Die Wirtschaftskommission des Nationalrats will Freihandelsabkommen vom «Rest» der Agrarpolitik trennen. Das widerspricht dem Konzept der Multifunktionalität und erschwert den politischen Kompromiss.
Die Wirtschaftskommission (WAK) des Nationalrats hat entschieden, die Gesamtschau des Bundesrats zur Weiterentwicklung der Agrarpolitik zurückzuweisen. Sie fordert unter anderem, dass der Bundesrat die Weiterentwicklung der Agrarpolitik vorerst von Verhandlungen zu Freihandelsabkommen trennt. Im Lichte der laufenden Auseinandersetzungen zwischen Bundesrat und dem Schweizerischen Bauernverband (SBV) mag dieses Vorgehen politisch opportun sein. In konzeptioneller Hinsicht ist dieser Entscheid aber aus zwei Gründen schwer nachvollziehbar.
Widerspruch zur Multifunktionalität. Im Kern der Schweizer Agrarpolitik steht die Multifunktionalität der Landwirtschaft. Das bedeutet, dass die Landwirte neben der Produktion von Nahrungsmitteln einen Beitrag zur Versorgungssicherheit, zur Erhaltung der natürlichen Ressourcen, zur Pflege der Kulturlandschaft und zur dezentralen Besiedlung leisten sollen. Dieses multifunktionale Verständnis der Landwirtschaft hat sich auch mit dem neuen Verfassungsartikel, der im letzten Herbst mit überwältigender Mehrheit angenommen wurde, nicht verändert. Der Ursprung einer multifunktionalen Landwirtschaft liegt darin, dass sich die Nahrungsmittelproduktion einerseits und ökologische sowie soziale Leistungen der Bäuerinnen und Bauern andererseits nicht trennen lassen. Die Konsequenz ist, dass sich die Steuerung der Rahmenbedingungen auf den Agrarmärkten nicht von der Regelung gemeinwirtschaftlicher Leistungen abkoppeln lässt. Es existiert eine Vielzahl von Studien die zeigen, dass die Wirksamkeit und Effizienz von Direktzahlungen auch von der Entwicklung der Preise auf den Agrarmärkten abhängt*.
Ausblendung der historischen Entwicklung. In der Vergangenheit wurden Zugeständnisse im Bereich des Marktzugangs durch Direktzahlungen kompensiert. Dieser Vorgang lässt sich gut mit der Entwicklung der Agrarstützung in der Schweiz veranschaulichen. Die folgende Abbildung zeigt das sogenannte Producer Support Estimate (PSE) für die Schweizer Landwirtschaft in Prozent an der landwirtschaftlichen Wertschöpfung. Im Kern zeigt das PSE, wieviel von einem Franken, den der Landwirt verdient, entweder vom Konsumenten oder dem Steuerzahler stammt. Die blaue Fläche zeigt die Unterstützung durch den Grenzschutz, der vom Konsumenten bezahlt wird. Dieser wäre von neuen Freihandelsabkommen betroffen. Die roten Flächen stellen Stützungsmassnahmen dar, die in irgendeiner Form an die landwirtschaftliche Produktion gebunden sind. Die grünen Flächen schliesslich sind Massnahmen, welche die Produktion nur minimal beeinflussen und in erster Linie Umweltleistungen der Landwirtschaft abgelten. Der rote und grüne Teil der Agrarstützung werden durch Steuergelder finanziert.

Quelle: OECD Producer and Consumer Support Estimates database for Switzerland
Die Grafik zeigt erstens, dass mehr als die Hälfte des Schweizer Agrarschutzes nach wie vor aus Grenzschutzmassnahmen besteht. Mit dem Begehren der WAK würde aus der Gesamtschau zur Agrarpolitik eine Teilbetrachtung. Zweitens ist der Rückgang der blauen Fläche in der Vergangenheit mit einer Zunahme der roten oder grünen Fläche verbunden. Durch eine separate Behandlung dieser Bereiche würde die Flexibilität in der Agrarpolitik abnehmen. Der Vorschlag der WAK erschwert dadurch jene Kompensationsmechanismen, die in der Vergangenheit überhaupt Reformen ermöglichten. Die Weiterentwicklung der Agrarpolitik würde an Spielraum verlieren.
Man kann den Entscheid der WAK als einen Versuch zur Vereinfachung der Agrarpolitik interpretieren. Durch das Entkoppeln von Freihandelsabkommen und «dem Rest» der Agrarpolitik liessen sich unter Umständen politische Mehrheiten gewinnen. Aus einer konzeptionellen Perspektive widerspricht dieses Vorgehen jedoch der Logik der Multifunktionalität und erschwert den politischen Kompromiss.
*Eine Übersicht zu diesen Studien findet sich in unserem Beitrag zu Interaktionseffekten bei Direktzahlungen. Dort zeigt sich ebenfalls, dass die Preise für Milch und Fleisch einen direkten Effekt auf die Wirksamkeit der Direktzahlungen haben: Huber, R., Snell R., Monin F., Brunner S.H., Schmitz D. & Finger R. (2017). Interaction effects of targeted agri-environmental payments on non-marketed goods and services under climate change in a mountain region. Land Use Policy, 66, 49-60.
Im ursprünglichen Blogbeitrag fehlte die Quellenangabe zum Diagramm. Die Daten stammen von der OECD und können über folgende Webseite abgerufen werden: http://www.oecd.org/tad/agricultural-policies/producerandconsumersupportestimatesdatabase.htm#country. Vielen Dank für den Hinweis aus der Leserschaft.
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