Welcher Anteil unserer Nahrungsmittelausgaben landet noch bei landwirtschaftlichen Betrieben?

Von Eva-Marie Meemken*

Nachhaltigkeit entlang globaler und lokaler Wertschöpfungsketten hat erneut politisches und öffentliches Interesse geweckt, wie verschiedene europäische Lieferketteninitiativen verdeutlichen1,2. Die Agrar- und Ernährungswirtschaft steht dabei oft im Fokus. Zurecht—denn sie trägt entscheidend zu vielen sozialen und ökologischen Problemen bei. Gleichzeitig sichern diese Sektoren nicht nur unsere Ernährung, sondern auch Beschäftigung und Einkommen für einen großen Anteil der Weltbevölkerung. Viele öffentliche und wissenschaftliche Diskussionen konzentrieren sich allerdings vor allem auf die Probleme und Chancen, die während des landwirtschaftlichen Produktionsprozesses entstehen. Und Sektoren in dem der landwirtschaftlichen Produktion vorgelagerten Bereichen (wie die Herstellung von Produktionsmitteln) und nachgelagerten Bereichen (wie Weiterverarbeitung von landwirtschaftlichen Rohprodukten, Transport, Vermarktung und Gastronomie) werden oft zu wenig in den Fokus gerückt.

In einer kürzlich in Nature Food veröffentlichten Studie3 unterstreichen wir diesen oft vernachlässigten Punkt. Anlehnend an den Food Dollar4,5, der für die USA regelmäßig berechnet wird, berechnen wir den Global Food Dollar. Mit der Methode lässt sich aufzeigen, wie viel Cent ein Hof durchschnittlich von jedem Dollar (oder Euro oder Schweizer Franken) erhält, den Konsumierende für Nahrungsmittel ausgeben. Gleichzeitig lässt sich auch die zunehmende Bedeutung nachgelagerter Bereiche verdeutlichen. Wir nutzen dafür Paneldaten aus 61 Ländern, die zusammen ca. 90% der Weltwirtschaft ausmachen.

Höfe erhalten im globalen Durchschnitt 27% dessen, was die Bevölkerung für Nahrungsmittel ausgibt, die zu Hause verzehrt oder verarbeitet werden (also z.B. in Supermärkten gekauft werden). Dabei gibt es regionale Unterschiede und Veränderungen über die Zeit, sodass die Werte zwischen 16-38% variieren. Generell zeigt sich, mit steigendem nationalem Einkommen sinken die Hofanteile. Zudem sinkt dieser Wert über die Zeit (Abbildung 1 und 2). Dass Höfe nur 27 Cent jedes Food Dollars erhalten, ist auf die Wertschöpfung im nachgelagerten Bereich zurückzuführen (beispielsweise Weizen, der erst zu Mehl und dann zu Tiefkühlpizza verarbeitet und dann von Supermärkten verkauft wird). Je stärker verarbeitet Produkte sind, desto geringer wird auch der Hofanteil. Daher gibt es erhebliche Unterschiede zwischen Produktkategorien, wie Studien für Nordamerika zeigen6. Beispielsweise ist der Hofanteil für Eier, Milch und Gemüse höher und für Brot und andere Mehlprodukte geringer. Ein tiefer/geringer werdender Hofanteil heißt also nicht zwingend, dass dies das landwirtschaftliche Einkommen reduziert. So kann dies z.B., auf eine effizientere Landwirtschaft zurückzuführen sein—oder auf einen stärkeren Anstieg von Produktionskosten in nachgelagerten Bereichen als in der Landwirtschaft. Allerdings können auch Faktoren wie beispielsweise Marktmacht sowohl den Hofanteil als auch das landwirtschaftliche Einkommen reduzieren.

Abbildung 1: Hofanteil an Nahrungsmittelausgaben (zu Hause verzehrt oder verarbeitet) in ausgewählten Ländern. Die Werte wurden anhand von Regressionsmodellen berechnet und sind Prognosen für den Zeitraum 2018-2030. Details zu Daten und Berechnung sind im Originalartikel 3 zu finden.

