Gibt es einen Zusammenhang zwischen Betriebsstruktur und Umsetzung von Tierwohlmassnahmen?

Von Stefan Wimmer und Fabian Frick*

Die Forderung nach mehr Tierwohl in heimischen Ställen ist allgegenwärtig in der gesellschaftlichen und politischen Diskussion. So ist in Deutschland seit Jahren die Einführung eines staatlichen Tierwohllabels im Gespräch, um für Verbraucherinnen und Verbraucher Produkte kenntlich zu machen, welche in ihren Tierwohlstandards über die gesetzlichen Vorgaben hinaus gehen. Zudem ist kürzlich ein vom Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung („Borchert-Kommission“) herausgegebener Bericht zur Umgestaltung der Nutztierhaltung erschienen mit dem Ziel, die Nutztierhaltung den gesellschaftlichen Ansprüchen an den Tierschutz anzupassen.

Während die Zahlungsbereitschaft der Konsumentinnen und Konsumenten für Produkte mit erhöhtem Tierwohlstandard in zahlreichen wissenschaftlichen Studien untersucht wurde (siehe die beiden Metastudien von Lagerkvist und Hess, 2011, und Yang und Renwick, 2019), ist weit weniger über die ökonomischen Folgen für landwirtschaftliche Betriebe bekannt (z.B. Henningsen et al., 2020; Schreiner und Hess, 2016). Vor diesem Hintergrund untersuchten wir in einer im Journal of Agricultural and Resource Economics veröffentlichten Studie (Wimmer und Frick, 2021) die Bereitschaft deutscher Milchviehhalterinnen und Milchviehhalter, ausgewählte Massnahmen umzusetzen, die in der Öffentlichkeit mit erhöhtem Tierwohl in Verbindung gebracht werden. Dabei orientierten wir uns an Massnahmenkatalogen einschlägiger Tierwohllabels sowie an Experteninterviews. Weiterhin untersuchten wir den Zusammenhang zwischen diesen Massnahmen und Betriebscharakteristika, wie zum Beispiel Herdengrösse, Flächenausstattung oder den Anteil an Familienarbeitskräften.

Zur Datenerhebung führten wir im Jahr 2018 eine Onlinebefragung durch. Insgesamt konnten wir die Daten von 252 deutschen Milchviehbetrieben für die statistische Auswertung nutzen. Mittels Contingent Valuation und Intervallregressionen schätzten wir für jede berücksichtigte Tierwohlmassnahme den Preisaufschlag, welcher für die Betriebe zur Umsetzung notwendig ist, in Abhängigkeit einer Reihe von Betriebscharakteristika. Im Unterschied zu Choice Experimenten zeigt diese Methode auch an, welche Massnahmen ohne Preisaufschläge von den Betrieben umgesetzt werden können.

Die Ergebnisse zeigen, dass die höchsten Preisaufschläge für muttergebundene Kälberaufzucht (+10.6 Euro Cent pro Liter Milch) sowie eine Restriktion der Herdengrösse auf 60 Milchkühe (+10.8 Euro Cent) benötigt werden. Für Weidehaltung bzw. Zugang zu einem Laufhof bedarf es für die Betriebe in unserer Stichprobe einer durchschnittlichen Milchpreiserhöhung von 2.9 bzw. 1.9 Euro Cent. Einige Massnahmen werden auf den Betrieben bereits ohne Preisaufschläge umgesetzt. So sind Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter bereit, auf bis zu 2.3 Euro Cent pro Liter Milch zu verzichten, um Tiefboxen sowie ein grosszügiges Platzangebot (> 6m2 pro Kuh) zu implementieren. Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass die Betriebe ökonomischen Nutzen, sei es durch erhöhte Produktivität (sog. use values) oder auch durch ethische Aspekte (sog. non-use values), aus diesen Massnahmen ziehen (McInerney, 2004). Weiterhin geht aus der Untersuchung hervor, dass Betriebe mit einer geringeren Herdengrösse, einer höheren Flächenausstattung sowie einem höheren Grünlandanteil geringere Preisaufschläge für Weidehaltung fordern, und dass grössere Betriebe weniger bereit sind, auf Enthornung zu verzichten. Der Grossteil der betrachteten Massnahmen ist jedoch unabhängig von Betriebsstrukturen. Damit bestätigt unsere Analyse die Ergebnisse früherer, insbesondere veterinärmedizinischer Studien, dass die Betriebsgrösse und andere strukturelle Merkmale keine entscheidenden Einflussfaktoren für die Bereitstellung erhöhter Tierwohlstandards sind (z.B. Robbins and von Keyserlingk, 2016).

