Potenzial und Grenzen der ökonomischen Leistungsfähigkeit der Schweizer Milchbetriebe

Swetlana Renner und Nadja El Benni*

Um die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Milchproduktion zu steigern, muss die Leistungsfähigkeit auf Betriebsebene erhöht werden. Es stellt sich daher die Frage, welche Massnahmen zur Steigerung der Produktivität, der Effizienz und schließlich der Einkommen der Betriebe getroffen werden können.

Agroscope analysierte die Leistungsfähigkeit spezialisierter Schweizer Milchviehbetriebe und deren Entwicklung über die Zeit (Renner et al., 2021; Renner und El Benni, 2021)**. Mittels eines sogenannten Latent Class Stochastic Frontier Models (Alvarez und del Corral, 2010) wurde untersucht, ob sich die Betriebe hinsichtlich ihrer eingesetzten Produktionstechnologien gruppieren lassen und sich die Produktivität zwischen diesen Technologiegruppen unterscheidet. Ausserdem interessierte, ob die Betriebe ihr Erträge durch eine Effizienzsteigerung verbessern könnten. Zum Schluss wurde untersucht, inwiefern es Schweizer Milchviehbetrieben gelungen ist ihr Leistungsfähigkeit über die Zeit zu verbessern und welche Massnahmen dafür getroffen wurden.

Die Datengrundlage bilden die Buchhaltungsdaten von spezialisierten Milchviehbetrieben der Zentralen Auswertung über den Zeitraum 2003 bis 2013. In der Produktivitätsanalyse, wird unter einer Produktionstechnologie ein bestimmtes Set an technisch realisierbaren Kombinationen von Inputs und Outputs verstanden. In der durchgeführten Analyse wurde als Output der Ertrag auf Betriebsebene definiert, der mit den Inputs Land, Arbeit und Kapital (inkl. Tierbestand) von den Betrieben erwirtschaftet wurde.

Schweizer Milchviehbetriebe lassen sich in drei Technologieklassen gruppieren

Im Vergleich zu den übrigen Milchviehbetrieben sind Betriebe der produktivsten Technologieklasse 1 grösser, produzieren intensiver, halten mehr Milchkühe (Anzahl total und je Hektar), haben eine höhere Milchleistung und höhere Erträge aus dem Verkauf von Milch und anderen Produkten. Sie liegen hauptsächlich in der Tal- oder Hügelregion, nutzen eher Freilaufstallsysteme, die zur Teilnahme am freiwilligen staatlich gefördertem Tierwohlprogramm berechtigen, und produzieren eher silofreie Milch, die für die Rohmilchkäseproduktion verwendet wird. Im Gegensatz dazu sind Betriebe der am wenigsten produktiven Technologieklasse 3 häufiger in den Bergregionen angesiedelt. Diese Milchviehbetriebe sind vergleichsweise klein, produzieren extensiv, nutzen eher Anbindeställe und produzieren eher Trinkmilch. Die «durchschnittliche» Klasse 2 liegt zwischen diesen beiden extremen Technologieklassen in Bezug auf die untersuchten Indikatoren.

Der Grossteil der Schweizer Milchviehbetriebe arbeitet effizient

Bei der Analyse der Leistungsfähigkeit ist es wichtig, dass die natürlichen Produktionsbedingungen berücksichtigt werden, denn diese bestimmen, wie produktiv ein Betrieb sein kann und wie effizient er seine Inputs nutzt. Die Analysen zeigen, dass der Grossteil der Schweizer Milchviehbetriebe sehr effizient arbeitet. So liegt das Effizienzsteigerungspotenzial der Betriebe der Technologieklasse 1 bei 2 %, in Technologieklasse 2 bei 4 % und in Technologieklasse 3 bei 12 %. Das heisst, dass ohne eine substantielle Änderung der Produktionstechnologie, keine grossen Effizienzsteigerungen erreicht bzw. erwartet werden können.

Nur mit einem Technologiewechsel ist eine Leistungssteigerung möglich

Die Analyse zeigt, dass eine Verbesserung der Produktivität durch einen Technologiewechsel erreicht werden kann. Wenn ein Betrieb der Klasse 2 neu mit der Technologie der Klasse 1 effizient arbeiten würde, könnte er seinen Output um 20 % steigern. Wenn Betriebe aus der am wenigsten produktiven Klasse 3 die Technologie der Klasse 2 nutzen würden, dann könnten sie 27 % mehr erwirtschaften. Mit der Technologie der Klasse 1 könnte ihre Leistung sogar um 39 % gesteigert werden. Allerdings zeigen die Analysen auch, dass der Grossteil der Betriebe seine Produktionstechnologie über die Zeit nicht substantiell angepasst hat.