Abbildung 2: Hofanteil an Nahrungsmittelausgaben in den USA. Die Berechnung des US Food Dollars wurde Anfang der 90er Jahre überarbeitet. Details zu den Berechnungsmethoden und Daten sind im Originalartikel 3 zu finden.

Der Hofanteil ist deutlich geringer (7%), wenn wir Nahrungsmittelkonsum außer Haus betrachten, was auf die noch höhere Wertschöpfung in diesen Bereichen zurückzuführen ist. Die Variation ist auch hier groß. In der Schweiz, zum Beispiel, beträgt er rund 3.5% (2015) dessen, was beispielsweise in Restaurants und Hotels konsumiert wird.

Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse also, dass der Hofanteil derzeit bei 27% liegt und über die Zeit und mit steigendem nationalem Einkommen abnimmt, was reflektiert, dass sich globale Ernährungsmuster verändern7,8. Ein zunehmender Anteil der global konsumierten Nahrungsmittel wird in verarbeiteter Form gekauft (bei diesen Produkten ist der Hofanteil geringer als bei unverarbeiteten Produkten) und wird nicht zu Hause konsumiert (bei diesen Produkten ist der Hofanteil besonders gering). Zusammengenommen tragen diese Konsummuster also zu einem sich stetig verringernden Hofanteil bei. Gleichzeitig heißt dies auch, dass die Wertschöpfung in nachgelagerten Bereichen bedeutend zunimmt—und damit auch deren Bedeutung für Beschäftigung, Bruttoinlandsprodukt und viele ökologische und soziale Probleme. Nachhaltigkeitsziele, wie von den Vereinten Nationen verabschiedet, können nur erreicht werden, wenn wir die Agrar- und Ernährungswirtschaft insgesamt betrachten. Hier gibt es erstaunlich viel Aufholbedarf was Forschung und öffentliche Debatten angeht.

*Eva-Marie Meemken ist Assistenzprofessorin für Agrarökonomie am Department für Ernährungs-und Ressourcenökonomie in Kopenhagen.

Referenzen

1.           Bundesregierung. Lieferkettengesetz. https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/lieferkettengesetz-1872010 (2021).

2.           Due Diligence Campaign. Enforcing human right-Due diligence https://www.enforcinghumanrights-duediligence.eu/ (2021).

3.           Yi, J., Meemken, E.-M., Mazariegos-Anastassiou, V., Liu, J., Kim, E., Gómez, M.I., Canning, P., Barrett, C.B. Post-farmgate food value chains make up most of consumer food expenditures globally. Nature Food 2, 417–425 (2021). https://doi.org/10.1038/s43016-021-00279-9

4.           Canning, P., Weersink, A. & Kelly, J. Farm share of the food dollar: an IO approach for the United States and Canada. Agricultural Economics 47, 505–512 (2016). http://doi.wiley.com/10.1111/agec.12250

5.           USDA-ERS. Food dollar series. https://www.ers.usda.gov/data-products/food-dollar-series/ (2021).

6.           Kelly, J., Canning, P. & Weersink, A. Decomposing the farmer’s share of the food dollar. Applied Economic Perspectives and Policy 37, 311–331 (2015). https://doi.org/10.1093/aepp/ppu034

7.           Reardon, T., Tschirley, D., Liverpool-Tasie, L.S.O., Awokuse, T., Fanzo, J., Minten, B., Vos, R., Dolislager, M., Sauer, C., Dhar, R., Vargas, C., Lartey, A., Raza, A., Popkin, B.M. The processed food revolution in African food systems and the double burden of malnutrition. Global Food Security 28, 100466 (2021). https://doi.org/10.1016/j.gfs.2020.100466

8.           Martínez Steele, E., Popkin, B. M., Swinburn, B. & Monteiro, C. A. The share of ultra-processed foods and the overall nutritional quality of diets in the US: Evidence from a nationally representative cross-sectional study. Population health metrics 15, 6 (2017). https://doi.org/10.1186/s12963-017-0119-3

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About Robert Finger

I am Agricultural Economist and head of the Agricultural Economics and Policy Group at ETH Zurich. Group Website: www.aecp.ethz.ch. Private Website: https://sites.google.com/view/fingerrobert/home