Yanbing Wang, Niklas Möhring, Robert Finger*
Wir untersuchen die räumliche Dimension der Umstellung zu pestizidfreien Weizenanbausystemen. Landwirte, deren Nachbarn auf pestizidfreien Weizenanbau umgestellt haben, stellen mit bis zu 18 Prozentpunkten höherer Wahrscheinlichkeit ebenfalls um, insbesondere, wenn Landwirte offen für den Austausch mit anderen sind. Eingesetzte Anreize (z.B. Direktzahlungen und Preiszuschläge) sind effizienter eingesetzt, wenn sie mit gezielter Investition in Netzwerke und lokalen Austausch kombiniert werden.
Die Verringerung negativer Auswirkungen der landwirtschaftlichen Produktion auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit ist eine grosse Herausforderung für den Agrarsektor. Die Schweiz und andere europäische Länder haben sich kürzlich ehrgeizige Ziele für die Reduzierung von Risiken durch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln gesetzt (Finger 2021). Die Einführung nachhaltiger Pflanzenschutzstrategien steht im Mittelpunkt dieser Herausforderung. Essenziell ist dabei, dass neue Produktionsmethoden auch wirklich bei Landwirten ankommen und von diesen angenommen werden. Das Verständnis der Faktoren, die zu den Entscheidungen der Landwirte führen, ist daher von zentraler Bedeutung für eine Verbreitung nachhaltiger landwirtschaftlicher Systeme in grossem Massstab.
In einem kürzlich in der Fachzeitschrift Agricultural Economics veröffentlichten Studie (Wang et al., 2023) untersuchen wir die räumliche Dimension des Wechsels zu pestizidfreien Weizenproduktionssystemen in der Schweiz. Dieses neuartige Produktionssystem birgt ein hohes Potenzial für eine grossflächige Reduzierung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes (Finger & Möhring, 2022). Pestizidfreie Weizenproduktion wurde 2019/2020 von IP Suisse eingeführt. Produzenten kombinieren dabei die Teilnahme im Extenso Programm (Verzicht auf Pflanzenschutzmittel, ausser auf Herbizide) mit einem zusätzlichen Programm für Herbizidverzicht. Teilnehmende Landwirte werden durch eine Kombination aus Direktzahlungen und vom Markt gezahlten Preisprämien entschädigt (siehe Möhring und Finger, 2021, Finger und Möhring 2022). Die Bedeutung solcher pestizidfreien (aber nicht biologischer Landwirtschaft zugehörenden) Produktionssysteme ist in Europa von zunehmender Relevanz, auch über die Schweiz hinaus (z.B. Jacquet et al., 2022). Gleichzeitig bergen solch neue, pestizidfreie Anbausysteme grosses Umstellungshürden, zum Beispiel steigende Kosten und grosse Unsicherheit für Landwirte, z.B. bezüglich Produktion, Investitionen, Institutionen und Vermarktung. Unsere Hypothese ist, dass Netzwerke von Landwirten, insbesondere der Informationsaustausch mit Gleichgesinnten, besonders wirksam zur Verringerung der Unsicherheit und zur leichteren Einführung neuer, pestizidfreier Produktionssysteme ist (z. B. Conley & Udry, 2010).
Unsere Analysen beruhen auf den Umfragedaten von Möhring & Finger (2022) mit 1.029 Weizenproduzenten der IP Suisse. Die Daten wurden in einer Umfrage im Dezember 2019 bis Januar 2020 erhoben, in denen Landwirte unter anderem angaben, ob sie auf pestizidfreie Weizenproduktion umgestellt haben, oder dies in den kommenden Jahren vorhaben. Wir untersuchen, ob und in welchem Umfang die Entscheidungen benachbarter Landwirte für den Wechsel zu pestizidfreien Weizenproduktionssystemen relevant sind, und inwiefern Merkmale benachbarter Betriebe, z.B. bzgl. Erfahrungen, Einstellungen oder vorhandene Maschinen, die Entscheidungen teilzunehmen beeinflussen.
In unserer Analyse wenden wir einen neuartigen Ansatz an, um soziale Interaktionen zwischen Landwirten zu definieren. Ein Aspekt ist räumliche Nähe zwischen den Teilnehmern der Umfrage, d.h. benachbarte Landwirte werden als Teil eines Peer-Netzwerks betrachtet. Dies kombinieren wir mit der Offenheit von Landwirten ihre Peers zu konsultieren, wenn es um landwirtschaftliche Entscheidungen geht. Wir nutzen die Antworten der Landwirte auf die Aussage: „Bei wichtigen landwirtschaftlichen Entscheidungen konsultiere ich oft meine Nachbarn/Kollegen“, gemessen auf einer Skala von 1 (trifft nicht zu) bis 5 (trifft vollkommen zu). Die Idee ist, dass die Stärke der sozialen Bindungen, zusätzlich zu der räumlichen Nähe, beeinflusst, wie soziale Interaktionen das individuelle Verhalten formen (Videras et al., 2012). Anhand der Informationen über die sozialen Beziehungen zwischen den Landwirten können wir daher beurteilen, inwieweit Nachbarschaftseffekte auf einem effektiven Informationsaustausch innerhalb der der Landwirte und ihrer Nachbarn beruhen.
