Extreme Hitze führt zu geringerem Insektizideinsatz

Niklas Möhring, Tobias Dalhaus, Robert Finger*

Es wird erwartet, dass mit zunehmend höheren Temperaturen der Schädlingsdruck durch den Klimawandel steigt und damit auch der Insektizideinsatz zunehmen kann. Am Beispiel der Bekämpfung des Kartoffelkäfers in der Schweiz zeigen wir, dass die gleichzeitige Zunahme von Extremwetterereignissen jedoch gegensätzliche Effekte haben kann, selbst wenn man potenzielle Anpassungsreaktionen von Landwirten berücksichtigt: Extreme heisse Tage reduzieren Schädlingspopulationen und damit auch den Insektizideinsatz deutlich. Für jeden Tag und jedes Grad, an dem die Höchsttemperaturen in der Kartoffelanbausaison 34 °C überschreiten, sinkt der Insektizideinsatz gegen Kartoffelkäfer im Mittel um 11,5%.

Die Reduktion von Risiken des Pflanzenschutzmitteleinsatzes ist ein essentielles Politikziel, auch in der Schweiz (Finger, 2021, Möhring et al., 2020). So sollen in der Schweiz bis 2027 die Risiken des Pflanzenschutzmitteleinsatzes um 50% reduziert werden (BLW 2021). Es wird jedoch erwartet, dass der Klimawandel zu mehr Pflanzenschutzeinsatz führen könnte. So zeigen Prognosen, dass der Schädlingsdruck und damit der Einsatz von Insektiziden und die damit verbundenen negativen Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit in einem sich erwärmenden Klima weiter zunehmen werden (Deutsch et al. 2018). Experimente haben jedoch auch gezeigt, dass die Zunahme von extremen Hitzeereignissen eine gegenläufige Rolle spielen könnte, da sie zu einer deutlichen Reduktion von Schädlingspopulationen führen kann (z.B. Parratt et al., 2021). Inwiefern sich dies unter realen Produktionsbedingungen auf eine Verringerung des Insektizideinsatzes überträgt, ist jedoch unklar. Einerseits können vielfältige Umweltfaktoren hier miteinander interagieren, anderseits gilt es das Verhalten und die Reaktion der Landwirte zu berücksichtigen. Extreme Hitze kann beispielsweise auch zu starken Schwankungen in den Erträgen führen und die Entscheidungen der Landwirte so auf vielfältige Weise beeinflussen. Zudem wurden solche Effekte bisher nicht quantifiziert, können also nicht in Klimamodelle und der Erstellung von zukünftigen Pflanzenschutzstrategien mit einfliessen.

In einer in der Zeitschrift Science of the total Environment (Möhring et al., 2021) erschienen Studie zeigen wir, dass der Insektizideinsatz der Landwirte unter realen Produktionsbedingungen bei extremer Hitze tatsächlich deutlich zurückgehen kann. Wir quantifizieren diesen Rückgang zudem. Am Beispiel des Kartoffelkäfers (Leptinotarsa decemlineata) in der Schweiz stellen wir fest, dass der Insektizideinsatz für jeden Tag und jedes Grad, an dem die Höchsttemperaturen in der Kartoffelanbausaison 34 °C überschreiten, um 11,5 % zurückgeht.

