Von Christian Flury. Prof. Martin Binswanger hat in einem Interview mit der Berner Zeitung postuliert, dass man die Landwirtschaft vom Freihandel ausnehmen sollte. Was aus Sicht der Schweizer Landwirtschaft wohl einem Wunschszenario nahekommt, ist für die grossen Agrarexporteure keine Perspektive. Entsprechend dürfte es kaum möglich sein, Freihandelsabkommen mit solchen Ländern abzuschliessen, ohne die Landwirtschaft einzubeziehen.
Die Thematik des Freihandels ist in den letzten Monaten in der Schweiz wieder verstärkt in die Medien gerückt. Hintergrund sind die laufenden Verhandlungen zwischen der EU und den USA zu einem möglichen Freihandelsabkommen (TTIP). Sollte ein solches Abkommen tatsächlich zu Stande kommen – die Eckpfeiler sollen noch in diesem Jahr ausgehandelt werden – dürfte sich die Schweiz dem damit verbundenen Druck aus gesamtwirtschaftlichen Interessen kaum entziehen können. Sie wäre wohl unter hohem Zeitdruck gefordert, sich am TTIP anzudocken. Speziell die Landwirtschaft würde dabei durch den Druck auf die Preise und die geltenden Produktionsstandards stark tangiert. Prof. Martin Binswanger postuliert mit Blick auf die im Vergleich zu den anderen Wirtschaftssektoren fehlende Konkurrenzfähigkeit, dass die Landwirtschaft aus Freihandelsverhandlungen auszunehmen wäre.
Die Schweiz verfügt über ein weitreichendes Netz von Freihandelsabkommen (siehe Abbildung). Mit diesen Abkommen sollen die Rahmenbedingungen für die Wirtschaftsbeziehungen mit wirtschaftlich bedeutenden Partnern verbessert und der Wirtschaft ein möglichst freier Zugang zu ausländischen Märkten ermöglicht werden. Wenn man die Liste der bestehenden Freihandelsabkommen durchgeht, fällt auf, dass darin keine grossen Agrarexporteure wie Brasilien, Argentinien, Australien oder Neuseeland vorkommen. In den bestehenden Abkommen wurde die Landwirtschaft ausgeklammert bzw. die Konzessionen beschränken sich auf einzelne Produkte (z.B. Freihandel für Käse mit der EU), auf Zollreduktionen für nicht sensible Produkte oder für Importe innerhalb der Zollkontingente. Die grossen Agrarexporteure dürften sich jedoch kaum auf Freihandelsverhandlungen einlassen, wenn die Landwirtschaft ausgeklammert wird. Zu gross sind ihre Interessen, sich über ein Abkommen einen verbesserten Marktzugang – konkret wohl über einen weitreichenden Zollabbau – für ihre Agrarprodukte zu erschliessen. Genau wie sich die Schweiz nicht auf Verhandlungen einlassen würde, wenn der Dienstleistungs- oder der Industriesektor ausgenommen wäre.
Abbildung: Netz der Freihandelsabkommen der Schweiz
Dass der Landwirtschaft in den industrialisierten Ländern eine Sonderstellung zukommt und dass sie bezüglich Wertschöpfung nicht mit anderen Branchen mithalten kann ist völlig unbestritten. Aus diesem Grund werden die Agrarmärkte in vielen Ländern durch Zollkontingente und Zölle geschützt und die landwirtschaftlichen Produzenten durch staatliche Zahlungen subventioniert. Der Ausschluss der Landwirtschaft aus dem Freihandel dürfte für eine exportorientierte Volkswirtschaft wie die Schweiz aber dennoch kein realistisches Szenario sein, weil dies den Interessen der potenziellen Handelspartner fundamental widerspricht. Der Druck, die Rahmenbedingungen für die Exportwirtschaft zu verbessern, hat mit der starken Aufwertung des Schweizer Frankens massiv zugenommen. Falls sich die EU und die USA auf ein umfassendes Freihandelsabkommen einigen, dürfte es sich die Schweiz kaum mehr leisten können, abseits zu stehen. Vielmehr dürfte für den Abschluss gewichtiger Freihandelsabkommen, unabhängig von den Entwicklungen in der WTO, eine Liberalisierung des Landwirtschaftssektors unabdingbar sein.