Autoren: Sergei Schaub, Robert Huber, Robert Finger* Mit «Google Trends» lässt sich bestimmen, wie oft ein bestimmter Begriff im Netz gesucht wurde. Es kann dadurch als eine Art Pulsmesser für agrarpolitische Themen verwendet werden. Das könnte hilfreich sein, um die Schwerpunktsetzung in Agrarpolitikreformen auf gesellschaftliche relevante Themen auszurichten. Wir haben dies am Beispiel der Begriffe Pflanzenschutzmittel und Pestizide in der Schweiz im Zeitraum 2011-2019 analysiert.
In einem kürzlich in der Zeitschrift Environmental Research Letters erschienenen Artikel (Schaub et al. 2020) haben wir untersucht, wie oft die Begriffe Pflanzenschutzmittel und Pestizide im Zeitraum 2011 bis 2019 in der Schweiz auf Google gesucht wurden.
Dabei machten wir uns zwei spezifische Umstände zu nutzen. Einerseits haben die beiden Begriffe, obwohl sie umgangssprachlich das gleiche implizieren, unterschiedliche Konnotationen. Während der Begriff Pflanzenschutzmittel eher positiv belegt ist – etwas wird geschützt – hat das Wort Pestizid einen negativen Beigeschmack (siehe dazu auch den Artikel von Flury 1996). Andererseits wissen wir, dass durch die Lancierung der zwei eidgenössischen Volksinitiativen «Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung – Keine Subventionen für den Pestizid- und den prophylaktischen Antibiotika-Einsatz» (kurz «Trinkwasser-Initiative») und «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» (kurz «Pestizidinitiative») die Frage des Pflanzenschutzes bzw. des Pestizideinsatzes in der Gesellschaft offensichtlich von grossem Interesse ist.
Unsere Ergebnisse zeigen, dass die online Suche nach Pflanzenschutzmitteln und Pestiziden sowohl in der französisch- als auch in der deutschsprachigen Schweiz deutlich zugenommen hat (oberes Diagramm in der Abbildung). Das Suchvolumen (ausgedrückt als relativer Wert der Suchanfrage auf Google) hat sich im Zeitraum 2011 bis 2019 verdoppelt. Das erhöhte Suchvolumen geht dabei alleine auf den Begriff Pestizid zurück (unteres Diagramm in der Abbildung). Der Begriff Pflanzenschutzmittel wurde über die Jahre nicht häufiger gesucht. In der Tendenz rückte im öffentlichen Interesse also ein negativ behafteter Begriff in den Vordergrund.

Abbildung: Google Trends in der Schweiz zwischen 2011 und 2019 für die Begriffe Pflanzenschutzmittel und Pestizide.
A (oberes Diagramm): Zunahme beider Begriffe über die Zeit (in dunkelgrün) im Vergleich zur Suche nach den beiden Initiativen (Suche nach Trinkwasserinitiative und Pestizidinitiative in braun). Die Punkte auf der Zeitachse repräsentieren unterschiedliche Berichte aus dem Ausland (IR) und dem Inland (NR) sowie politische Etappen (Sammelbeginn, Einreichung etc.) der Initiativen (PI).
B (unteres Diagramm): Unterschiedliche Entwicklung der Such nach Pestiziden und Pflanzenschutzmitteln im gleichen Zeitraum. Die gestrichelten Linien (Strukturbrüche) stellen unterschiedliche Phasen dar, welche sich ex-post statistisch unterscheiden lassen.
Diese Trends sind durch die beiden Volksinitiativen geprägt, d.h. wir sehen um deren Lancierung einen Anstieg im Interesse. Aber interessant ist auch, dass das öffentliche Interesse und der stärkere Fokus auf den Begriff «Pestizide» statt auf «Pflanzenschutzmittel» schon vor der Lancierung der Volksinitiativen strukturell anstieg. Google Trends hätte es erlaubt, das steigende gesellschaftliche Unbehagen sehr früh, d.h. vor der Lancierung der Volksinitiativen zu erkennen. Im Nachhinein wäre denkbar, dass man, mit diesem Wissen, bereits früher verbindlichere agrarpolitische Weichen im Bereich der Pflanzenschutzmittel hätte stellen können.
Die Anforderungen und Ansprüche an die Landwirtschaft haben in den letzten Jahren in der Schweiz zugenommen. Die Zunahme von Volksinitiativen mit Bezug zu Agrarumweltthemen zeigt diesen Druck der Öffentlichkeit, wie eine Art Barometer an (siehe dazu auch unseren Blogbeitrag hier und den dazugehörigen Artikel Huber und Finger 2019). Dieser Druck manifestiert sich auch in den Schwerpunkten, welche in den laufenden Agrarreformen gelegt werden. Aus einer politikwissenschaftlichen Perspektive spricht man in diesem Kontext von «Agenda Setting». Die Darstellung und Wahrnehmung eines agrarpolitischen Problems beeinflusst dadurch auch die konkrete Priorisierung von Themen und Lösungen in der Agrarpolitik.
Auswertungen von Google Trends könnten in diesem Kontext eine wichtige Rolle zukommen**, weil sie, wie unser Beitrag zeigt, als eine Art Frühwarnsystem genutzt werden könnten. Stellt man fest, dass ein Begriff systematisch öfters gesucht wird, bestünde die Möglichkeit, früh im Politikprozess darauf zu reagieren. Zudem können diese Analysen helfen, der unter Umständen verzerrten öffentlichen Wahrnehmung gezielt entgegenzuwirken. Im Bereich Pflanzenschutzmitteln skizziert dazu Markus Flury (1996) eine Möglichkeit: Anstelle eines Sammelbegriffs wie Pestizid, sollte man in der Diskussion, wenn immer möglich, auf spezifischere Begriffe wie Herbizide, Fungizide oder Insektizide zurückgreifen. Das vermindert möglicherweise das negative «Framing» von komplizierten Herausforderungen in der Agrarpolitik.
Literatur
Schaub S., Huber R, Finger R. 2020 Tracking societal concerns on pesticides–A Google Trends analysis Environmental Research Letters. Accepted Manuscript online 9 June 2020 (open access) https://iopscience.iop.org/article/10.1088/1748-9326/ab9af5
Flury M. 1996 Begriffliche Ver(w)irrung: Pflanzenschutzmittel oder Pestizide? Eine semantische Betrachtung (Crop protection products or pesticides? A semantical essay) Z. Pflanzenkr. Pflanzenschutz (J. Plant Dis Prot.) 103 440-442 https://www.jstor.org/stable/43216121?seq=1#metadata_info_tab_contents
Huber R. and Finger R. 2019 Popular initiatives increasingly stimulate agricultural policy in Switzerland EuroChoices 18 38-39. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/1746-692X.12209
*Sergei Schaub, Robert Huber und Robert Finger sind Mitarbeiter der Gruppe für Agrarökonomie und –politik der ETH Zürich.
**Code zur Replikation der Untersuchung oder für die Anwendung auf andere Begriffe ist öffentlich zugänglich unter: https://github.com/AECP-ETHZ/pesticides-interest-trends