Wir verwenden Daten der zentralen Auswertung Agrarumweltindikatoren (de Baan et al., 2015) und nutzen über 10 Jahre reichende Daten auf Parzellenebene mit insgesamt 886 Beobachtungen auf Feldebene (von 276 Betrieben) mit Details zum Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Unsere Analyse fokussiert dabei auf nicht-biologisch produzierenden Betriebe. Aus diesen Daten identifizieren und quantifizieren wir all jene Insektizidanwendungen, die zur Bekämpfung des Kartoffelkäfers dienen. Diese Quantifizierung hat dabei mehrere Dimensionen: i) die Menge (in kg/ha), ii) die Anzahl der Überfahrten und iii) die Toxizität, die mittels des dänischen Load Indikators (Möhring et al., 2021) berechnet wird. Die Beobachtungen werden mit täglichen Witterungsinformationen verknüpft, insbesondere zur Hitzeexposition. Dabei nutzen wir Daten von MeteoSuisse. In einer ökonometrischen Analyse identifizieren wir den Zusammenhang zwischen Hitzeexposition und Insektizideinsatz. Um kausale Effekte zu identifizieren, schätzen wir ein Panelmodell mit fixen Jahres- und Betriebseffekten (Schlenker und Roberts, 2009). So kontrollieren wir für sich über die Jahre nicht ändernde Eigenschaften des jeweiligen Betriebes, wie Produktionssystem und durchschnittliche Intensität (z.B. Sortenwahl, Maschineneinsatz, Düngereinsatz), und Standortcharakeristika wie den Bodentyp. Zudem kontrollieren wir so für generelle Änderungen über die Zeit, also politische und preisliche Veränderungen.

Abbildung 1 zeigt die Kernergebnisse: Auf der X-Achse ist die empirische Schätzung des Rückgangs des Insektizideinsatzes als Reaktion auf extreme Hitze abgebildet. Ergebnisse zeigen den prozentualen Rückgang des Insektizideinsatz (gemessen in kg/ha) für jeden Tag und Grad Celsius über der jeweiligen Temperaturgrenze. Entlang der Y-Achse befinden sich Schätzungen von 6 unterschiedlichen statistischen Modellen, welche unterschiedliche Definitionen extremer Hitze nutzen (extreme heat days EHD über 33, 34, 35° C etc.). Ergebnisse zeigen den nicht-linearen Zusammenhang zwischen Temperatur und Insektizideinsatz. Es zeigt sich deutlich, dass der Insektizideinsatz signifikant geringer ist, wenn Temperaturen 34°C überschreiten.

Abbildung 1. Ergebnisse der ökonometrischen Analyse. Koeffizienten auf der X-Achse zeigen den prozentualen Rückgang des Insektizideinsatz (gemessen in kg/ha), bedingt durch einen Tag und Grad Celsius über der jeweiligen Temperaturgrenze (Y-Achse) – EHD steht dabei für extreme heat days. Der Punktschätzer ist ergänzt um eine 90% (Fett) und 95% Konfidenzintervall der Schätzung.

Wichtig ist, dass unsere Analyse das Verhalten der Landwirte unter realen Feldbedingungen berücksichtigt und die potenzielle Anpassung der Anbaumethoden an extreme Hitze berücksichtigt. Unsere Analyse ist ein Beispiel für eine integrierte Perspektive, die die Herausforderungen der Verringerung von Pestizidrisiken und der Bewältigung der Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft zusammen betrachtet. Zudem ist unsere Analyse ein Beispiel für integrierte Analysemethoden, die sowohl die biophysikalischen und ökologischen Zusammenhänge aber auch das menschliche Verhalten berücksichtigen.

In der Analyse führen wir verschiedene Robustheitsprüfungen in Bezug auf die Definition von Temperaturextremen, Indikatoren für den Pestizideinsatz und das gewählte statistische Modell durch. Wir finden immer die gleiche Schlussfolgerung: Hitze reduziert den Insektizideinsatz. Dies ist zum Beispiel auch der Fall, wenn diese in Anzahl der Überfahrten oder Toxizität ausgedrückt wird; Schätzungen sind aber nur statistisch signifikant für das Modell, welches die Menge des Insektizideinsatzes in kg/ha ausdrückt. Darüber hinaus identifizieren wir die Haupttreiber des festgestellten Effekts und finden deutliche Hinweise darauf, dass die Verringerung des Insektizideinsatzes hauptsächlich auf den hitzebedingten Rückgang des Schädlingsdrucks zurückzuführen ist und nicht auf hitzebedingte Ertragsverluste, die den Einsatz von Insektiziden weniger attraktiv machen können.

