Jorge Sellare, Jan Börner, Fritz Brugger, Rachael Garrett, Isabel Günther, Eva-Marie Meemken, Edoardo Maria Pelli, Linda Steinhübel & David Wuepper*

Konvertierung von Wald zu landwirtschaftlichen Flächen auf Borneo, Indonesien. Quelle: Jami Tarris/Minden Pictures/ Science
Im Februar 2022 hat die Europäische Kommission Unternehmensregeln für die Achtung von Menschenrechten und der Umwelt in globalen Wertschöpfungsketten beschlossen. Das heisst, dass bald Firmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden Umwelt-und soziale Schäden in ihren Wertschöpfungsketten identifizieren, reduzieren und verhindern müssen. Wenn diese unternehmerische Sorgfaltspflicht (corporate due diligence) nicht erfüllt wird, drohen Strafen und theoretisch auch Anklagen. Andere Länder und Organisationen wie z.B. die OECD diskutieren ähnliche Schritte, und viele europäische Länder haben schon in den letzten Jahren Lieferkettengesetze diskutiert oder verabschiedet. All dies ist eine Reaktion auf die vielfältigen und schwerwiegenden sozialen und Umwelt-Probleme im außer-Europäischen Ausland, die mit der Produktion europäischer Importe verknüpft sind. Beispiele sind die steigenden Importe und Produktion von Soja und Palmöl, für die grosse Flächen tropischen Regenwaldes vernichtet werden, um die landwirtschaftliche Flächen für die Produktion dieser Produkte zu vergrößern. Ein anderes Beispiel ist die Kinderarbeit, die nach wie vor oft in Schokolade steckt. Am 30. Juni 2022 haben wir in der Zeitschrift Nature eine Liste von sechs Forschungsprioritäten veröffentlicht, die zu verbesserten Politikempfehlungen beitragen können und die wir im Folgenden zusammenfassen.
1. Effekte messen
Es ist wichtig für die Entwicklung politische Maßnahmen, Effekte möglichst gut antizipieren zu können. Zudem muss gemessen werden, wie erfolgreich Maßnahmen, wie die Richtlinie der Europäischen Kommission über die Nachhaltigkeitspflichten und ähnliche Vorhaben dann umgesetzt werden. Momentan fehlt es aber an Daten und Modellen, die sowohl global wie auch regional verlässlich vorhersagen können, welche Effekte und Interaktionen von Lieferkettengesetzen zu erwarten sind. Mehr Forschung und mehr Gelder für innovative Forschungsvorhaben sind also notwendig, vor, während und nach der Umsetzung.
2. Verbesserung der theoretischen Basis
Komplementär zu empirischer Forschung ist es ebenso wichtig, gute Theorien zu entwickeln, die diese Studien leiten können. Ohne Hypothesen ist es unwahrscheinlich, relevante wissenschaftliche Ergebnisse zu erhalten. Dies ist ein verknüpfter Prozess, in dem neue empirische Erkenntnisse Theorien verbessern und aktualisieren—und diese Theorien wiederum neue testbare Hypothesen produzieren.
3. Messung und Kontrolle von Umsetzung
Ein genereller Kritikpunkt in Bezug auf Lieferketteninitiativen ist, dass ist nicht verlässlich ist, wenn Unternehmen sich selbst kontrollieren. Stattdessen, sollte die Politik alle technologischen Möglichkeiten auszunutzen, um zu verifizieren, inwieweit Pläne und Vorgaben auch von Unternehmen umgesetzt werden—und inwieweit gesellschaftliche Ziele tatsächlich auch erreicht werden. Dabei können Innovationen wie immer besser werdende Satellitentechnologie, Machine Learning und Blockchain genutzt werden.
4. Die Interaktion von verschiedenen Politkmaßnahmen und ihren Kontext verstehen
Die globale Wirtschaft ist sehr flexibel, und es gibt viele Synergien und Trade-Offs. Zum Beispiel treffen Vorgaben von importierenden Ländern und Regionen (die z.B. der EU) auf nationale Gesetze, Normen und Interessenverbänden in den produzierenden Ländern. Das kann dazu führen, dass Vorgaben nicht oder nur teilweise umgesetzt werden; oder dass es zu unerwarteten oder neuen Problemen führt. Es ist wichtig, zu analysieren, wie direkte und indirekte Politik-Effekte durch die globale Wirtschaft diffundieren,um Fortschritte zu erzielen und richtig einschätzen zu können.
5. Mechanismen verstehen und lenken
Oft gibt es verschiedene Wege, Zielvorgaben zu erreichen (z.B. Strafen oder Anreize), und meist braucht es eine Kombination an Politkinstrumenten, um spezifische Ziele zu erreichen. Also müssen wir besser verstehen, wie Maßnahmen wirken. Um Kinderarbeit auszuschliessen könnten europäische Firmen zum Beispiel kleinbäuerliche Kakaobetriebe aus ihren Lieferketten ausschließen, wenn es schwerer ist, diese zu kontrollieren. Das würde aber das eigentliche Problem nicht verbessern oder sogar verschlimmern, denn diese Haushalte hätten wahrscheinlich kein Einkommen mehr und ihre Kinder hätten noch geringere Chancen auf eine Schulausbildung. Somit ist es vorzuziehen, die kleinbäuerliche Betriebe weiterhin einzubinden, und z.B. könnten Unternehmen bessere Monitoringsysteme entwickeln (siehe #3), höhere Preise für Produzierende zahlen, die ihre Kinder in die Schule schicken und Schulen ko-finanzieren.
6. Grundursachen sozialer und Umwelt-Probleme verstehen und bekämpfen
Es ist wichtig, die Grenzen der Regulierung von europäischen Unternehmen anzuerkennen. Viele Probleme erfordern eine Kombination weitreichender und komplementären Politiken, und eine wichtige Rolle spielen dabei die nationalen und regionalen Politiken in den produzierenden Ländern und Regionen selbst. Es ist aber zweifelslos notwendig, Unternehmen in die Verantwortung zu nehmen und auch die gesellschaftlich Diskussion voranzutreiben, wenn Konsum in reichen Ländern Probleme in ärmeren Ländern verstärkt.
Referenzen
*Sellare, Jorge (University of Bonn, Germany), Jan Börner (University of Bonn, Germany), Fritz Brugger (Nadel Center for Development and Cooperation, ETH Zürich, Switzerland), Rachael Garrett (Environmental Policy Group at ETH Zürich), Isabel Günther (Development Economics Group, ETH Zürich), Eva-Marie Meemken (Food Systems Economics and Policy Group, ETH Zürich), Edoardo Maria Pelli (Technical University of Munich, Germany), Linda Steinhübel (University of Göttingen, Germany) & David Wuepper (Agricultural Economics and Policy Group, ETH Zürich).
Kontakt: David Wuepper (dwuepper@ethz.ch) & Eva-Marie Meemken (evamarie.meemken@usys.ethz.ch)