Verbesserte Bewertung von Klimarisiken für die Landwirtschaft

Yean-Uk Kim, Alex C. Ruane, Robert Finger & Heidi Webber* 

Der Klimawandel geht mit einer höheren Intensität und Häufigkeit extremer Wetterereignisse wie Hitzewellen, Dürren und übermässigen Niederschlägen einher. Diese bringen die weltweiten Ernährungssysteme an ihre Grenzen. In einem kürzlich in der Fachzietschrift Nature Food veröffentlichten Artikel argumentieren wir (Kim et al., 2025), dass aktuelle Bewertungen der Risiken für Nutzpflanzen durch den Klimawandel nicht alle dieser erwarteten Auswirkungen erfassen. Dies schränkt unsere Fähigkeit zur Anpassung und zum Übergang zu einem nachhaltigeren Ernährungssystem ein. Pflanzenwachstumsmodelle (processed based crop models) sind ein essenzielles Instrument, um aktuelle und zukünftige Agrarsysteme zu untersuchen und Klimawandel-Anpassungs- und Vermeidungsstrategien zu identifizieren, zu bewerten und zu priorisieren. Zwar wurden bei der Modellierung einiger wichtiger Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft – wie stetig steigende Temperaturen, die Anstieg der CO₂-Konzentration, und Veränderungen der Gesamtniederschlagsmenge– erhebliche Fortschritte erzielt, doch sind wir noch nicht in der Lage, die Auswirkungen vieler Extremereignisse zu verstehen und abzubilden, und wie diese die zukünftige landwirtschaftliche Produktivität und Ernährungssicherheit einschränken könnten.

Wichtige Risiken werden nicht ausreichend berücksichtigt.

Risikobewertungen stützen sich oft auf Pflanzenwachstumsmodelle, die mithilfe historischer Feldversuche und Ertragsdaten kalibriert und validiert wurden. Da sich jedoch die Klimamuster verändern, lassen sich aus dem Wetter von gestern keine Vorhersagen für morgen treffen. Ebenso können sich die landwirtschaftlichen Betriebe, die Lebensmittel für zukünftige Generationen produzieren, stark von den heutigen Betrieben unterscheiden. Mit anderen Worten: Die Vergangenheit ist kein verlässlicher Wegweiser für die Zukunft. Neben den traditionellen, um Verzerrungen bereinigten Klimamodellprognosen, die zum Beispiel oft unter einer zu groben Auflösung leiden, besteht eine Lösung darin, stochastische Wettergeneratoren zu verwenden. Diese erstellen synthetische Wetterdaten auf der Grundlage von Mustern wie Durchschnittstemperaturen oder Niederschlagsmengen. Diese Tools sind zwar nützlich, liefern jedoch oft kein vollständiges Bild. Sie haben Schwierigkeiten mit extremen Risiken, d.h. selten auftretenden, aber verheerenden Ereignissen. Ausserdem können sie nicht erfassen, wie sich kombinierte und aufeinanderfolgende Extreme, die mit dem Klimawandel wahrscheinlicher werden, auf die Agrar- und Ernährungssysteme auswirken werden. Dank der jüngsten Fortschritte in der Datenverarbeitung können wir heute mithilfe von Klimamodellen eine Vielzahl möglicher zukünftiger Wetterszenarien simulieren. In der Landwirtschaft werden diese jedoch nach wie vor nur unzureichend genutzt, was unter anderem auf den erheblichen Rechenaufwand und den Mangel an Leitlinien zum Detaillierungsgrad und Umfang dieser Simulationen zurückzuführen ist.

Die Modelle müssen verbessert werden.