Es benötigt ähnliche Untersuchungen auch für andere Kulturen und Länder, um die sich ändernden Entscheidungen der Landwirte beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln unter den Bedingungen des Klimawandels zu bewerten und zu verstehen. Solche quantitativen Bewertungen sind auch nötig, um Politik und Forschung auszurichten und die Landwirte dabei zu unterstützen nachhaltige Pflanzenschutzstrategien unter dem Druck des Klimawandels zu finden.

*Niklas Möhring ist Fellow des Schweizer Nationalfonds am Centre d’etudes biologiques de Chizé des französischen nationalen Forschungszentrums (CNRS), Tobias Dahaus ist Assistenzprofessor in der Business Economics Group an der Universität Wageningen in den Niederlanden, Robert Finger ist an der ETH Zürich. Kontakt: Robert Finger (rofinger@ethz.ch)

Bildquelle: Picture designed by FreePik

Referenzen

Bundesamt für Landwirtschaft. Verordnungspaket Parlamentarische Initiative 19.475 ‘Das Risiko beim Einsatz von Pestiziden reduzieren’, https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/politik/agrarpolitik/agrarpakete-aktuell.html

de Baan, L., Spycher, S., & Daniel, O. (2015). Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der Schweiz von 2009 bis 2012. Agrarforschung Schweiz, 6(2), 48-55.

Deutsch, C. A., Tewksbury, J. J., Tigchelaar, M., Battisti, D. S., Merrill, S. C., Huey, R. B., & Naylor, R. L. (2018). Increase in crop losses to insect pests in a warming climate. Science, 361(6405), 916-919.

Schlenker, W., & Roberts, M. J. (2009). Nonlinear temperature effects indicate severe damages to US crop yields under climate change. Proceedings of the National Academy of sciences, 106(37), 15594-15598.

Finger, R. (2021). No pesticide free Switzerland. Nature Plants 7, 1324–1325 >> https://doi.org/10.1038/s41477-021-01009-6

Blog:  https://agrarpolitik-blog.com/2021/10/15/keine-pestizidfreie-schweiz/

Möhring, N., Ingold, K., Kudsk, P., Martin-Laurent, F., Niggli, U., Siegrist, M., Studer, B., Walter, A., Finger, R. (2020). Pathways for advancing pesticide policies. Nature Food 1, 535–540. https://doi.org/10.1038/s43016-020-00141-4

Blog: https://agrarpolitik-blog.com/2020/10/08/pfade-zu-einer-ganzheitlichen-pestizid-politik/ 

Möhring, N., Kudsk, P., Nistrup, L., Ørum, J.E., Finger, R. (2021). An R package to calculate potential environmental and human health risks from pesticide applications using the ‘Pesticide Load’ indicator applied in Denmark. Computers and Electronics in Agriculture 191: 106498 (Open Access) https://doi.org/10.1016/j.compag.2021.106498

Blog: https://agrarpolitik-blog.com/2021/11/11/potenzielle-umwelt-und-gesundheitsrisiken-des-pflanzenschutzmitteleinsatzes-transparent-berechnen/

Möhring, N., Dalhaus, T., Finger, R. (2022). Extreme heat reduces insecticide use under real field conditions. Science of the Total Environment In Press (Open Access) https://doi.org/10.1016/j.scitotenv.2021.152043

Parratt, S. R., Walsh, B. S., Metelmann, S., White, N., Manser, A., Bretman, A. J., … & Price, T. A. (2021). Temperatures that sterilize males better match global species distributions than lethal temperatures. Nature Climate Change, 11(6), 481-484.

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About Robert Finger

I am Agricultural Economist and head of the Agricultural Economics and Policy Group at ETH Zurich. Group Website: www.aecp.ethz.ch. Private Website: https://sites.google.com/view/fingerrobert/home