Christian Flury und Robert Huber. Führt das neue Direktzahlungssystem zu Direktzahlungsexzessen? Vier Argumente sprechen dagegen.
Das weiterentwickelte Direktzahlungssystem steht kurz vor der Einführung und die Betriebe müssen sich jetzt auf das neue System ausrichten. Speziell der Wegfall der tiergebundenen Direktzahlungen und die schrittweise Kürzung der Anpassungsbeiträge stellt viele Betriebe vor die Herausforderung, ihre Betriebsführung anzupassen.
Mit verschiedenen Beispielen zeigt Eveline Dudda in einem Artikel in der Zeitschrift UFA-Revue, wie mögliche Betriebsanpassungen hohe Direktzahlungsbeiträge auslösen und gleichzeitig den Arbeitsbedarf für die Bäuerin oder Bauern verringern. Sie spricht in diesem Zusammenhang von Direktzahlungsexzessen und geht davon aus, dass diese Entwicklung dem Image der Landwirtschaft schadet und die Zahlungsbereitschaft der Steuerzahler für die Direktzahlungen untergräbt. Die Beispiele, welche auf der Basis des Agridea-Beitragsrechners erstellt wurden, sind inhaltlich alle richtig und stellen plausible Anpassungsmöglichkeiten für die Landwirtschaftsbetriebe in der Schweiz dar. Um von der Berechnung zum Exzess zu kommen, braucht es jedoch die wenig schmeichelhafte Annahme, dass die Bauern das System für sich ausnutzen.
In der Realität dürften aber vier Argumente gegen eine breitflächige und einseitige Maximierung der Direktzahlungen und damit gegen Exzesse sprechen:
- Selbstbild der Landwirtschaft. Aus Sicht der Landwirte ist die Produktion von Lebensmitteln nach wie vor das wichtigste Ziel ihrer bäuerlichen Tätigkeit. Ein Rückzug auf die Landschaftspflege zur Direktzahlungsmaximierung widerspricht dem Selbstbild einer grossen Mehrheit der Betriebe. Wenn dem nicht so wäre, hätten bereits in der Vergangenheit sehr viele Betriebe auf eine gezielte Direktzahlungsoptimierung umgestellt, denn hohe Stundenlöhne mit tiefem Arbeitseinsatz waren bereits unter dem alten System möglich (z.B. mit Ackerbrachen).
- Drohender Kapitalverlust. Sehr viele Betriebe haben in der Vergangenheit in eine produktionsspezifische Mechanisierung oder in neue Gebäude investiert. Zwischen 2007 und 2011 wurden z.B. an 9250 Betriebe rückzahlungspflichtige Investitionskredite für Hochbauten mit einem Volumen von 1.35 Mia. Franken gewährt. Als Folge der Investitionen ist sehr viel Kapital in der Landwirtschaft gebunden; im Mittel sind es pro Betrieb 877‘000 Franken. Während bei den Maschinen ein Verkauf eher noch möglich ist, ist dies bei den Ställen kaum realistisch. Oder dann nur mit einem hohen Kapitalverlust, was bei einer mittleren Verschuldung von 45% der Aktiven für viele Betriebe nicht finanzierbar ist.
- Opportunitätskosten. Es ist richtig, dass mit einer sehr arbeitsextensiven Bewirtschaftung von Flächen dank der verschiedenen Direktzahlungen sehr hohe Arbeitsentschädigungen pro Stunde erzielt werden können. Offen bleibt aber, wo und wie die als Folge einer weitreichenden Extensivierung und Umstellung auf eine viehlose Bewirtschaftung freigesetzten Arbeitskapazitäten eingesetzt werden können und welche Entlöhnung generiert wird. Die Umstellung auf eine sehr arbeitsextensive Bewirtschaftung lohnt sich aus ökonomischer Sicht nur, wenn damit das Gesamteinkommen verbessert wird.
- Qualität der ökologischen Leistungen. Die mit dem neuen Direktzahlungssystem angestrebte Leistungsabgeltung bedingt, dass die entsprechende Leistung resp. Qualität auch erbracht wird. Dies dürfte wohl nur auf einem Teil der Fläche mit minimalem Aufwand möglich sein. Zudem haben die Betriebe unterschiedliche naturräumliche und betriebsspezifische Potenziale. Nicht jeder Betrieb kann die Anforderungen erfüllen ohne gleich den ganzen Betrieb umzustellen und nicht jeder Betrieb verfügt über Nass- oder Feuchtstandorte, die er als Streueflächen extensiv nutzen kann. Auch hier hat die Erfahrung aus den letzten Jahren gezeigt, dass trotz hohen Direktzahlungen für ökologische Ausgleichsflächen, die quantitativen und qualitativen Ziele nicht erreicht wurden.