Unsere Ergebnisse zeigen positive und ökonomisch relevante Nachbarschaftseffekte bei der Entscheidung zu pestizidfreien Weizenproduktionssystemen zu wechseln. Wir finden, dass diese Effekte nicht nur über das direkte Beispiel der Umstellung entstehen (stellt ein Nachbar um, steigt meine Wahrscheinlichkeit dies auch zu tun), sondern auch über andere Eigenschaften der (Nachbar-) Landwirte. Zum Beispiel bezüglich der Risikobereitschaft der Landwirte (je risikoaverser der Nachbarn, je unwahrscheinlicher stellen Landwirte auf pestizidfreie Produktion um), aber auch bezüglich der bereits vorhandenen Erfahrungen mit herbizidfreier Produktion (je mehr Nachbarn Erfahrungen haben, je wahrscheinlicher stellen Landwirte auf pestizidfreie Produktion um). Wir finden diese Nachbarschaftseffekte sowohl für die tatsächlich in 2019/2020 beobachteten Umstellung als auch für die von Landwirten geplante (zukünftige) Umstellung.
In einer Simulationsanalyse quantifizieren wir die Relevanz dieser Nachbarschaftseffekte: durch die gezielte Ansprache bestimmter Landwirte mit grosser Hebelwirkung, könnte die Umstellungsrate bei sonst gleichen Rahmenbedingungen (z.B. Direktzahlungen, Preisaufschlägen) um bis zu 18 Prozentpunkte erhöht werden.

Abbildung 1. Entscheidung der Landwirte über die Einführung des Programms und Tendenz, Gleichgesinnte bei landwirtschaftlichen Entscheidungen zu konsultieren. 57.1% der befragten Landwirte gaben an, dass sie das Programm in der Saison 2019/20 anwenden werden (13,4 %) oder dies beabsichtigen (43,7 %). Die Tendenz der Landwirte, Gleichgesinnte bei landwirtschaftlichen Entscheidungen zu konsultieren, ist sehr heterogen, weist jedoch kein klares räumliches Muster auf.
Unsere Ergebnisse können dazu beitragen, landwirtschaftliche Innovationen zu nachhaltigeren Anbaumethoden effektiver und effizienter zu realisieren. Netzwerke unter Landwirten sind zentral. Wenn die Landwirte, die sich stark mit anderen austauschen, Erfahrungen mit pestizidfreien Anbaumethoden sammeln, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass auch deren Nachbarn sie übernehmen. Insbesondere die Konsultation von Landwirten, die sich stark mit anderen austauschen und bereits Erfahrungen mit Innovationen gesammelt haben, können die Umsetzung innovativer Praktiken in grossem Massstab unterstützen. Unsere Ergebnisse haben daher klare Implikationen für die Agrarpolitik. Eingesetzte Mittel (für Direktzahlungen und Preiszuschläge) sind effektiver und effizienter eingesetzt, wenn sie mit Investition in Netzwerke und Austausch kombiniert werden. Auch der Aufbau neuer und stärkerer Verbindungen und Netzwerke (auch mittels neuer, digitaler Kanäle), sowie die Förderung des Wissensaustauschs als Ergänzung anderer politischer Massnahmen können von grossem Nutzen sein.
Referenzen
Conley, T. G., & Udry, C. R. (2010). Learning about a New Technology: Pineapple in Ghana. American Economic Review, 100(1), 35–69.
Finger, R., & Möhring, N. (2022). The adoption of pesticide-free wheat production and farmers’ perceptions of its environmental and health effects. Ecological Economics, 198. https://doi.org/10.1016/j.ecolecon.2022.107463,
Jacquet, F., et al. (2022). Pesticide‑free agriculture as a new paradigm for research. Agronomy for Sustainable Development, 1–24. https://doi.org/10.1007/s13593-021-00742-8
Möhring, N., & Finger, R. (2022). Pesticide-free but not organic: Adoption of a large-scale wheat production standard in Switzerland. Food Policy, 106. https://doi.org/10.1016/j.foodpol.2021.102188
Videras, J., Owen, A. L., Conover, E., & Wu, S. (2012). The influence of social relationships on pro-environment behaviors. Journal of Environmental Economics and Management, 63(1), 35–50. https://doi.org/10.1016/j.jeem.2011.07.006
Wang, Y., Möhring, N, & Finger, R. (2023). When my neighbors matter: spillover effects in the adoption of large-scale pesticide-free wheat production. Agricultural Economics https://doi.org/10.1111/agec.12766
*Authors: Yanbing Wang (Agroscope), Niklas Möhring (Wageningen University), Robert Finger (ETH Zürich). Kontakt: Robert Finger (rofinger@ethz.ch)