Warum wir anders Einkaufen als wir Wählen

Robert Finger & Bartosz Bartkowski.

Der Anteil von Bioprodukten im Lebensmittelmarkt der Schweiz ist geringer als 10%. Jedoch ist ein weit grösserer Teil der Bevölkerung gewillt aktuelle Volksinitiativen zu unterstützen, die den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln drastisch reduzieren, gänzlich zu verbieten oder Haltungssysteme einschränken wollen (1). Es besteht eine Diskrepanz zwischen Forderungen an die Landwirtschaft und dem typischen Konsumverhalten. Es wird viel gefordert, aber die damit einhergehenden höheren Lebensmittelpreise scheinen nicht viele zu akzeptieren.

Die Schweiz ist dabei kein Sonderfall. So waren zum Beispiel in Kalifornien 2008 63% der Wähler gewillt ein Verbot von Legebatterien zu unterstützen, obwohl weniger als 10% der dort gekauften Eier aus käfigfreier Haltung stammten (2).

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Abbildung 1. Es besteht eine Diskrepanz zwischen Wahl- und Konsumverhalten. Bild: lid.

Dass Menschen sich an der Ladentheke anders verhalten als „an der Urne“ ist nicht zwingend völlig irrational. Die ökonomische Literatur stellt insbesondere folgende Hypothesen in den Vordergrund (siehe auch 2,3 für mehr Details).

Informationshypothese: Konsument*innen ist gar nicht bewusst/bekannt, mit welchen Umwelt- und Tierwohlkonsequenzen die Produktion der von ihnen gekauften Produkte einhergehen. Was hinter einem Label steht und was das für die Umwelt und das Tierwohl genau bedeutet, ist oft schlicht unklar.

Öffentliches-Gut-Hypothese: Menschen gehen davon aus, dass ihre individuelle Kaufentscheidung einen vernachlässigbaren Effekt auf Umwelt- und Tierschutz hat, während ihre politische Entscheidung mehr Gewicht hat.

Exit–Voice-Hypothese. Neben dem Nicht-Kaufen von Produkten (exit), nutzen Konsument*innen eine weitere Option, nämlich sich zu äussern (voice). Letzteres hat den grossen Vorteil, dass der Empfänger (Produzent) ein klares Signal bekommt, was der Grund für die Unzufriedenheit ist. Sonst läuft man als Konsumentin die Gefahr, ein falsches Signal zu senden – wenn ich bspw. mit der exzessiven Plastikverpackung der Bio-Produkte unzufrieden bin und diese Produkte deswegen aufhöre zu kaufen, würde dies vermutlich als sinkende Nachfrage nach Bio-Produkten interpretiert – nicht als Unzufriedenheit mit Plastikverpackungen.

Konsumentin-vs-Bürgerin-Hypothese: Menschen handeln in ihrer Rolle als Konsument*innen anders denn als Bürger*innen; als Konsument*innen folgen sie ihrem Eigennutzen, als Bürger*innen dem Gemeinwohl.

Apathiehypothese: Konsument*innen denken gar nicht an Umweltschutz oder Tierwohl, wenn sie einkaufen; die Reflexion über diese Themen wird erst durch direkte Konfrontation (z.B.  eine Volksinitiative) ausgelöst.

Induzierte-Innovations-Hypothese: Menschen sind nicht bereit, höhere Preise für umweltfreundliche und Tierwohl fördernde Produkte zu zahlen, hoffen aber, dass Verbote/Richtlinien die Produzent*innen dazu zwingen würden, dank Innovationen niedrigere Preise für solche Produkte anzubieten.

Verfügbarkeitshypothese: umweltfreundliche und Tierwohl fördernde Produkte sind in den Läden, in denen viele Menschen im Alltag einkaufen, nicht verfügbar.

Preishypothese: umweltfreundliche und Tierwohl fördernde Produkte sind oft (signifikant) teurer – wenn man gerade vor dem Regal im Supermarkt steht, ist dies kurzfristig ein wesentlich stärkeres Kriterium als wenn man wählt oder eine Initiative unterzeichnet.

Es gibt wenige Versuche, diese Hypothesen empirisch zu überprüfen (siehe z.B. 2, 4, und 5), und das genaue Identifizieren des Mechanismus bleibt schwierig. Dass wir anders Einkaufen als wir Wählen ist jedoch ein Faktum.

Es würde aktuellen Debatten sehr gut tun, die Lücke zwischen Wahl- und Konsumverhalten nicht als völlig irrational und fragwürdig abzutun. Wir sollten die Meinung der Menschen als Konsument*innen und als Wähler*innen sehr ernst nehmen, um unsere Agrar- und Lebensmittelsysteme weiterzuentwickeln.

Referenzen

(1)    Volksinitiativen sind Barometer der gesellschaftlichen Ansprüche an die Landwirtschaft. https://agrarpolitik-blog.com/2019/01/15/volksinitiativen-sind-barometer-der-gesellschaftlichen-ansprueche-an-die-landwirtschaft/

(2)    Why don’t people vote like they shop? https://jaysonlusk.com/blog/2015/3/12/why-dont-people-vote-like-they-shop

(3)   Verhalten an der Ladentheke vs. Verhalten an der Urne. https://bartoszbartk.com/2019/11/16/verhalten-an-der-ladentheke-vs-verhalten-an-der-urne/

(4) Why don’t we vote like we shop? https://jaysonlusk.com/blog/2019/2/18/why-dont-we-vote-like-we-shop

(5) Paul, A. S., Lusk, J. L., Norwood, F. B., & Tonsor, G. T. (2019). An experiment on the vote-buy gap with application to cage-free eggs. Journal of Behavioral and Experimental Economics, 79, 102-109.

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About Robert Finger

I am professor of Agricultural Economics and Policy at ETH Zurich. Group Website: www.aecp.ethz.ch. Private Website: https://sites.google.com/view/fingerrobert/home