Selbst mit perfekten Klimadaten wären viele Pflanzenwachstumsmodelle für die Risikobewertung immer noch unzureichend. Zwar haben sie erhebliche Verbesserungen bei den durchschnittlichen Klimaauswirkungen erzielt, sie berücksichtigen jedoch oft die wichtigsten Stressfaktoren im Zusammenhang mit Extremereignissen wie Staunässe, Frost, Schädlinge, Krankheiten und Kombinationen dieser Risiken nicht ausreichend. All diese Faktoren werden aufgrund des Klimawandels wahrscheinlich häufiger auftreten und sich verschärfen. Dass diese Ereignisse in den aktuellen Modellen oft fehlen, liegt unter anderem an ihrer enormen Komplexität. Wie soll man jede mögliche Kombination von Stressfaktoren in jeder möglichen Intensität und zu jeder Jahreszeit simulieren? Herkömmliche Ansätze über die Nutzung von Feldversuchen können diese Vielfalt allein nicht bewältigen. Im Rahmen des Agricultural Model Intercomparison and Improvement Project (AgMIP, http://www.agmip.org) werden zum Beispiel Arbeiten durchgeführt, die den Fortschritt beschleunigen und so den Nutzen für von Modellen erhöhen werden. Zur Verbesserung von sind zum Beispiel zwei Ansätze sinnvoll: (1) die Durchführung komplexerer ‘Regressionsexperimente’, bei denen mehrere Niveaus von ‘treatments’ gemeinsam ausgewertet werden, um ein breiteres Spektrum an Variablen aus Versuchen zu testen, und (2) die Nutzung gross angelegter Datenerhebungen direkt von landwirtschaftlichen Betrieben unter Einsatz neuer Technologien wie Fernerkundung und anderer digitaler Sensoren in Zusammenarbeit mit Landwirt:innen. Durch die Kombination dieser neuen, grossen Datenmengen mit Ansätzen des maschinellen Lernens können hybride Modelle entwickelt werden, die Theorie (zum Beispiel bezüglich Pflanzenwachstum) mit Empirie und Mustererkennungsfähigkeit der künstlichen Intelligenz verbinden.

Beyond Yield: The Bigger Picture

Schliesslich sollte Modellierung und Risikobewertungen Tradeoffs und Synergien zwischen verschiedenen Nachhaltigkeitsaspekten wie Ertragsniveau, Rentabilität, Nährstoffverlusten und Treibhausgasemissionen in der Zukunft besser abbilden und stärker berücksichtigen. So kann eine Anbaumethode zwar den Ertrag steigern, aber auch den Nährstoffverluste und Gewässerverschmutzung erhöhen. Oder eine Anbaumethode kann zwar die Treibhausgasemissionen reduzieren, aber zu geringeren Erträgen und Gewinnen führen. Diese Art von Tradeoffs aber auch mögliche Synergien zwischen verschiedenen Ansätzen, Kulturen, Regionen und Zeiträumen erhöht die Komplexität der Modellierung und Analyse zusätzlich. Ebenso sind Synergien zwischen Anpassungs- und Vermeidungsstrategien sowie mit anderen SDGs (Zielen für nachhaltige Entwicklung) möglich. Dies unterstreicht die Notwendigkeit besserer Instrumente zur Quantifizierung und Visualisierung dieser Tradeoffs und Synergien.

Bei der Konzeption geeigneter Risikomanagement-Portfolios, die aus Risikominderung durch angepasste Anbausysteme und verbesserte Genotypen sowie wirtschaftlichen Instrumenten wie Versicherungen, neuartigen Finanzierungsmechanismen und/oder Diversifizierung der Landwirtschaft bestehen, müssen eine Reihe sozioökonomischer Faktoren berücksichtigt werden. Wenn sich die globale Agrarmodellierungsgemeinschaft diesen Herausforderungen stellt, entsteht die Chance, Risiken zu reduzieren, Investitionen auf landwirtschaftlicher und politischer Ebene zu priorisieren und somit den Übergang zu nachhaltigeren, wirtschaftlich tragfähigen und gerechteren Agrar- und Ernährungssystemen zu unterstützen.

