Zu viel Milch: Fehlende Solidarität oder ökonomischer Zwang?

Der Richtpreis für A-Milch wird um drei Rappen gesenkt. Die Milchmenge spielt dabei eine zentrale Rolle. Oft wird mangelnde Solidarität als einer der Gründe für die Produktionsausdehnung angeführt. Oft handelt sich aber auch um ökonomische Zwänge.

Der Richtpreis für die A-Milch wird im zweiten Quartal 2016 um drei Rappen sinken. Ein Grund dafür ist, dass die Milcheinlieferungen im Vergleich zum vergangenen Jahr wieder zugenommen haben. Weshalb aber nimmt die Milchmenge zu, obwohl der A-Milchpreis ja nur auf einer bestimmten Menge bezahlt wird?

Ein ökonomisches Modell kann diesen Zusammenhang beleuchten. Die genaue Herleitung des Modells und deren empirische Überprüfung stammen aus einem Artikel der drei US-Ökonomen De Gorter, Just und Kopp aus dem Jahr 2008*. Zur intuitiven Illustration ihrer Überlegungen haben sie ein einfaches Preis-Mengen Diagramm benutzt. Es stellt die klassischen Annahmen über den Verlauf der verschiedenen Kostenkategorien d.h. der fixen, variablen und totalen sowie der Grenzkosten dar.

Inframarginal-1Mit zunehmender Produktionsmenge nehmen die durchschnittlichen total Kosten (DTK) zuerst ab, weil die konstanten fixen Kosten auf eine grössere Produktionsmenge verteilt werden. Übersteigt die Produktion ein gewisses Mass, nehmen die durchschnittlich variablen Kosten (DVK) zu, weil beispielsweise höhere Kosten für die Tiergesundheit anfallen. Dadurch steigen auch die DTK an. Die Grenzkosten, d.h. die Kosten für eine zusätzlich produzierte Einheit Milch, schneiden die DTK und die DVK jeweils an ihrem tiefsten Punkt. Die ökonomische Theorie besagt, dass ein Milchbetrieb, der sein Einkommen maximiert, dort produziert, wo sich die Grenzkosten und der Grenzerlös, also der Preis pro Liter Milch, schneiden. Zum hier angenommenen Preis p ist die Produktion für den in der Abbildung abgebildeten Betrieb mit den dargestellten Kostenfunktionen nicht rentabel, da die durchschnittlichen Kosten der Produktion höher liegen als der Preis. Langfristig würde der Betrieb aus der Milchproduktion aussteigen. Nehmen wir nun an, dass der Betrieb für die Menge B einen höheren Milchpreis z erhält, was z.B. mit dem A-Milchpreis gleichgesetzt werden könnte. Das folgende Diagramm illustriert diese Situation.

Inframarginal-2

Man nennt diese Form der Zahlungen inframarginal, weil nur eine Menge gestützt wird, die unterhalb des betriebswirtschaftlichen Optimums liegt (dort wo sich Grenzkosten und Grenzerlös schneiden). Wenn der Betrieb zum Preis p produzierte, würde eine solche Subvention die betriebliche Entscheidung nicht beeinflussen und wäre produktionsneutral. Mit anderen Worten, wenn mit dem A-Milchpreis nur Betriebe gestützt würden, welche auch zum tieferen Preis produzieren würden, dann entstünde keine Produktionsverzerrung, sondern nur ein Einkommensgewinn für die Landwirte. Wenn man sich die Produktionsstrukturen in der Schweiz anschaut, ist diese Annahme wohl nicht gegeben. Zum B- oder C-Preis würden die wenigsten Bauern langfristig produzieren können. Im zitierten Artikel wird gezeigt, wie sich diese inframarginalen Zahlungen auf die Milchmenge auswirken, wenn der Betrieb zum Preis p gar nicht produzieren würde.

Erhält also der Betrieb einen höheren Milchpreis für die festgelegt Menge B, dann wird die Produktion für diesen Betrieb rentabel und er produziert diese Menge B. Unter der Annahme, dass er aber auch mehr Milch zu einem tieferen Preis anbieten kann, liegt sein Produktionsoptimum im „natürlichen“ Optimum Q*. Der Grund dafür ist, dass der Betrieb durch eine Ausdehnung der Produktion die durchschnittlichen Kosten senken kann. Er befindet sich im absteigenden Ast der durchschnittlichen Kosten (Pfeil im Diagramm 3).