Eveline Dudda geht davon aus, dass die Bereitschaft der Bevölkerung Direktzahlungen an die Landwirtschaft auszurichten sinken wird, wenn offenbart würde, dass hinter den ökologischen Direktzahlungen wenig Arbeitseinsatz steht. Das Problem des heutigen Systems liegt aber gerade darin, dass die Rechtfertigung für die Direktzahlungen auf wackligen Füssen steht. Direktzahlungen, welche keine Leistungen abgelten, sondern nur als Kompensationszahlungen für tiefe landwirtschaftliche Einkommen dienen sollen, haben weder politisch noch gesellschaftlich eine Zukunft.
Sehr geehrter Herren Huber und Flury
Es freut mich natürlich, wenn mein Artikel sogar eine Diskussion im Agrarpolitik-Blog auslöst. Ich erlaube mir den Ball aufzunehmen und Ihre Gegenargumente zu kontern. Ich finde es zwar grundsätzlich löblich, dass sie die Bauern nicht verdächtigen, reine Direktzahlungsmaximierung anzustreben – was auf die Mehrheit sicher zutrifft – doch um die Direktzahlungen in Verruf zu bringen reicht eine Minderheit aus. Ob das Dutzende oder Hunderte oder Tausende sind, wage ich nicht zu prophezeihen. Aber eine Minderheit gibt es mit Sicherheit.
1) Selbstbild: Sie argumentieren hier mit „weichen“ Faktoren. Meines Wissen beruhen sämtliche Modellrechnungen zur AP14-17 aber auf „harten“ Fakten wie Skaleneffekten, Rentabilität etc. Oder täusche ich mich da? Wenn das so ist, wäre ich in guter Gesellschaft. Denn auch die Milchverarbeiter haben sich getäuscht, als sie glaubten, die Bauern hingen so sehr an ihren Milchkühen, dass sie sich dafür grenzenlos und dauerhaft selbst ausbeuten. Trotzdem hat in den letzten 12 Monaten jeder fünfundzwanzigste Verkehrsmilchproduzent das Melkzeug an den Nagel gehängt und das ist womöglich erst der Anfang einer Ausstiegswelle. Diese Bauer sind oft nicht nur verbittert sondern auch verschuldet. Damit hätten wir schon einmal 1000 bis 2000 potentielle Direktzahlungsoptimierer die darauf angewiesen sind, viel Geld für wenig Arbeit hereinzuholen, weil sie auswärts arbeiten gehen. (Ihr Beispiel mit den Brachen hinkt übrigens: Brachen auf Ackerland müssen nach 6 Jahren wieder umgebrochen werden, sie sind ergo keine Dauerlösung. Ab gesehen davon lässt sich ein Acker auch per Lohnunternehmer mit wenig Aufwand bestellen und etwas daran verdienen. Extensive Wiesen und öko-Hochstammbäume eignen sich dagegen als dauerhafte Einkommensquellen ohne viel Arbeit zu geben. )
2) Kapitalverlust: Im Kern haben Sie sicher Recht: Wer in den letzten Jahren gebaut hat, kann sich kaum leisten seinen Tierbestand zu reduzieren, er muss melken oder Fleisch produzieren auf Teufel komm raus. (Ist das in die Modellergebnisse zur AP14-17 von Agroscope eingeflossen? Ich fürchte nicht, denn sonst hätte Agroscope ja kommunizieren müssen, dass diese Bauern zu den Verlierern der AP14-17 gehören)
Dennoch: Bei einer Abschreibedauer von 30 Jahren werden jedes Jahr 3% der Gebäude amortisiert. Hochgerechnet auf vier Jahren Agrarreform sind das 10 bis 12% der Gebäude, wobei die Gesuche für Hochbauten, die Sie auflisteten, auch Maschinenhallen, kombinierte Bauten (Wohngebäude plus Ökonomiegebäude), oder Umbauten für agrotouristische Nutzungen umfassten. Das Potential für ein paar Hundert oder Tausend DZ-Optimierer ist also ungebrochen.
Ich habe mich übrigens letztes Jahr mit Bauern aus Bayern unterhalten: Die haben entdeckt, dass sich in Agglomerationsnähe ein Stall wunderbar und wertschöpfungsstark als Wohnmobil – Einstellhalle oder – in Flughafennähe – als Dauerparkplatz vermieten lässt. Mit dem Erlös kann man sogar einen Investitionskredit vorzeitig zurückzahlen.
3) Opportunitätskosten: Auch hier gebe ich Ihnen Recht, was den Grundsatz angeht. Deshalb werden auch viele Bergbauern, vor allem auf abgelegenen Höfen, nicht von der AP14-17 profitieren können. (Ist das in die Modellrechnungen von Agroscope eingeflossen?) Allerdings lassen Sie bei Ihrer Argumentation ausser Acht, dass schweizweit 16’000 Betriebe im Nebenerwerb geführt werden und es werden laufend mehr. 22’000 Bauern / Bäuerinnen leisten weniger als 50% ihrer Arbeitszeit in der Landwirtschaft. Dieser Personengruppe wird es nicht schwer fallen, auf die zusätzliche Arbeitsbelastung zu verzichten, bzw. diese zu reduzieren, aber das Geld für extensive Wirtschaftsweise in Empfang zu nehmen.