Studie: Kim, Y.-U., Ruane, A.C., Finger, R. Webber, H. Robust assessment of climatic risks to crop production. Nature Food (2025). https://doi.org/10.1038/s43016-025-01168-1

Freier Zugang: https://rdcu.be/elbbg

Autoren: Yean-Uk Kim (Leibniz Centre for Agricultural Landscape Research (ZALF), Germany), Alex C. Ruane (NASA Goddard Institute for Space Studies, USA)  Robert Finger (ETH Zürich) & Heidi Webber (ZALF and Brandenburg University of Technology, Cottbus, Germany). Contact: webber@zalf.de

5 Antworten auf „Verbesserte Bewertung von Klimarisiken für die Landwirtschaft

  1. Es tut mir leid, wenn dies eine unwissenschaftliche Frage ist: Kommt der Umstellung von Monokultur / großen Schlägen auf Vielfalt in Sorten und Verkleinerung der Schläge & Maschinen, Änderung der Anbaumethoden etc eine Bedeutung bei der Anpassung an den Klimawandel und Verringerung des CO2 Footprints zu? Gibt es dazu ggf. wisseschaftliche Untersuchungen? 🐑

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    1. Vielen Dank für die Frage! Absolut: Diversifikation, der Kulturen, Sorten, Anbaumethoden aber auch Einkommensquellen ist eine zentrale Anpassungsstrategien für Betriebe. Ein spezifisches Beispiel hier https://agrarpolitik-blog.com/2024/09/25/die-rolle-der-anbaudiversifizierung-im-umgang-mit-durrerisiken/ und ein Übersichtsblog https://agrarpolitik-blog.com/2022/08/10/klimawandel-und-die-europaische-landwirtschaft-auswirkungen-und-anpassungsmassnahmen/. Und ja: Anpassung sollte nie ohne Vermeidung gedacht werden. Hier eine Studie mit dem ZALF zum Thema Agrarökologie und wie dies (inklusive Diversifikation auf vielen Ebene) Agrar- und Ernährungssysteme nachhaltiger und resilienter zu machen https://doi.org/10.1146/annurev-resource-102422-090105 . Hier auch noch ein Link zu den Aktivitäten des ZALF zum Thema https://www.zalf.de/en/themen/Pages/Thema2.aspx

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  2. Werter Prof. Dr. Finger,

    für eine Politikberatung finde ich die aufgestellten Appelle richtig und zielführend: die Ausgestaltung der zukünftigen Agrarpolitik (unabhängig von Wirtschaftsräumen) im Sinne von Sicherstellung der Nahrungsmittelversorgung brauche handfeste Argumente. Deswegen ist ein weiterer Ausbau einer Forschungsinfrastruktur zwingend notwendig. Aus einer einzelbetrieblichen Sicht muss man mittlerweile eher von einem „Worst Case -Szenario“ ausgehen und entsprechende (Klima)Anpassungsmaßnahmen in Gang bringen. Dabei ist ein Mix von verwendeten Instrumenten die bewährte Lösung. Datengetriebene Entscheidungsunterstützungssysteme (SAT, IoT, AR, etc.) kann man unendlich weiter optimieren, jedoch müssen sie die einfache „Kosten/Nutzen“-„Reifeprüfung“ bestehen.

    Vielen Dank für die Teilung Ihrer Forschungsarbeit und damit gefühlte Nähe von Wissenschaft zu deren Stakeholdern! Weiter so und viele Grüße aus der trockenen hessischen Wetterau.
    Janusz Pavel

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    1. Vielen Dank für das Feedback! Sehr wichtige Punkte: ja, es braucht betriebliche und regionale Perspektiven. Hier ein paar Reflexionen zur Anpassung https://agrarpolitik-blog.com/2022/08/10/klimawandel-und-die-europaische-landwirtschaft-auswirkungen-und-anpassungsmassnahmen/. Und ja, es braucht einen Mix aus Strategien und Massnahmen, und am Ende müssen such die Dinge auch lohnen. Anpassung kostet Geld. Daten und Modelle, wie diese die wir hier vorschlagen und diskutieren können allen Involvierten helfen, diese Investitionen besser und effizienter zu machen. Beste Grüsse, Robert Finger

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About Robert Finger

I am professor of Agricultural Economics and Policy at ETH Zurich. Group Website: www.aecp.ethz.ch. Private Website: https://sites.google.com/view/fingerrobert/home