von Robert Huber, Marta Tarruella, David Schäfer und Robert Finger* In der Berechnung von Vermeidungskostenkurven von Treibhausgasemissionen, welche für die Politikberatung genutzt werden, sollten die Interaktionen zwischen Massnahmen und die Heterogenität zwischen den Betrieben berücksichtigt werden.
Die Schweizer Landwirtschaft muss ihre Treibhausgasemissionen reduzieren. Gemäss dem Bundesamt für Landwirtschaft sollen bis 2050 die Emissionen der Landwirtschaft um mindestens einen Drittel reduziert werden. Auch die vor- und nachgelagerte Industrie setzt sich ambitionierte Klimaziele. Gleichzeitig soll aber auch kurzfristig die landwirtschaftliche Produktion nicht massgeblich eingeschränkt werden, damit es nicht zu einem sogenannten Carbon Leakage kommt. Leakage bedeutet in diesem Fall, dass die im Inland erzielte Reduktion an Treibhausgasemissionen durch gesteigerte Nahrungsmittelimporte einfach ins Ausland verlagert wird, ohne dass es zu einer tatsächlichen Einsparung von Emissionen kommt.
Massnahmen, welche potenziell den Ausstoss von Treibhausgasemissionen mindern können, ohne dass sie zu einer wesentlichen Reduktion der Produktion führen, sind z.B. eine Ausdehnung der Anzahl Laktationen bei Milch- und Mutterkühen (und damit eine Reduktion des Aufzuchtbedarfs), der Einsatz von Fütterungszusätzen zur Reduktion der Methanemissionen bei Wiederkäuern, die Substitution von importierten Kraftfutter mit hofeigenem Futter, oder der Einsatz von Schleppschläuchen bei der Ausbringung von Hofdüngern.
Informationen zu den Kosten und dem Reduktionspotenzial dieser Massnahmen zur Minderung von Treibhausgasemissionen spielen eine zentrale Rolle in der Entwicklung von Politikmassnahmen zur Erreichung der Klimaziele in der Schweizer Landwirtschaft. In diesem Kontext werden oft sogenannte Grenzkostenkurven der Vermeidung von Treibhausgasemissionen verwendet.
Eine Grenzkostenkurve der Vermeidung zeigt einerseits, wie gross das Reduktionspotenzial insgesamt ist, wenn Massnahmen zur Minderung von Treibhausgasemissionen umgesetzt werden. Andererseits zeigt sie, welche durchschnittlichen Kosten pro Massnahme und Tonne reduzierten Emissionen anfallen. Üblicherweise werden die Massnahmen nach ansteigenden Grenzkosten sortiert (siehe Abbildung 1).
Die Herausforderung mit Blick auf Treibhausgasemissionsreduktion in der Landwirtschaft ist, dass viele, diverse Betriebe diese Massnahmen umsetzen müssen und diese ganz unterschiedliche Vermeidungskosten haben. Diese Heterogenität wird in der Darstellung von Vermeidungskostenkurven oft nicht berücksichtigt und es werden nur durchschnittliche Werte publiziert.
Eine andere Besonderheit in der Reduktion von Treibhausgasemissionen in der Landwirtschaft ist, dass es durch die betrieblichen Zusammenhänge zu Interaktionen zwischen den Massnahmen kommen kann. Folgendes Beispiel kann den Effekt von Interaktionen illustrieren: Wenn auf einem Betrieb die Anzahl Laktationen pro Kuh erhöht werden, dann wird dadurch der Bedarf für die Aufzucht reduziert. Dadurch sinkt die Anzahl der GVE und damit die Treibhausgasemissionen, ohne dass die Milchmenge zurückgeht. Wird auf dem Betrieb gleichzeitig ein Futterzusatz verwendet, welche die Methanemissionen reduziert, dann werden in der Kombination der Massnahmen, weniger Tiere mit dem Futterzusatz gefüttert. Dadurch reduziert sich das Potential durch Futterzusätze Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Dieser Interaktionseffekt kann das totale Reduktionspotenzial der betrieblichen Massnahmen verändern.