4) Ökologische Qualität: Hier bin ich sogar völlig mit ihnen einverstanden: Nicht jeder Standort eignet sich für ökologische Qualität. Es ist mir deshalb schleierhaft, wieso BLW und Bundesrat behaupten, dass sich die Ökoflächen qualitativ verbessern werden zumal sich an den bislang als ineffizient erwiesenen Direktzahlungsinstrumenten auch in Zukunft nichts ändern wird. Ich habe in meinen Beispielrechnungen wohlweislich nur einen Anteil Ökoqualität eingerechnet. Die detaillierten Berechnungen finden Sie hier: http://www.dudda.ch/upload/UFA-Revue_Berechnungsgrundlagen_ED.pdf
Dass die Ökoqualität in der Vergangenheit nicht zugenommen hat, wundert mich nicht. Bei nahezu allen Direktzahlungen wird ja nicht das Ergebnis, sondern rein das Verhalten belohnt. Ihr Kollege Walter et al. haben in der Studie Operationalisierung Umweltziele Landwirtschaft ja sehr schön aufgezeigt, wie in hunderten bis Tausenden von Vernetzungsprojekten nur die gleichen 12 bis 15 Allerweltsarten gefördert werden.
Wie gesagt: Es braucht nicht Tausende von Direktzahlungsoptimierern, sondern es reichen 3, 4, 5 Beispiele, die an die Öffentlichkeit gelangen um den Unmut unter der Bevölkerung zu schüren. Dass sich diese wenigen Beispiele finden, ist wohl unbestritten. Direktzahlungsexkzesse gibt es schon heute, nur redet niemand darüber, weil alle Angst haben, dass dann die ganze Branche darunter leidet.
Ich habe noch eine ganz grundsätzliche Bemerkung: Das Schweizer Volk hat 1996 mit 77 Prozent der Stimmenden eine multifunktionale Landwirtschaft in der Verfassung verankern lassen. Und in diesem Verfassungsartikel 104 sind nun mal wirklich keine reinen Landschaftspflegebetriebe vorgesehen. Sondern dort heisst es: Der Bund sorgt dafür, dass die Landwirtschaft durch eine nachhaltige und AUF DEN MARKT AUSGERICHTETE PRODUKTION einen wesentlichen Beitrag leistet zur a) sicheren Versorgung der Bevölkerung; b) Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und zur Pflege der Kulturlandschaft; c) dezentralen Besiedlung des Landes.
Dort steht auch, dass die Direktzahlungen das Einkommen am Markt nur ergänzen sollen, also subsidiären Charakter haben. In der AP14-17 besteht nun weder ein Zwang zu einer Mindestproduktion (=Versorgung der Bevölkerung, Ausrichtung auf den Markt) noch werden Anreize gesetzt, um den subsidiären Charakter sicherzustellen (z.B. einen Anteil Mindesteinkommen aus dem Markt). Wenn man ganz provokativ sein wollte, könnte man den Verfassern der AP14-17 sogar vorwerfen, sie förderten damit verfassungswidriges Verhalten. Denn es werden ja diejenigen mit den höchsten Direktzahlungen belohnt, die am wenigsten der Verfassung nachleben und Lebensmittel produzieren und versuchen ihr Einkommen am Markt zu generieren.
So weit möchte ich zwar nicht gehen, aber bei dieser Gelegenheit noch darauf hinweisen, dass die Bilanz der AP14-17 äusserst dürftig ist: Laut Modellrechnungen gibt es nur dort mehr Ökoflächen, wo es heute schon viel bis genügend Ökoflächen hat, nämlich im Berggebiet. Die kleinen, wenig verdienenden Bergbauern, die das Volk gerne besser unterstützen wollte, werden von der AP14-17 kaum profitieren. Ein Teil der Kleinbauern / Bergbauern dürfte im Gegenteil der SAK-Guillotine zum Opfer fallen, die erst im Jahr 2014 scharf gestellt wird. Die Vergandung im Berggebiet wird weitergehen (gemäss Flury et.al) und das Fleisch, das wir nicht in der Schweiz produzieren, wird einfach im Ausland Ammoniak emittieren, weil wir es dennoch essen. Die Kalorienproduktion via Ausdehnung des Brotgetreideanbaus ist ein Witz, da wir bereits heute soviel Brotgetreide produzieren dass regelmässig Überschüsse deklariert werden müssen. Sie sehen, es gibt fürwahr viel auszusetzen an der AP14-17. Ich habe mir erlaubt anzufangen.
Mit freundlichen Grüssen
Eveline Dudda
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