger Beitrag. Zur Bedeutung für die Industrie und die Politik: Die Korrelation von kürzeren Lieferketten mit einem höheren Absatz von Piwiweinen hat auch damit zu tun, dass Selbstkelterer, Direktvermarktung und Distanz zu Kundinnen und Kunden zusammenhängen. Man müsste also Piwi-Selbstkelterer förderen. Welche Instrumente wären denkbar, die ordnungs- und marktpolitisch sowie wissenschaftlich vertretbar sind?

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    1. Vielen Dank! Wir schlagen einen Mix an Massnahmen vor, um den Anbau pilzwiderstandsfähiger Sorten zu fördern. Was schon gemacht wird: Züchtung fördern und neu auch Förderbeiträge für den Anbau. Zudem sind Bildung, Beratung, Information und Kommunikation (auf allen Seiten) weitere Bereiche. Darüber hinaus sind Fragen zu Labels, AOCs (welche piwis sind da erlaubt?) und Nutzung (zB in Cuvées) wichtig und zum Teil eben auch politische Fragen. Möglichkeiten zur Förderung von kurzer Lieferketten wie Direktvermarktung, die den Anbau pilzwiderstandsfähiger Sorten unterstützen, gibt es direkt und indirekt. ZB über die SAK, Raumplanung, Beratung etc. Ein Kernpunkt unserer Schlussfolgerungen ist, dass es Sweet Spots geben kann, d.h. dass eine Kombination von politischen Massnahmen zu umweltfreundlicher, resilienterer (weniger Risiko), produktiver und einkommensfördernder Systeme führen kann. Dazu braucht es eine ganzheitliche Betrachtung und mehr Evidenz. Gruss, Robert

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      1. Vielen Dank. Die genannten Massnahmen existieren weitgehend. Die Identifikation von sweet spots wäre demzufolge möglich. Fragt sich, ob ein Winzer den sweet spot selber finden kann, oder ob die Identifikation unterstützt und begünstigt werden kann. Die Diskussion um die Eingrenzung auf die vielversprechendsten Piwis ist in vollem Gange in der Branche. Hier kann noch mit Erfahrungsaustausch betreffend Standorteignung für AOC Gebiete und Weinbereitungsfragen vermutlich einiges bewirkt werden. Ein sweet spot – Kriterienraster könnte auch helfen. Beste Grüsse, Lukas

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  2. Das sind wichtige Erkenntnisse für die Zukunft des Schweizer Weinbaus. Persönlich denke ich, dass geschützte Ursprungsbezeichnungen (welche PIWI-Sorten ausschliessen), fehlendes Wissen über neue Sorten (Vorteile / Kelterung) sowie die Angst vor einer schwierigeren Vermarktung die Hauptgründe sind, wieso gewisse Winzer zögern beim Anbau von neuen Sorten.

    Die nun laufende finanzielle Förderung wird den Prozess sicher etwas beschleunigen. Zielführend wäre aus meiner Sicht auch ein verbindlicher Reduktionsplan bei Pflanzenschutzmitteln (ähnlich wie der Green Deal in Deutschland).

    Ich habe zu diesem Thema kürzlich einen Videobeitrag auf dem Blog Weinbau der Zukunft gemacht: https://www.weinbau-der-zukunft.com/sind-piwis-die-loesung-fuer-den-green-deal/

    Freundliche Grüsse, Olivier Geissbühler

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About Robert Finger

I am professor of Agricultural Economics and Policy at ETH Zurich. Group Website: www.aecp.ethz.ch. Private Website: https://sites.google.com/view/fingerrobert/home