Für die Schweiz oder für die ganze Welt – nachhaltige Landwirtschaft bedeutet vor allem auch nachhaltigen Konsum

von Adrian Müller*. Die Landwirtschaft muss nachhaltiger werden. Dafür muss die Landwirtschaftspolitik unbedingt das ganze Ernährungssystem im Blick haben.

Keine Frage, die Landwirtschaft muss nachhaltiger werden. Die grossflächige Umsetzung produktionsseitiger Massnahmen würde viel helfen, aber ohne konsumseitige Veränderungen wird wenig zu erreichen sein. Zwei aktuelle Studien befassen sich mit genau diesen Herausforderungen.

Für die Schweiz geht die Studie „Umwelt- und ressourcenschonende Ernährung: Detaillierte Analyse für die Schweiz“ der Agroscope [1] der Frage nach „[…] wie eine Ernährung der Schweizer Bevölkerung aussehen würde, die mit möglichst geringen Umweltwirkungen verbunden ist.“ Auf globaler Ebene beschreibt ein in Nature Communications erschienener Artikel („Strategies for feeding the world more sustainably with organic agriculture“ [2]), was eine flächendeckende Umstellung auf nachhaltigere Produktionssysteme – am Beispiel des Biolandbaus, kraftfutterfreier Tierproduktion und reduzierter Nahrungsmittelabfälle und -verluste – bedeuten würde.

Ob global oder lokal, die Resultate sind gleich: Wir sollten weniger Fleisch, und zwar drastisch viel weniger Fleisch konsumieren (vgl. Abbildung). Vor allem von Schweinen und Hühnern, die mit Kraftfutter gefüttert werden und besonders hohe negative Umweltwirkungen haben. Und viel weniger Nahrungsmittelabfall und –verluste sollten wir haben, um entsprechend weniger produzieren zu müssen. Wichtig dabei ist, dass in beiden Studien eine ganze Reihe verschiedener Umweltwirkungen zusammen betrachtet werden. Es geht nicht nur um Landverbrauch, bei dem zum Beispiel Biolandbau schlecht dasteht. Und es geht nicht nur um Treibhausgase, bei denen die grasfressenden Wiederkäuer schlecht abschneiden. Es geht auch um Stickstoffverluste, Ökotoxizität und Biodiversität. Es geht um Knappheit, wie beim Ackerland im Wettbewerb für Futtermittel- oder Nahrungsmittelproduktion, es geht um systemisch optimale Ressourcennutzung wie beim Grasland, welches nur durch Wiederkäuer für die Nahrungsmittelproduktion genutzt werden kann.

Abbildung: Durchschnittliche Nahrungsration: Verbrauch und geschätzter Verzehr (g/Person/Tag). Die verschiedenen Szenarien sind wie folgt zu verstehen: Referenz Aktuelle Situation; Min ReCiPe Minimierung Umweltwirkung ReCiPe; LMP Rationszusammensetzung nach Lebensmittelpyramide; LMP/Kal Rationszusammensetzung und Energieaufnahme nach Lebensmittelpyramide; FoodWaste Vollständige Reduktion der vermeidbaren Nahrungsmittelabfälle beim Konsum. Referenz: Dies ist Abbildung 11 aus [1].

Betrachtet man all dies, dann geht es bei nachhaltiger Landwirtschaft eben nicht mehr nur um gesteigerte Ökoeffizienz und nachhaltige Intensivierung auf Produktionsebene und pro Tonne Ertrag, sondern auch um die Gesamtwirkungen, und deren Auswirkungen in Ökosystemen. Und dies heisst, salopp gesagt, dass das ganze System kleiner werden muss. Weil dabei die Ernährungssicherung nicht auf der Strecke bleiben oder die Produktion einfach ins Ausland verlagert werden soll bedeutet dies primär eine Verlagerung weg von ressourcenintensiver Tierhaltung zu direkter pflanzlicher Nahrungsmittelproduktion.

Das heisst in keiner Weise, dass wir alle vegan oder vegetarisch leben müssten, und gerade in Ländern mit heute sehr tiefen Konsumanteilen an tierischen Produktion könnten diese Mengen sogar noch ansteigen – aber es heisst, dass die Menge an tierischer Produktion in einer sinnvollen Relation zu den vorhandenen Produktionsmitteln und zur Tragfähigkeit der Umwelt stehen muss.

