Liberalisierung und Verteilung

Professor Eichenberger von der Uni Freiburg plädiert für eine Öffnung und Liberalisierung der Agrarmärkte. Die Verteilungswirkung von Marktöffnungen sollte man aber genau prüfen und nicht auf die leichte Schulter nehmen.

In der NZZ am Sonntag vom 6. Januar schrieb Reiner Eichenberger, Professor für Theorie der Wirtschafts- und Finanzpolitik an der Universität Freiburg, welche Massnahmen zu einer Bekämpfung des hohen Preisniveaus in der Schweiz zu ergreifen seien. Er plädierte dafür, dass auch eine einseitige, internationale Marktöffnung sich positiv auf den Wohlstand der Schweizerinnen und Schweizer auswirken würde.

Zum Massnahmenpaket gehören auch die Forderung nach einer Liberalisierung der Agrarmärkte und eine nicht weiter definierte Senkung der Subventionen an die Landwirtschaft. Inwiefern diese Massnahmen tatsächlich zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Situation für den einzelnen Schweizer Bürger führt, ist keine triviale Frage.

Mit einem Freihandelsabkommen mit der EU rechnet beispielsweise der Bund (EDI) mit einem volkswirtschaftlichen Plus von jährlich 2 Milliarden d.h. 0.5% des BIP (ohne dynamische Effekte). Nicht wirklich viel also und daher kein sehr gutes Argument für den Freihandel. In vielen Fällen ist aber nicht eine aggregierte, volkswirtschaftliche Betrachtung sinnvoll, sondern diejenige einer Entwicklung pro Einwohner oder Haushalt. Professor Eichenberger argumentierte in seinem Beitrag, dass gerade darüber die Medien häufiger berichten sollten.

Die untenstehende Abbildung zeigt die Ausgaben für Nahrungsmittel und Getränke für verschiedene Haushalts-Einkommenskategorien und dem entsprechenden Anteil am Brutto- und am verfügbaren Einkommen für die Jahre 2006-2008 (BFS). Sie zeigt, dass reichere Haushalte pro Monat viel mehr Geld für Nahrungsmittel ausgeben, der prozentuale Anteil dieser Ausgaben jedoch bei tieferen Haushaltseinkommen sehr viel grösser ist. Jeder fünfte Schweizerin oder Schweizer muss fast knapp einen sechstel seines verfügbaren Einkommens für Nahrungsmittel und Getränke ausgeben.

Ausgaben-Haushalt

Nehmen wir an, dass die Öffnung der Agrarmärkte den Preis für Nahrungsmittel um 25% senken würde (EDI, BAK Basel). Der Effekt wäre, dass diejenigen, die mehr für den Konsum ausgeben, absolut auch stärker profitieren könnten (auch ohne die auswärtige Verpflegung). Zweitens kann man annehmen, dass Haushalte mit tiefem verfügbaren Einkommen bereits heute versuchen, möglichst billig einzukaufen. Der Effekt auf das verfügbare Einkommen wird daher bei tiefen Einkommen geringer sein als bei hohen, denn es wird auch nach der Preissenkung Haushalte geben, die sich kein Rindsfilet werden leisten können (egal ob es 25 oder 50% billiger sein wird). Dies wird insbesondere dann problematisch, wenn die wirtschaftliche Öffnung auch den Druck auf niedrige Löhne erhöht, was von den Befürwortern einer Öffnung verneint würde.

Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass die Verteilungswirkung ein zentraler Aspekt von Marktöffnungsszenarien ist, sowohl auf der Angebots- wie auch auf der Nachfrageseite. Es lohnt sich tatsächlich genau hinzuschauen, wer wie viel von einer Marktöffnung profitiert. Ob man am Ende aber zum Schluss kommt, dass eine einseitige Öffnung die beste Option ist, sei dahingestellt. Damit soll selbstverständlich nicht gesagt werden, dass billigere Lebensmittel kein Vorteil für einkommensschwache Haushalte seien. Nur ist der Wohlstandsgewinn geringer als bei reicheren und es gäbe vielleicht gerechtere Instrumente um die Situation einzelner Haushalts zu verbessern. Man kann aber auch davon ausgehen, dass eine einseitige Öffnung den Schweizer Produzenten den Anreiz geben würde, ihre Produktionsnormen zu senken (Eichenberger 2005). Man würde schliesslich weniger bezahlen aber auch weniger bekommen, wie das Beispiel des Apfelweins zeigt. Auch das kein gutes Argument für eine einseitige Öffnung.

Quellen:

EDI, Eidgenössisches Departement des Innern, Verhandlungen Schweiz-EU für ein Freihandelsabkommen im Agrar- und Lebensmittelbereich (FHAL); Verhandlungen Schweiz-EU für ein Abkommen im Bereich der öffentlichen Gesundheit (GesA): Ergebnisse der Exploration und Analyse.

BFS, Haushaltsbudgeterhebung, 2006–2008

BAK Basel 2010. Kosten, Preise und Performance Der Schweizer Detailhandel im internationalen Vergleich.

Eichenberger R. 2005. Hochpreisinsel Schweiz: Ursachen, Folgen, wirkungsvolle Rezepte, Agrarwirtschaft und Agrarsoziologie 02/05, S. 41-54.

 

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

About Robert Huber