In einem in der Zeitschrift «Agricultural Systems» publiziertem Artikel, haben wir diese beiden Herausforderungen untersucht und uns angeschaut, wie Heterogenität und Interaktionen in der Berechnung von Grenzkosten der Vermeidung für die oben beschriebenen Massnahmen berücksichtigt werden können (Huber et al., 2023).
Dabei sind wir folgendermassen vorgegangen. Wir haben mit Hilfe des betrieblichen Optimierungsmodells FarmDyn (siehe Britz et al., 2021) die Kosten und Treibhausgasemissionen auf 66 Milchbetrieben aus dem Zürcher Weinland berechnet. Das Modell erlaubte es uns, jede der oben beschriebenen vier Massnahmen einzeln und in Kombination mit den anderen Massnahmen zu berechnen. Aus der Differenz zwischen den beiden Ergebnissen berechneten wir den Interaktionseffekt (also die Vermeidungskosten mit und ohne die anderen Massnahmen).
Die Darstellung der Heterogenität wurde in unserem Fall dadurch erschwert, dass die Sortierung der Vermeidungskosten für jeden Betrieb unterschiedlich sein konnte. Daher berechneten wir zuerst die Höhe der Vermeidungskosten für einen durchschnittlichen Betrieb und sortierten die Massnahmen aufsteigend nach der Höhe der Kosten. Anschliessend berechneten wir die Vermeidungskosten für jeden Betrieb dieser Sortierung folgend. Der Vorteil ist, dass dadurch nicht nur Durchschnittswerte in der Grenzkostenkurve der Vermeidung dargestellt werden können, sondern auch die Spannbreite dieser Kosten (abgebildet als Konfidenzintervall in der Abbildung 1).

Unsere Ergebnisse lassen folgendermassen zusammenfassen. 1) Unter Berücksichtigung der Interaktionseffekte zwischen den Massnahmen, sinkt das Reduktionspotenzial der Betriebe um rund 3%. Die durchschnittlichen Vermeidungskosten der Betriebe über alle Massnahmen sinken um 7%. 2) Die Heterogenität der Vermeidungskosten zwischen den Betrieben ist gross. Insbesondere der Ersatz von Kraftfutter mit hofeigenem Futter unterscheidet sich stark zwischen den Betrieben.
Die grosse Heterogenität der Vermeidungskosten (sogar innerhalb des gleichen Betriebstyps) und der Effekt von Interaktionen machen deutlich, dass diese Aspekte bei der Nutzung von Vermeidungskostenkurven für die Politikberatung unbedingt berücksichtigt werden sollten. Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass ansonsten der Effekt von Politikmassnahmen z.B. eines CO2-preises oder der Subvention von Massnahmen, überschätzt wird. In diesem Zusammenhang ist auch wichtig zu sehen, dass eine direkte Subvention dieser Massnahmen weniger effizient wäre als eine Entschädigung für die Reduktion von Treibhausgasemissionen.
Für eine sektorale Aussage über das Treibhausgasemissionsreduktionspotenzial und deren Kosten in der Schweizer Landwirtschaft bräuchte es jedoch eine Skalierung unserer Ergebnisse über mehr Betriebe und Betriebstypen und Massnamen und deren Interdependenzen.
Schliesslich zeigen unsere Resultate auch, dass die alleinige Umsetzung von Massnahmen, welche die landwirtschaftliche Produktion nicht einschränken, wohl nicht ausreichen werden, um das politische Ziel, eine Reduktion der Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft um mindestens einen Drittel bis 2050, zu erreichen. Neben technologischen Innovationen müssen Anpassung im gesamten Ernährungssystem, z.B. der Reduktion des Konsums und Produktion tierischer Nahrungsmittel, geprüft und berücksichtigt werden.
Literatur
Huber, R., Tarruella, M., Schäfer, D., Finger, R., 2023. Marginal climate change abatement costs in Swiss dairy production considering farm heterogeneity and interaction effects. Agricultural Systems 207, 103639. https://doi.org/10.1016/j.agsy.2023.103639
Britz, W., Ciaian, P., Gocht, A., Kanellopoulos, A., Kremmydas, D., Müller, M., Petsakos, A., Reidsma, P., 2021. A design for a generic and modular bio-economic farm model. Agricultural Systems 191, 103133.