Aus unserer Untersuchung gehen zwei wichtige Politikimplikationen hervor. Erstens ist es diesen Ergebnissen nach nicht zielführend, die Diskussion um das Tierwohl auf bestimmte Betriebsstrukturen einzugrenzen. Insbesondere konnten wir zeigen, dass die öffentliche Wahrnehmung eines Konfliktes zwischen wachsenden Betrieben und Tierwohl nicht zutreffend ist, sodass Tierwohl unabhängig von der Betriebsgrösse gefördert werden sollte. Zweitens zeigen unsere Ergebnisse eine klare Bereitschaft der Landwirtinnen und Landwirte, Tierwohlmassnahmen umzusetzen. Die benötigte Kompensation ist sowohl von der Umsetzbarkeit und den damit verbundenen Kosten als auch von der empfundenen Wertighaftigkeit für das Tierwohl abhängig und variiert daher stark zwischen den einzelnen Massnahmen. Hier können die Produzenten- und Konsumentenbedürfnisse durch verständliche und vertrauensvolle Labels aufeinander abgestimmt werden. In diesem Zusammenhang ist allerdings zu beachten, dass die gesellschaftlichen Forderungen an die Landwirtschaft – auch aus rationalen Gründen – nicht immer dem gezeigten Konsumverhalten entspricht (siehe dazu jenen Blogeintrag: Warum wir anders Einkaufen als wir Wählen – Agrarpolitik (agrarpolitik-blog.com).

Abschliessend ist zu betonen, dass es nicht Ziel unserer Studie war, die ausgewählten Kriterien hinsichtlich ihrer Werthaftigkeit für Tierwohl zu überprüfen. So kann zum Beispiel die muttergebundene Kälberaufzucht zu zusätzlichem Stress bei der späteren Trennung von Kuh und Kalb führen. Zur umfassenden ökonomischen Bewertung von Tierwohl empfehlen wir daher eine verstärkte interdisziplinäre Zusammenarbeit der Tierwissenschaften und Ökonomie.

Referenzen

Henningsen, A., T.G. Czekaj, B. Forkman, M. Lund, and A.S. Nielsen. 2018. “The Relationship Between Animal Welfare and Economic Performance at Farm Level: A Quantitative Study of Danish Pig Producers.” Journal of Agricultural Economics 69 (1): 142–162.

Lagerkvist, C.J., and S. Hess. 2011. “A Meta-Analysis of Consumer Willingness to Pay for Farm Animal Welfare.” Journal of Economic Surveys 38 (1): 55–78.

McInerney, J. 2004. Animal Welfare, Economics and Policy. Department for Environment, Food & Rural Affairs, Government of the United Kingdom. Technical Report. Available online at https://webarchive.nationalarchives.gov.uk/20110318142209/http://www.defra.gov.uk/evidence/economics/foodfarm/reports/documents/animalwelfare.pdf. [Accessed Sept. 20, 2021].

Robbins, J.A., M.A.G. von Keyserlingk, D. Fraser, and D.M. Weary. 2016. “Invited Review: Farm Size and Animal Welfare.” Journal of Animal Science 94 (12): 5439–5455.

Schreiner, J.A., and S. Hess. 2017. “The Role of Non-Use Values in Dairy Farmers’ Willingness to Accept a Farm Animal Welfare Programme.” Journal of Agricultural Economics 68 (2): 553–578.

Wimmer, S. and Frick, F. (2021). How Do Animal Welfare Practices Relate to Farm Characteristics? Evidence from German Dairy Farms. Journal of Agricultural and Resource Economics (in press). https://jareonline.org/preprint-online/ (dirketer Link zum pdf: https://ageconsearch.umn.edu/record/311031/files/Wimmer_preprint.pdf) (open access)

Yang, W., and A. Renwick. 2019. “Consumer Willingness to Pay Price Premiums for Credence Attributes of Livestock Products – a Meta‐Analysis.” Journal of Agricultural Economics 70 (3): 618–639.

* Stefan Wimmer ist an der ETH Zürich, Fabian Frick an der TU München

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About Robert Finger

I am Agricultural Economist and head of the Agricultural Economics and Policy Group at ETH Zurich. Group Website: www.aecp.ethz.ch. Private Website: https://sites.google.com/view/fingerrobert/home