Robert Finger, Ed Straw, Niklas Möhring*
Die aktuelle Situation
Wir wissen nicht viel darüber, welche Pflanzenschutzmittel wann, wie, wo in welchem Umfang in der EU und anderen Ländern eingesetzt werden. Man sollte meinen, dass angesichts der anhaltenden Debatte über Pflanzenschutzmittel darüber detailliert Buch geführt wird und Daten transparent verfügbar sind, aber das ist nicht der Fall. Die nationalen Regierungen der EU und anderen Ländern veröffentlichen Daten, in denen regionale Einsatzmengen geschätzt werden, oder jährliche, nationale Verkaufsmengen präsentiert werden. Diese Daten geben jedoch nur Aufschluss über allgemeine Trends bei der Verwendung von Pflanzenschutzmitteln und vermitteln kein klares Bild davon, was, wo und wie auf lokaler Ebene geschieht. Eine systematische, standardisierte Erhebung und Publikation detaillierter Information fehlt.
Warum dies für die Wissenschaft nicht funktioniert
Das derzeitige System ist nicht nur aus gesellschaftlicher und politischer Sicht zu wenig transparent, sondern hindert auch Wissenschaft und Verwaltung daran, die Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln auf die Gesundheit von Menschen und auf diverse Ökosystemen detailliert und systematisch zu untersuchen. Das macht beispielsweise die Bewertung von verschiedenen Pflanzenschutzmitteln und Pflanzenschutzstrategien unter realen Anwendungsbedingungen schwierig, und verhindert damit die Entwicklung von effektiven und effizienten Pflanzenschutzmittelpolitikmassnahmen. Um zu wissen, welche Pflanzenschutzmittel in einem bestimmten Gebiet wann, wie, wo in welchem Umfang angewendet werden, bleibt momentan nur die Möglichkeit, auf freiwillige Berichterstattung zurückzugreifen. Mit dieser Vorgehensweise gehen hohe Kosten, fehlende Standardisierung und Datenlücken einher. So ist die Befragung von Landwirten und Landwirtinnen nicht nur für alle involvierten Parteien zeitaufwändig, sondern auch potenziell verzerrend, da diejenigen, welche die viele Pflanzenschutzmittel einsetzen, wahrscheinlich am wenigsten bereit sind, freiwillig an einer Studie teilzunehmen, in der untersucht wird, ob diese Pflanzenschutzmittel schädlich sind.
Unser Lösungsvorschlag
Mit einer Gruppe von Wissenschaftlern aus der ganzen Welt und aus verschiedenen Disziplinen (unter Leitung von Ed Straw und Robin Mesnage) schlagen wir in einem in der Zeitschrift Nature Ecology & Evolution publizierten Beitrag vor, dass die EU neue Regeln für die Berichterstattung über den Pflanzenschutzmitteleinsatz erlässt (Mesnage et al., 2021). Dies kann im gleichen Masse aber auch auf andere Länder wie die Schweiz angewendet werden. Wir plädieren für die Einrichtung einer Datenbank, in der Pflanzenschutzmitteleinsatz detailliert erfasst wird. Landwirte berichten dabei jährlich elektronisch darüber, was, wann, wo und wie viel sie eingesetzt haben. Regierungen würden diese Daten dann anonymisiert jedes Jahr online veröffentlichen und eine räumlich explizite Darstellung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln erlauben. Zugriff wäre für Forschung, Politik und Verwaltung unter strikten und transparenten Bedingungen möglich. Diese Idee ist nicht revolutionär, Kalifornien praktiziert sie bereits seit den 1970er Jahren mit grossem Erfolg. Auch Dänemark hat ein ähnliches, funktionierendes und effizientes System initiiert.
Diese Art von EU-weiter Datenbank wäre eine wichtige, reichhaltige Datenquelle, die es Wissenschaftlern ermöglichen würde, Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln auf menschliche Gesundheit und Ökosysteme zu untersuchen und zu erkennen. In Kalifornien wird dieses Verfahren mittels der vorhandenen Daten bereits erfolgreich eingesetzt. Zum Beispiel um gezielt Auswirkungen auf bestimmte Spezies zu bestimmen, und so Flora und Fauna zu schützen (z.B. Davidson 2004), aber auch Auswirkungen auf menschliche Gesundheit zu bestimmen (z.B. Larsen et al., 2017).
Detailliertes Wissen über Pflanzenschutzmitteleinsatz und deren Auswirkungen auf Mensch und Umwelt und Nahrungsmittelproduktion erlauben bessere Politikmassnahmen (siehe auch Möhring et al., 2020). Einschränkungen des Pflanzenschutzmitteleinsatz oder die Einführung spezifischer Anreizmechanismen für neue Pflanzenschutzstrategien können zum Beispiel mittels besserer Informationen gezielt so getätigt werden, wo und wann es nötig und wirkungsvoll ist. Neue Erkenntnisse können auch in Zulassungsprozesse einfliessen. Die Bereitstellung besserer Datengrundlagen kann so ein kosteneffizienter Weg sein, verschiedene Politikziele wie die Nahrungsmittelproduktion, Erbringung diverser Ökosystemleistungen aber auch Schutz von Verbraucher, Landwirten und Umwelt gemeinsam besser zu erreichen.
Referenzen
Davidson, C. (2004). Declining downwind: amphibian population declines in California and historical pesticide use. Ecological Applications, 14(6), 1892-1902.
Larsen, A.E., Gaines, S.D. and Deschênes, O., 2017. Agricultural pesticide use and adverse birth outcomes in the San Joaquin Valley of California. Nature communications, 8(1), pp.1-9.
Mesnage , R. Straw, E.A., Antoniou, M.N. Benbrook, C. Brown, M.J.F., Chauzat, M-J., Finger, R., Goulson, D., Leadbeater, E., López-Ballesteros, A., Möhring, N., Neumann, P., Stanley, D., Stout, J.C., Thompson, L.J., Topping, C.J., White, B., Zaller, J.G., Zioga, E. (2021). Improving pesticide-use data for the EU. Nature Ecology & Evolution https://doi.org/10.1038/s41559-021-01574-1
Möhring, N., Ingold, K., Kudsk, P., Martin-Laurent, F., Niggli, U., Siegrist, M., Studer, B., Walter, A., Finger, R. (2020). Pathways for advancing pesticide policies. Nature Food 1, 535–540. https://doi.org/10.1038/s43016-020-00141-4
*Ed Straw ist Forscher am University College Dublin, Irland, Niklas Möhring ist am CNRS, Chizé, Frankreich, und Robert Finger in der Gruppe Agrarökonomie und -Politik der ETH Zürich.