Weitere Beiträge aus unserer Gruppe zum Thema Reduktion von Treibhausgasen in der Schweizer Landwirtschaft:
Kreft, C., Angst, M., Huber, R., Finger, R., 2023. Farmers’ social networks and regional spillover effects in agricultural climate change mitigation. Climatic Change 176, 8. https://link.springer.com/article/10.1007/s10584-023-03484-6
Kreft, C., Huber, R., Wuepper, D., Finger, R., 2021. The role of non-cognitive skills in farmers‘ adoption of climate change mitigation measures. Ecological Economics 189, 107169. https://doi.org/10.1016/j.ecolecon.2021.107169
Wie wird die GHG-Reduktion durch den Schleppschlauch-Einsatz begründet
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Danke für diesen Kommentar. Die Annahme ist, dass die Ausbringung von organischem Dünger in Bodennähe mit Hilfe des Schleppschlauchs direkte und indirekte Lachgasemissionen (Ammoniak) reduziert. Quellen für unsere Annahmen waren Thomsen et al. (2010) und Wulf et al. (2002).
Referenzen
Thomsen, I.K., Pedersen, A.R., Nyord, T., Petersen, S.O., 2010. Effects of slurry pre-treatment and application technique on short-term N2O emissions as determined by a new non-linear approach. Agriculture, Ecosystems & Environment 136, 227-235.
Wulf, S., Maeting, M., Clemens, J., 2002. Application Technique and Slurry Co-Fermentation Effects on Ammonia, Nitrous Oxide, and Methane Emissions after Spreading. Journal of Environmental Quality 31, 1795-1801.
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Spannend. Die indirekten Lachgasemissionen über Ammoniak waren mir so nicht bewusst. Die Quellen vergleichen die bodennahe Ausbringung aber leider nicht mit der Breitverteilung. Insbesondere direkte Lachgasemissionen werden somit doch kaum reduziert…
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Das ist korrekt. Wir gehen von einem geringen Reduktionspotenzial aus (1%). Angaben für die Schweiz (mit Vergleichen zwischen Schleppschlauch und Breitverteilung siehe z.B. auch Huguenin-Elie et al., 2018: Einfluss der Gülleapplikationstechnik auf Ertrag und Stickstoffflüsse im Grasland, Agrarforschung Schweiz und Alig et al., 2015: Ökologische und ökonomische Bewertung von Klimaschutzmassnahmen zu Umsetzung auf landwirtschaftlichen Betrieben in der Schweiz, Agroscope Science (Seite 92). Diese Studie vergleicht den Schleppschlauch mit dem Breitverteiler (ebenso Wulf et al., 2002: Application Technique and Slurry Co-Fermentation Effects on Ammonia, Nitrous Oxide, and Methane Emissions after Spreading, Journal of Environmental Quality.)
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Diese Quellen zeigen aber recht gegensätzliche Tendenzen bezüglich Lachgasemissionen bei bodennaher Ausbringung. Huegenin et al. deuten die erhöhten Lachgasemissionen bei der bodennahen Applikation an, während Alig et al. das Gegenteil folgern. Wulf et al behandeln die Breitverteilung offenbar im Vergleich zur bodennahen Ausbringung gar nicht. Zudem fehlen in diesen Untersuchungen weitere Effekte wie der zusätzliche Bodendruck (600-800kg Zusatzgewicht, oft an Fässern und damit mit zusätzlichem Gewicht durch Entlastung der Stützlast und die damit steigende Gefahr von anaeroben Bodenverhältnissen, welche wiederum Lachgasemissionen fördern. Zudem werden fossile THG-Emissionen (zusätzlicher Kraftstoffaufwand bei Schleppschlauch), welche sich in der Athmosphäre akkumulieren mit „biogenen“ THG-Emissionen (Lachgas im „natürlichen“ N-Kreislauf), welche sich in einem Kreislauf und idealerweise in einem Gleichgewicht befinden, gleichgesetzt.
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