Wunschliste für die Schweizer Agrarpolitik

Robert Huber. Das BLW liess die Präferenzen der Schweizer Bevölkerung für die Landwirtschaft erfragen. Herausgekommen ist eine Wunschliste ohne Verankerung in der Realpolitik.

Das BLW liess durch das Meinungsforschungsinstitut GFS in Bern die gesellschaftlichen Wünsche hinsichtlich landwirtschaftlicher Wirtschaftsweisen und Strukturen ermitteln (Bieri et al. 2017). Dazu wurde eine repräsentative Umfrage bei etwas mehr als 1000 Schweizerinnen und Schweizer durchgeführt. In einem ersten Teil der Umfrage wurde die generelle Einstellung zur Schweizer Landwirtschaft erhoben. Dieser Teil deckt sich mit früheren Studien von der Uni Luzern (Brandenberger und Georgi 2015) oder der Uni St.Gallen (4hm AG und FBM-HSG, 2007) und zeigt, dass die Bevölkerung mehrheitlich zufrieden ist mit der Schweizer Landwirtschaft. Dieses Ergebnis kann aufgrund des Abstimmungsresultats zur Versorgungsicherheitsinitiative niemanden mehr überraschen.

Im zweiten Teil der Befragung, welcher der eigentliche Kern der Studie darstellt, wurde ein sogenanntes Choice Experiment durchgeführt. Dieses sollte die Präferenzen für verschiedene Betriebs- und Produktionsformen in der Schweizer Landwirtschaft offenbaren. Diese Ergebnisse zeigen, dass die Befragten eine deutliche Präferenz für selbst hergestelltes Futtermittel und für kleinflächige, vielfältige Kulturlandschaften äusserten. Ausserdem bevorzugten sie hohen Tierschutz und biologische Produktion, die sich unter anderem durch den Verzicht auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel auszeichnen würde. Diese Präferenzen seien durch die ebenfalls erhobenen Zahlungsbereitschaften bestätigt worden. Etwas überrascht sind die Autoren nur davon, dass keine Bevorzugung kleinerer Betriebe festgestellt wurde.

In der Presse wurde die entsprechende Studie mehrheitlich als «Business as usual» besprochen: Die Schweizerinnen und Schweizer sind zufrieden mit den Leistungen der Landwirtschaft (NZZ). Dabei würde der Inhalt eigentlich viel Diskussionsstoff bieten. Ebenso hätten die Autoren und das BLW auch folgende Ergebnisse präsentieren können (ergänzt mit einer persönlichen, provokativen Folgerung):

  • Die Schweizer Bevölkerung bevorzugt Zuerwerbsbetriebe gegenüber Vollerwerbsbetriebe. Folgerung: Die Schweizerinnen und Schweizer würden es begrüssen, wenn tiefe Einkommen in der Landwirtschaft mit ausserlandwirtschaftlichen Tätigkeiten kompensiert würden.
  • Produkte von Grossverteilern werden gegenüber lokalen und regionalen Erzeugnissen bevorzugt. Folgerung: Die Strukturhilfen für regionale Verarbeitung könnten gemäss den Präferenzen der Bevölkerung gestrichen werden.
  • Die Schweizer Bevölkerung hat keine Präferenzen für kleine Landwirtschaftsbetriebe. Folgerung: Einer Erhöhung der SAK-Grenze für den Erhalt von Direktzahlungen würde von der Gesellschaft befürwortet.
  • Die höchste Zahlungsbereitschaft überhaupt hat die Schweizer Bevölkerung dafür, dass die Viehbetriebe ihr Futtermittel selber anbauen und nicht zukaufen. Folgerung: Die Bevölkerung würde einen Importstopp von Futtermitteln für die Tierproduktion unterstützen.

Diese Ergebnisse werden im Bericht nicht explizit diskutiert und selbstverständlich sind meine Folgerung daraus überspitzt formuliert. Sie basieren aber auf der gleichen Aussagekraft wie die zentrale Aussage im Bericht, dass die Schweizerinnen und Schweizer eine Präferenz für mittelgrosse Biobetriebe mit hoher Aufmerksamkeit bezüglich des Tierwohls und nachhaltigem Produktionskreislauf hätten.

Das Problem der Studie ist dabei nicht, dass die Ergebnisse selektiv dargestellt wurden. Vielmehr scheint die ganze Befragung aus einer (agrar-)ökonomischen Sicht strittig. Aus meiner Sicht sind die Ergebnisse kaum zu interpretieren und sollten daher nicht als Input für die Weiterentwicklung der Agrarpolitik dienen, wie vom BLW gefordert. Meine Meinung basiert auf den folgenden drei methodischen Einwänden:

1. Das Choice Experiment hat keine theoretische Grundlage. Die Befragten mussten zuerst zwischen zwei Betrieben wählen, die sich in ihren Eigenschaften unterschieden (z.B. kleiner Bio-Betrieb in kleinräumiger Landschaft vs. Konventioneller, mittelgrosser Betrieb in einer monotonen Landschaft etc.). Anschliessend mussten sie angeben, wie viel sie jedem der beiden Betriebe von einem hypothetischen Budget von 100 Fr. geben würde (z.B. 80 Fr. für den Bio-Betrieb und 20 Fr. für den konventionellen Betrieb). Was auf den ersten Blick originell wirkt, entbehrt jeder theoretischen Grundlage. Die Studie impliziert nämlich, dass es einen Unterschied gibt zwischen Präferenzen (z.B. ich bevorzuge mittlere Betriebe) und Zahlungsbereitschaften (z.B. ich möchte mittlere Betriebe nicht mit zusätzlichen Zahlungen fördern). Diese Trennung ist aus ökonomischer Sicht unsinnig. Worauf sollen Zahlungsbereitschaften denn gründen, wenn nicht auf individuellen Präferenzen? Für die statistische Analyse der Umfrageergebnisse mag das keine Rolle spielen. Eine schlüssige Interpretation ist aber nicht möglich (für eine ausführliche Besprechung siehe dazu auch den Artikel von Louviere et al. 2010).

2. Die Komplexität des Choice Experiment verunmöglicht konsistente Antworten. Choice Experimente sind für die Befragten komplex, weil sie einen hohen kognitiven Aufwand erfordern. Befragungen mit mehr als fünf Attributen werden in der wissenschaftlichen Diskussion bereits als kritisch betrachtet. Die Folgen von kognitiven Überforderungen sind unter anderem eine geringe Konsistenz der Antworten und die Ausblendung einzelner Attribute. Das durchgeführte Experiment enthielt sieben bzw. acht Attribute je nachdem ob es sich um ein Vieh- oder Ackerbaubetrieb handelte. Stellen sie sich nun vor, sie werden am Telefon gefragt, welchen Betrieb sie bevorzugen würden:

A) einen mittelgrossen Viehbetrieb im Tal mit spezialisierter Produktion, der das Futtermittel überwiegend selber herstellt, den Tierschutz einhält, der integrierten Produktion entspricht, Direktvermarktung betreibt, im Nebenerwerb betrieben wird und grossflächige Felder in einer monotonen Kulturlandschaft bewirtschaftet; oder

B) einen kleinen Viehbetrieb im Tal mit vielfältiger Produktion; der Futtermittel aus dem Ausland zukauft, dessen Tierhaltung über die Tierschutzbestimmungen hinausgeht, biologisch produziert, an einen Grossverteiler verkauft, im Vollerwerb betrieben wird und in einer vielfältigen Kulturlandschaft wirtschaftet.

Ich persönlich finde es unmöglich, eine Präferenz für die Betriebe zu äussern (sogar, wenn ich die Attribute mehrmals lese). Das Design des Experiments ist so komplex, dass es schlicht nicht möglich ist, konsistente Präferenzen der Bevölkerung zu erfragen. Das zeigt sich auch darin, dass die Einstellung der Schweizerinnen und Schweizer keinen Einfluss hat auf die ermittelten Präferenzen auf Stufe Betrieb hat. Dieser Zusammenhang bildet aber das theoretische Gerüst der Studie (Dispositionsansatz), der aufgrund der Ergebnisse schlicht und einfach verworfen werden muss.

3. Das Choice Experiment kennt keine Verlierer. In Befragungen spielt der Entscheidungskontext (das so genannte «Framing») eine entscheidende Rolle. «Framing» bezeichnet den Umstand, dass man die gleiche Frage unterschiedlich interpretiert und beantwortet, je nachdem wie und in welchem Kontext sie gestellt wurde. Im durchgeführten Choice Experiment konnte beispielsweise den Betrieben Geld zugewiesen werden unabhängig davon, in welchem Ausmass der Betrieb tatsächlich bereits gefördert wird. Das «Framing» des Experiments implizierte, dass man völlig frei Gelder zwischen den Betriebstypen hin und her schieben kann. Für den realpolitischen Kontext stellt sich aber die Frage, welchen Landwirten man Subventionen wegenehmen soll. Ansonsten erhält man eine Positivliste von gewünschten Attributen, die in der Realität unvereinbar sind. Ob der gewählte Lieblingsbetrieb der Befragten, ein mittelgrosser Biobetrieb mit hoher Aufmerksamkeit bezüglich des Tierwohls und nachhaltigem Produktionskreislauf, tatsächlich mit dem bestehenden Budget realisierbar ist und welche Betriebe verschwinden würden, scheint keine Rolle zu spielen. Das Ziel von Choice Experimenten muss es aber sein, einen möglichst realen Entscheidungskontext zu bieten. Dazu wäre es nötig gewesen, die bestehenden Zahlungen in das «Framing» des Choice Experiments aufzunehmen und alternative Verteilungen effektiv zu testen. Die Abstimmung zur Initiative für Ernährungssicherheit hätte in diesem Kontext einen idealen Referenzpunkt geboten. Leider wurde dieser Aspekt offensichtlich nicht in die Umfrage aufgenommen und die Ergebnisse müssen als Wunschliste ohne Verankerung in der Realpolitik interpretiert werden.

