Mangelnde Daten und komplexe Zusammenhänge verunmöglichen eine exakte Bemessung multifunktionaler Leistungen. Die Agrarpolitik muss diese Unschärfe ertragen.
Letzte Woche sorgte die Schweizer Landwirtschaft gleich für zwei Titelgeschichten in der Presse. Der Tages-Anzeiger berichtete am 7. Mai 2013 über die von der Agrofutura geleitete Studie zum Vergleich des Umwelt- und Tierschutzes in ausgewählten Regionen Europas und titelte: „Schweizer Bauern weniger öko als gedacht“. Die Sonntagszeitung zeigt in ihrer Ausgabe vom 12.Mai, wie die Direktzahlungen auf Gemeindeebene verteilt werden und vermeldete, dass Jurassier und Bündner am meisten profitieren würden.
Obwohl die beiden Artikel oberflächlich betrachtet verschiedene Aspekte der Agrarpolitik beleuchten, haben sie doch einen gemeinsamen Kern. Im Grunde geht es in beiden Fällen um die Frage, wie hoch der Beitrag der einzelnen Bäuerin und Bauern zu einer multifunktionalen Landwirtschaft ist (was den Bezug von Direktzahlungen erklären und rechtfertigen würde) und wie man diesen Beitrag misst (damit man internationale oder nationale Vergleiche durchführen kann)?
Aus einer agrarökonomischen Perspektive ist die exakte Evaluation dieses Beitrags nicht nur schwierig, sondern geradezu unmöglich. Der Grund dafür ist, dass die landwirtschaftliche Produktion und die Erbringung der multifunktionalen Leistungen nicht systematisch getrennt werden können. Was in der agrarökonomischen Literatur als Koppelproduktion (jointness) bezeichnet wird und schon oft untersucht wurde, ist in der Praxis einfach verständlich: Wenn der Bauer eine Wiese mäht, kann man nicht exakt abgrenzen (oder nur unter grossem Aufwand), wie viel der anfallenden Kosten zu Lasten der landwirtschaftlichen Produktion bzw. der Landschaft (Biodiversität / Natur) gehen.
Dieser Zusammenhang macht auch die Messung von multifunktionalen Leistungen schwierig, weil die Koppelproduktion in vielen Fällen zu Austauschbeziehungen führt. Das Beispiel des Methanausstosses zeigt dies exemplarisch. Die Schweiz stösst insgesamt mehr Methan pro Hektare landwirtschaftlicher Nutzfläche aus als Österreich, Frankreich oder Deutschland. Da der Methanausstoss jedoch ein globales Problem ist und landwirtschaftliche Güter gehandelt werden (im Gegensatz zu Umweltleistungen), würde eine Reduktion der Methanemissionen im Grasland Schweiz unweigerlich zu einer Reduktion der Nahrungsmittelproduktion führen. Wenn wir uns weiterhin gleich ernähren, würde das Methan einfach anderswo auf der Welt produziert. Der relevante Indikator müsste sich folglich auf die Produktion (Methanemission / kg Milch oder Fleisch) und nicht die Fläche beziehen. Damit wird jedoch die Vergleichbarkeit mit anderen multifunktionalen Leistungen, die sich sinnvollerweise auf die regionale Fläche beziehen, verunmöglicht.
Die Studie der Agrofutura erwähnt als Hauptergebnis ausdrücklich (S. 57), dass „ (…) es zu wenige vergleichbare Daten gibt, um die Länder zuverlässig zu vergleichen.“ Der Zugang zu mehr Daten würde das Problem aber nicht abschliessend lösen. Einerseits weil es schlicht zu teuer wäre, ein Monitoring für sämtliche relevanten Parameter aufzubauen. Andererseits weil auch noch so viele Daten die systematischen Zusammenhänge zwischen der landwirtschaftlichen Produktion und ihrer multifunktionalen Leistungen nicht restlos aufschlüsseln können. Die Festlegung von Direktzahlungen und die Messung der erbrachten Leistungen sind daher eine äusserst komplexe Angelegenheit. Die Rechtfertigung für unterschiedliche Leistungen (in verschiedenen Ländern) und Zahlungen (zwischen verschiedenen Regionen im Inland) bleibt daher immer mit einer gewissen Unschärfe behaftet. Für eine inhaltlich konsistente Agrarpolitik gilt es diese Unschärfe auszuhalten.