Betrachtet man all dies nicht, dann sehen die Schlussfolgerungen entsprechend anders aus, was immer wieder Verwirrung stiftet. Beispielsweise in zwei aktuellen Studien, die für die Schweiz [3] und global [4] ableiten, dass graslandbasierte oder biologische Produktion bezüglich Umweltwirkungen schlecht abschneiden und eher unsinnig erscheinen. Diese beiden Studien sind sehr detailliert und sorgfältig gemacht – aber sie berücksichtigen eben keine Systemeffekte, so dass ihre Resultate, anders als die der einleitend zitierten Studien, eben nicht auf der Ebene ganzer Ernährungssysteme Gültigkeit haben.

Was bedeutet das nun für die Landwirtschaftspolitik? Es bedeutet vor allem, dass die Politik im Hinblick auf grössere Zusammenhänge gestaltet werden muss. Dass zum Beispiel nicht produktionsseitige Förderungen gesprochen werden, die durch Umweltpolitikmassnahmen wieder eingeschränkt werden. So, als ob man gleichzeitig Gas geben und auf der Bremse stehen würde.

In der bestehenden Agrarpolitik wird beispielsweise der halbe Versorgungssicherheitsbeitrag auf Biodiversitätsförderflächen ausbezahlt. Der Grund dafür ist, dass ansonsten die Opportunitätskosten einer extensiven Bewirtschaftung zu hoch wären. Die relativ hohe Förderung der Versorgungssicherheit impliziert also, dass man auch für Biodiversitätsflächen tiefer in die Tasche greifen muss. Ein anderes Beispiel wäre die bislang fehlende Mehrwertsteuer auf Pflanzenschutzmitteln bei gleichzeitigen Anstrengungen, deren Einsatz zu reduzieren. Diese Art widerstreitender Politiken ist wenig zielführend.

Was deshalb als erster Schritt für eine in grösseren Zusammenhängen gestaltete Agrarpolitik getan werden muss: die Themenfelder zentraler Inkonsistenzen in der Politik identifizieren und diese schnell bereinigen.

 

Literatur

[1] Albert Zimmermann, Thomas Nemecek, Tuija Waldvogel, Umwelt- und ressourcenschonende Ernährung: Detaillierte Analyse für die Schweiz, Agroscope Science 55, 2017, 170 S. pdf

[2] Muller, A., Schader, C., El-Hage Scialabba, N., Hecht, J., Isensee, A., Erb, K.-H., Smith, P., Klocke, K., Leiber, F., Stolze, M. and Niggli, U., 2017, Strategies for feeding the world more sustainably with organic agriculture, Nature Communications 8:1290 | DOI: 10.1038/s41467-017-01410-w

Video-Abstract (englisch, deutsche Untertitel)

[3] Veronika Wolff, Martina Alig, Thomas Nemecek, Gérard Gaillard: Schlussbericht Projekt „EnviMeat“: Ökobilanz verschiedener Fleischprodukte – Geflügel-, Schweine- und Rindfleisch. Agroscope, Juni 2016. pdf

[4] Michael Clark and David Tilman, 2017, Comparative analysis of environmental impacts of agricultural production systems, agricultural input efficiency, and food choice, Environmental Research Letters, Volume 12, Number 6

 

*Adrian Müller ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Umweltentscheidungen IED, ETH Zürich; und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL, Frick.

 

 

2 Antworten auf „Für die Schweiz oder für die ganze Welt – nachhaltige Landwirtschaft bedeutet vor allem auch nachhaltigen Konsum

  1. Danke für den interessanten Beitrag. Die Erkenntnis, dass Konsummuster eine entscheidende Rolle auf dem Weg zu einer nachhaltigen Landwirtschaft spielen (müssen), ist enorm wichtig, aber eigentlich nicht neu. Die zitierten Studien konkretisieren die Botschaft lediglich. Was aber weiterhin unklar bleibt: wie kommen wir dahin? Steuerung des Konsumverhaltens erscheint mir wesentlich schwieriger (nicht zuletzt, weil es sich hier stets um eine Gratwanderung an der Grenze zum Paternalismus bzw anderweitig illiberalen Eingriffen in die Freiheit des Individuums handelt) als angebotsseitige Umweltpolitik. Forschungsstrategisch betrachtet: auf der Konsumentenseite scheint mir das große zu beseitigende Fragezeichen zu liegen.

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