Inframarginal-3

Solange die Grenzkosten, d.h. die Kosten für eine zusätzlich produzierten Liter Milch tiefer sind als der tiefe Milchpreis (B-, oder C-Milch), dann ist es für den Betrieb ökonomisch rational die Milchproduktion auszudehnen. Aufgrund des konvexen Verlaufs der Kostenkurven wird die zusätzliche Produzentenrente a immer grösser sein, als die zusätzlichen Kosten b (siehe nächstes Diagramm). Ein gewinnmaximierender Betrieb wird also die Menge Q* produzieren, trotz viel tieferem Milchpreis für die Menge B-Q*.

Inframarginal-4

Die nächste Abbildung zeigt aber noch einen weiteren Effekt. Nehmen wir an, dass der Zielpreis auf die Höhe z2 sinkt. Wenn der Betrieb nur die Menge B produzieren dürfte, dann müsste er wiederum aussteigen, weil seine durchschnittlichen Kosten (DTKB) nicht gedeckt würden. Wenn der Betrieb aber die Milchmenge auf Q* ausdehnen kann, dann sind seine Kosten aufgrund des sinkenden Kostenverlaufs gedeckt. Er produziert also, obwohl er mit dem A-Milchpreis seine Kosten auf der Menge B gar nicht decken könnte. Mit anderen Worten: Auch mit einem tieferen Richtpreis sinkt die Milchmenge nicht automatisch, weil der Betrieb auf der zusätzlichen Menge immer noch quersubventioniert wird.

Inframarginal-5

In beiden Fällen, d.h. mit Preis z oder z2 liegt das Produktionsoptimum im Punkt Q* und nicht bei der Menge B. Dieser Produktionseffekt wird jeweils dadurch ausgelöst, dass die Quersubventionierung einen Ausstieg der Milchbetriebe verhindert, die im Betriebsoptimum (Grenzerlös = Grenzkosten) nicht produzieren würden.

Die Kostenkurven in diesem Beispiel sind so gewählt, dass die Kernaussage deutlich wird: Eine Mehrproduktion muss nichts mit fehlender Solidarität unter Landwirten zu tun haben, sondern schlicht mit ökonomisch rationalem Verhalten. Man kann aber natürlich die Kurven und die Höhe der Preise anders wählen, z.B. so, dass auch ein höherer Milchpreis keine zusätzliche Produktion induziert. Die Autoren des zitierten Artikels zeigen aber, dass für die Milchproduktion in den USA dieser Zusammenhang gut nachweisbar ist. In den USA werden die Milchproduzenten mit sogenannten Counter-Zyklischen Zahlungen unterstützt, welche in schlechten Jahren auf einer bestimmten Milchmenge in Anspruch genommen werden kann. Obwohl dieses System nicht mit der Segmentierung in der Schweiz übereinstimmt, so ist der Effekt der Quersubventionierung mit einer inframarginalen Zahlung trotzdem interessant. In den USA, so schätzen die Autoren, ist der Produktionseffekt der inframarginalen Zahlung fast so hoch wie einer reine Produktionsstützung also z.B. eine Zahlung pro Liter Milch.

Es wäre interessant zu sehen, wie sich dieser Effekt im Schweizer System auswirkt, d.h. wie wirkt sich der nicht-Ausstieg von Milchbetrieben auf die gesamte Milchmenge aus und welchen Einfluss hat dies auf das System der Segementierung. Eine vertiefte Analyse könnte Aufschluss darüber geben, wie die Milchmengensteuerung, von der die Betriebe letztendlich profitieren, optimiert werden könnte.

 

Quelle:

*De Gorter, Harry, David R. Just, and Jaclyn D. Kropp. „Cross-subsidization due to inframarginal support in agriculture: a general theory and empirical evidence.“ American Journal of Agricultural Economics 90.1 (2008): 42-54.

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