Die Autoren und auch das BLW folgern aus der Studie, dass es keinen Problemdruck und damit verbunden ein dezidierter Wunsch nach einer Neuformatierung der Schweizer Landwirtschaft gäbe. Aus meiner Sicht ist diese Aussage nicht haltbar. Einerseits, weil alternative Unterstützungen ja gar nicht getestet wurden. Andererseits, weil die theoretischen Grundlagen und die methodische Umsetzung des Choice Experiments nicht den üblichen Standards entsprachen.

Die Erhebung von Präferenzen der Bevölkerung für die Erbringung von öffentlichen Leistungen der Landwirtschaft wären von ausserordentlicher Bedeutung für die Rechtfertigung der öffentlichen Unterstützung der Landwirtschaft mit Direktzahlungen. Das BLW hat es mit dieser Studie verpasst, dazu einen realpolitisch nützlichen Beitrag zu leisten.

 

Literatur

Bieri U., Kocher J.Ph., Frind A., Tschöpe S., Venetz A., Herzog N., Ivankovic M. 2017. Gesellschaftliche Wünsche hinsichtlich landwirtschaftlicher Wirtschaftsweisen und Strukturen. Schlussbericht zur quantitativen Hauptstudie Studie im Auftrag des Bundesamtes für Landwirtschaft BLW, GFS Bern, September 2017.

4hm AG Technologiezentrum tebo und Forschungsstelle für Business Metrics FBM-HSG. 2007. Was erwartet die schweizerische Bevölkerung von der Landwirtschaft? Herleitung des Erwartungsprofils der Bevölkerung mit Hilfe einer adaptiven Conjoint-Analyse. Ein Auftragsprojekt zuhanden des Bundesamtes für Landwirtschaft (BLW).

Brandenberg Andreas und Georgi Dominik. 2015. Die Erwartungen der schweizerischen Bevölkerung an die Landwirtschaft – Studie zuhanden des Bundesamtes für Landwirtschaft BLW (August 2015) Institut für Kommunikation und Marketing IKM, Hochschule Luzern.

Louviere J.J., Flynn T. N., Carson R.T. 2010. Discrete Choice Experiments Are Not Conjoint Analysis. Journal of Choice Modelling, 3(3), pp 57-72.

4 Antworten auf „Wunschliste für die Schweizer Agrarpolitik

  1. MERCI für die fachlich fundierte Analyse, die den Nagel auf den Kopf trifft. Ich würde sogar noch weiter gehen und behaupten, dass 9 von 10 Befragten nicht einmal wissen was unter integrierte Produktion zu verstehen ist und auch keine Vorstellung von der Grösse eines kleinen oder mittelgrossen Betriebs haben. Ab gesehen davon ist es den meisten Befragten zwar möglich gedanklich 100 Franken zu verteilen – beim Agrarbudget geht es aber um Milliarden, da wird die Sache doch reichlich anspruchsvoller.

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  2. Vielen Dank, Robert Huber, für die Stellungnahme zur Studie und Eveline für den Kommentar. Ich habe mich geärgert, denn es wäre ziemlich leichtsinnig, wenn das BLW die Antworten in die Agrarpolitik einflechten würde. Natürlich kann es sinnvoll sein, „das Volk“ zu befragen, aber solche Umfragen bringen in der Regel nichts … meist kann man das, was man sagen will, auch gar nicht zum Ausdruck bringen und vielen Leuten fehlt das Basiswissen. Zudem ist die Agrarpolitik so komplex geworden, dass man mit solchen „Spielchen“ nicht weiterkommt.

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  3. Vielen Dank für die Kommentare. Ich möchte allerdings betonen, dass meine Kritik am Bericht methodischer Natur ist. Ich finde es grundsätzlich sinnvoll, Präferenzen zu erheben. Eine Agrarpolitik, die sich nicht an den Präferenzen der Bevölkerung orientiert, wird nicht nachhaltig sein. Die Komplexität und das fehlende Basiswissen sollten nicht als Vorwand dienen, nur noch die Sicht der Beteiligten in die Entwicklung der Agrarpolitik einfliessen zu lassen.

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    1. Ich finde es auch wichtig, dass man die Präferenzen der Bevölkerung erhebt, aber mit den üblichen Umfragen werden die Auftraggeber meist nicht wirklich schlauer. Schon die Auswahl der Befragten! Ich gelangte einmal auf die „Adressliste“ eines bekannten Meinungsforschungsinstituts und erhielt zuerst regelmässig telefonische Anfragen. Aus Neugier habe ich dann weitergemacht, als man mich für Online-Befragungen rekrutierte. Schon der Einbezug immer derselben Personen ist fragwürdig, aber das wird natürlich so praktiziert, ist bequemer und billiger. Die Fragen sind oft so, dass man die eigene Meinung nur beschränkt einbringen kann. Gut gestaltete Umfragen – so meine Meinung – sind selten. Das Erarbeiten ist anspruchsvoll und zeitaufwendig. Zudem wird oft auf ein „erwünschtes Ergebnis“ hin gearbeitet, das spürt man beim Beantworten gewisser Umfragen. Mehr Sorgfalt und Unabhängigkeit wäre nötig.

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