Inlandanteil unter Freihandel: keine 1/0 Entscheidung

Robert Huber. Wenn der Grenzschutz abgebaut wird, sinkt der Anteil der Schweizer Produkte, die im Inland abgesetzt werden können. Aber um wie viel? Die Dissertation von Conradin Bolliger gibt (Teil-)Antworten.

Ein potenzielles Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA rückte die in der letzten Zeit kaum diskutierte Öffnung der Schweizer Landwirtschaft wieder etwas stärker in den Fokus der agrarpolitischen Debatte. Dabei zeigte sich ein bekanntes Muster: Die Befürworter rücken die volkswirtschaftliche Perspektive und die erwarteten Wohlstandsgewinne in den Vordergrund. Die Gegner einer Öffnung argumentieren weitgehend auf die sektorale Ebene und damit mit dem Verlust der landwirtschaftlichen Produktion.

Je nach Sichtweise lassen sich auch die Auswirkungen des Käsefreihandels mit der EU unterschiedlich interpretieren. Dabei zeigt die Evaluation des Käsefreihandels im Wesentlichen zwei Punkte auf. Erstens besteht eine grosse Unsicherheit darüber, wie sich der Freihandel längerfristig auf die Handelsbilanz auswirkt. Das hat vor allem damit zu tun, dass andere Faktoren wie beispielsweise Frankenstärke, Konsumentenverhalten oder interne Stützungsmassnahmen einen erheblichen Einfluss auf die Bilanz haben. Zweitens haben, dies in Übereinstimmung mit der ökonomischen Theorie, sowohl die Importe als auch die Exporte stark zugenommen.

Die Zunahme der Importe ist für die inländische Produktion eine grosse Herausforderung. Für den Erfolg der Schweizer Landwirtschaft ist zentral, wie gut sie die Marktanteile im Inland verteidigen kann, ohne dass das Preisniveau auf EU Ebene sinken muss. Das Stichwort dazu lautet Swissness und die Frage ist, wie hoch die Preisdifferenz zu EU Produkten sein darf, damit die Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten nach wie vor inländische Produkte gegenüber den Importen vorziehen.

Zu diesem Thema hat Conradin Bolliger (Bolliger 2012) im letzten Jahr eine Dissertation an der ETH abgeschlossen. Er hat dabei die Präferenzen der Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten für drei Produktekategorien (Äpfel, Erdbeeren und Pouletfleisch) analysiert. Die Untersuchung zeigt, dass die Schweizer Herkunft ein wichtiges Argument beim Kauf von Agrarerzeugnissen ist und dass Konsumenten gewillt sind, für Schweizer Produkte deutlich mehr zu bezahlen.

Dieses Ergebnis mag nicht wirklich zu überraschen, die zentrale Erkenntnis im Zusammenhang mit der Öffnung der Märkte ist jedoch, dass die Erhaltung des Inlandanteils nicht einfach ein 1/0 Entscheidung ist, wie vielfach in der Agrardebatte suggeriert wird. Mit anderen Worten, eine Öffnung der Grenzen bedeutet nicht, dass automatisch nur noch Importe gekauft werden – und umgekehrt bedeutet es auch nicht, dass der Anteil der Schweizer Produkte je nach Produktkategorie und Preisdifferenz einfach so gehalten werden kann.

Die Abbildung aus Conradin Bolligers Dissertation für den Kauf von Pouletfleisch zeigt diesen Effekt sehr anschaulich. Auf der y-Achse ist die Wahrscheinlichkeit aufgetragen, mit der die KonsumentInnen einen Aufpreis gegenüber dem EU Preis zu akzeptieren bereit sind. Auf der x-Achse ist der Aufpreis in Franken pro Kilogramm aufgeführt. Die Berechnungen mit verschiedenen statistischen Modellen (durchgezogene Linien) zeigen den generellen Effekt, dass mit zunehmendem Preiszuschlag die Wahrscheinlichkeit eines Kaufs abnimmt. Auf der rechten Seite der Abbildung ist der jeweilige (hypothetische) Inlandanteil der Schweizer Pouletproduktion für das entsprechende Preisniveau abzulesen. Wäre Poulet aus Frankreich und der Schweiz gleich teuer, würden 90% der Konsumentinnen und Konsumenten das inländische Fleisch vorziehen. Läge der Preis für das Schweizer Poulet 13 Fr. über demjenigen aus der EU, würde der Inlandanteil auf 30% sinken. Diese Preisdifferenz entsprach während der Erhebung der Daten der Differenz zwischen EU Pouletfleisch und dem im Inland produzierten Poulet-Filet.

Bolliger-Diss

Die Erkenntnisse aus der Fallstudie für Poulet lassen sich nicht einfach verallgemeinern. Sie geben aber einen Anhaltspunkt in der Diskussion über Agrarfreihandel, bei der oft emotional und weniger aufgrund von Untersuchungen und Daten diskutiert wird. Tendenziell würde mit der bestehenden Kostenstruktur für diejenigen Produkte aus der Schweiz, die eine relativ grosse Preisdifferenz zum benachbarten Ausland aufweisen, der Inlandanteil wohl unter 50% fallen. Will man den Inlandanteil vollständig verteidigen, reicht daher wohl die Qualitätsstrategie alleine nicht aus. Über kurz oder lang müssten auch die Kosten im Inland sinken, um die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber EU Produkten zu steigern. Darüber sind sich wohl auch die Gegner und Befürworter von Freihandelsabkommen einig.

 

Bolliger C. (2012): Ökonomische Betrachtung der Herkunftsangabe bei Agrarerzeugnissen. Analyse der Präferenz und Zahlungsbereitschaft für die Herkunft Schweiz. Diss., Eidgenössische Technische Hochschule ETH Zürich, Nr. 20415, 2012 http://dx.doi.org/10.3929/ethz-a-007593658

Eine Antwort auf „Inlandanteil unter Freihandel: keine 1/0 Entscheidung

  1. Vielen Dank für den sehr spannenden Beitrag. Ich würde gern eine deiner Aussagen noch weiter ausbauen: „Will man den Inlandanteil vollständig verteidigen, reicht daher wohl die Qualitätsstrategie alleine nicht aus“. Schaut man in der Abbildung auf die Situation ohne Preisunterschied (Aufpreis=0), sieht man das der CH-Marktanteil „nur“ bei ca. 90% liegt. Das heisst, ein Teil der Konsumenten präferiert bei gleichem Preis EU Produkte (oder ist indifferent). Schaut man in die Studie von Conradin, so sieht man dass auch hochpreisige EU Label-Produkte als Referenz dienten, also auch von Konsumenten präferiert und gekauft werden. In diesen (Ausnahme-)Fällen wäre wohl auch eine Preisstrategie gefragt um gegen diese Konkurrenz im Wettbewerb zu bestehen. Daher ist der „keine 0/1-Entscheidung“ Argumentation nur zuzustimmen: heterogene Präferenzen und Produkt- und Preisdifferenzierung werden immer zu einem diversen Kosumportfolios führen.

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