Abbildung 1. Verteilung und Wechsel der Betriebe in den Technologieklassen (Sankey-Diagramm). Klasse 1 beschreibt die produktivste Technologieklasse, Klasse 3 die am wenigsten produktive Technologieklasse und das Produktivitätsniveau der Klasse 2 liegt zwischen dem der beiden anderen Klassen. Der Wechsel von einer Technologieklasse in eine andere Technologieklasse, d.h. von Periode 1 zu Periode 2, erfolgt einmal im Zeitraum zwischen 2003 und 2013. 

Leistungssteigerungen und Intensivierung sind notwendig für ein stabiles oder besseres Einkommen

Betriebe, die in der produktivsten Klasse 1 bleiben, konnten ihre Produktion, Arbeitsproduktivität und Einkommen über die Zeit deutlich steigern. Im Gegensatz dazu waren Betriebe der zweiten und dritten Klasse nicht in der Lage, das Produktions- und Produktivitätsniveau so weit zu steigern, dass das Einkommen über den gesamten Betrachtungszeitraum erhöht (oder zumindest gehalten) werden kann. Die wenigen Betriebe, die in der beobachteten Periode zu einer produktiveren Technologie wechselten, produzierten zunehmend intensiv, der Anteil der Direktzahlungen am landwirtschaftlichen Einkommen sank. Der Anteil des ausserbetrieblichen Einkommens am Haushaltseinkommen nahm ab bei insgesamt steigendem landwirtschaftlichen Einkommen. Bei den wenigen Betrieben, die in eine weniger produktive Technologieklasse wechselten, nahm die Arbeitsproduktivität und die Produktionsintensität ab und der Anteil an Direktzahlungen und ausserbetrieblichem Einkommen nahm zu.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass ohne einen Wechsel der Produktionstechnologie, das Potential für Leistungssteigerungen in der Schweizer Milchproduktion gering ist. Die grossen Unterschiede in der Produktivität sind zu einem grossen Teil auf die natürlichen Produktionsbedingungen zurückzuführen und nur bei einem kleinen Teil der Betriebe auf einen ineffizienten Einsatz der Produktionsmittel. Nur Betriebe, die ihre Produktion intensiviert haben, konnten eine Verbesserung ihrer ökonomischen Leistungsfähigkeit erreichen.

Literatur

Alvarez, A., del Corral, J. (2010). Identifying different technologies using a latent class model: extensive versus intensive dairy farms, European Review of Agricultural Economics, 37 (2), 231–250.

Renner, S., Sauer, J., & El Benni, N. (2021). Why considering technological heterogeneity is important for evaluating farm performance? European Review of Agricultural Economics. https://doi.org/10.1093/erae/jbab003

Renner, S., El Benni, N. (2021). Potenzial und Grenzen der ökonomischen Leistungsfähigkeit von Schweizer Milchbetrieben, Agrarforschung Schweiz 12, 32-39.

* Swetlana Renner und Nadja El Benni sind bei Agroscope.

**Der Beitrag ist Teil des Special Issues zu Einkommen in der europäischen Landwirtschaft in der European Review of Agricultural Economics https://agrarpolitik-blog.com/2021/02/18/einkommen-in-der-europaischen-landwirtschaft-neue-perspektiven-und-implikationen-fur-die-politikbewertung/

Eine Antwort auf „Potenzial und Grenzen der ökonomischen Leistungsfähigkeit der Schweizer Milchbetriebe

  1. Gute Entscheidung, die ökologischen Leistungen im Output zu berücksichtigen (über die ökologischen Direktzahlungen). Dennoch ist der Blickwinkel dieser technischen Effizienzanalyse viel zu eng, wenn es darum geht, politikrelevante Schlussfolgerungen abzuleiten. Das Problem ist, dass die externen Kosten und Nutzen (gemeinwirtschaftliche Leistungen) nicht oder nur ungenügend berücksichtigt werden. Die Analyse bleibt damit betriebswirtschaftlich, und dies in einer Landwirtschaft, die jährlich mit Milliarden subventioniert wird und in ähnlicher Grössenordnung externe Kosten verursacht. Was soll der Regulator mit einer Effizienzanalyse anfangen, die diese weiteren Kosten vernachlässigt? Wie stark schlagen diese Kosten und Nutzen in den einzelnen Produktionstechnologien zu Buche? Um es einmal vorsichtig zu formulieren: Analysen, die auch externe Kosten (und externe Nutzen noch differenzierter) berücksichtigen, würden möglicherweise zu ganz anderen Schlussfolgerungen führen.

    Hinsichtlich der vorliegenden Ergebnisse ist weiter zu erwähnen, dass die Milchpreise seit der Untersuchungsperiode 2003 bis 2013 gesunken sind. In den Jahren um 2017 wiesen verschiedene Studien auch der Agroscope darauf hin, dass ein grosser Teil der Milchwirtschaftsbetriebe den Preisrückgang zu wenig berücksichtigen und sogar aus rein betrieblicher Sicht zu intensiv produzieren.

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About Robert Finger

I am Agricultural Economist and head of the Agricultural Economics and Policy Group at ETH Zurich. Group Website: www.aecp.ethz.ch. Private Website: https://sites.google.com/view/fingerrobert/home