Wandel durch Kompromisse: Wie Agrarreformen erfolgreich gestaltet werden können

Der Ständerat will die Agrarreformetappe AP22+ sistieren. Folgt der Nationalrat dieser Entscheidung, wird es eine neue Reformetappe brauchen. Wie diese allenfalls erfolgreicher gestaltet werden könnte, zeigt eine politikwissenschaftliche Analyse der AP14-17.

von Florence Metz1 und Robert Huber2

Die AP22+ hat es schwer. Die gesellschaftlichen und politischen Diskussionen fokussieren auf Volksinitiativen und Aktionsplänen und weniger auf das institutionalisierte Instrument der Agrarpolitikreform. Mit einer Sistierung würde es länger dauern bis zur nächsten erfolgreichen Implementierung einer Agrarreform. Dabei waren es diese Reformen, welche in den letzten 30 Jahren die Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft prägten und veränderten.

Die letzte erfolgreiche Agrarreform AP14-17 führte zu einer Umgestaltung des Direktzahlungssystems und einer signifikanten Umverteilung finanzieller Mittel hin zu Agrarumweltprogrammen. Wie war das möglich, wo man doch zu wissen glaubt, dass Umweltanliegen in der die Agrarpolitik eine untergeordnete Rolle spielen?

Wir sind dieser Frage in einem kürzlich erschienenen Artikel* nachgegangen. Als Grundlage dazu haben wir den sogenannten «Advocacy Coalition Framework» verwendet. Dieser beschreibt, unter welchen Bedingungen Allianzen von politischen Akteuren, eben «Advocacy Coalition» genannt, politische Veränderungen bewerkstelligen können. Wir haben dabei das Augenmerk auf zwei spezifische Bedingungen gerichtet, die bisher in der wissenschaftlichen Literatur wenig Beachtung fanden, im Kontext der Agrarpolitik aber von grosser Bedeutung sind.

1) Die Unterstützung der Landwirtschaft an und für sich ist in der politischen Diskussion wenig umstritten. Es geht in der Such nach politischen Lösungen weniger um die Frage, «ob» man die Bäuerinnen und Bauern unterstützt, sondern vielmehr um die Frage «wie». Daraus haben wir die Hypothese hergeleitet, dass die grundlegenden politischen Einstellungen wie konservativ, liberal oder sozial, sogenannte «core beliefs», in der Suche nach Kompromissen in der Agrarpolitik eine untergeordnete Rolle spielen. Vielmehr ergeben sich Lösungen auf der Ebene der Festlegung von spezifischen agrarpolitischen Instrumenten. Die Vorlieben und Abneigungen gegenüber politischen Instrumenten können als sogenannte «secondary beliefs» der Akteure im agrarpolitischen Netzwerk bezeichnet werden.

2) Eine bekannte Wortwendung besagt: «Ein Kompromiss ist dann vollkommen, wenn alle unzufrieden sind». Wir haben diese Idee umgedreht und uns angeschaut, wie erfolgreich die unterschiedlichen Akteurs-Konstellationen in den politischen Verhandlungen der AP14-17 waren. Die Hypothese dabei war, dass alle Allianzen, welche sich im Verlaufe der Reform gebildet hatten, politische Erfolge erzielten. Als «politischen Erfolg» hatten wir gewertet, wenn der Ausgang der Reform im Einklang war mit den während des Prozesses geäusserten Präferenzen des entsprechenden Akteurs.

Um die Hypothesen zu testen, haben wir mehr als 400 Dokumente aus dem Prozess der AP14-17 (d.h. zwischen 2009 und 2013) ausgewertet. Diese Dokumente stammten von 45 Akteuren, unter anderem von Parteien, Interessenorganisationen, Wirtschaftsorganisationen und Ämtern. Wir haben diese Dokumente genutzt, um die grundlegenden und die spezifischen Präferenzen der Akteure zu bestimmen (d.h. die core und secondary beliefs) und sie mit dem Ausgang, d.h. der Gesetzesgrundlagen der effektiv verabschiedeten Reform, zu vergleichen. Dazu haben wir eine Netzwerk- und Clusteranalysen durchgeführt, die uns Aufschluss gaben über die Akteurs-Konstellationen und deren Erfolge im Zuge der Entwicklung der Botschaft, der Vernehmlassung und der politischen Beratung im Parlament.

Die Ergebnisse unterstützen die von uns angeführten Hypothesen. Die Akteurs-Konstellation zeigt, dass die klassischen politischen Linien in der Diskussion um die Agrarpolitik 14-17 eine untergeordnete Rolle spielten (Abbildung 1). Vielmehr positionieren sich die politischen Akteure in Abhängigkeit des diskutierten Instrumentariums unterschiedlich.

Abbildung 1: Konstellation unterschiedlicher Akteursgruppen in Bezug auf unterschiedliche Elemente der Agrarreformetappe AP14-17. Je näher zwei Akteure sind, desto ähnlicher ihre Position zu den entsprechenden Politikinstrumenten. Eine vollständige Liste der Akteure und deren Abkürzung befindet sich im Artikel.

Auch in Bezug auf die zweite Hypothese zeigt sich, dass unsere Fallstudie den Eindruck bekräftigt, dass alle Akteure zumindest Teilerfolge erzielen konnten. In Bezug auf die inländische Stützung (z.B. Standardvertrag Milch oder Importsystem Fleisch) konnten sich die konservativen Kräfte durchsetzen. Mit Blick auf die Umweltanliegen (LQB, BFF und andere Direktzahlungen) hatten die grünen und moderaten Interessenvertretungen klar mehr Erfolg (Abbildung 2).

Abbildung 2: Politischer Erfolg der unterschiedlichen Akteursgruppen in Bezug auf die inländische Stützung und das Greening in der Agrarreformetappe AP14-17.

Was lässt sich aus diesen Erkenntnissen nun für die Weiterentwicklung der Agrarpolitik lernen? Aus unserer Sicht steht folgender Aspekt im Vordergrund: Eine Agrarreform braucht Verhandlungsspielraum auf der Ebene der agrarpolitischen Instrumente. Der Aushandlungsprozess sollte dann dazu führen können, dass sämtliche Akteursgruppen politische Erfolge erzielen können.

In der AP14-17 schuf die Motion der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerats zur Neugestaltung der Direktzahlungen den politischen Raum für Verhandlungen. Im Gegensatz dazu sind Volksinitiativen weniger geeignet Spielraum zu schaffen, wenn sie bereits enge Vorgaben in Bezug auf das Instrumentarium machen.

Auch die parlamentarische Initiative zu den Absenkungspfaden für Pflanzenschutzmittel und Nährstoffen, so sinnvoll sie auch ist, schafft letztendlich keinen Raum für Kompromisse, wenn deren Inhalte nicht von Anfang an in das Reformpaket integriert wird. Tatsächlich schien dieser Aspekt auch zentral für die Sistierung der Agrarpolitik 22+. Die Kommission des Ständerats argumentierte, dass die Reform keine «langfristige Perspektive» für die Landwirtschaft und nur «negative Punkte» enthalte. Mit der möglichen Zusammenlegung von parlamentarischer Initiative und AP22+ schien das Fuder überladen.

Die institutionalisierten Agrarreformetappen hätten das Potenzial, für den Agrarsektor nachhaltige Rahmenbedingungen zu schaffen und Umweltanliegen erfolgreich in die Agrarpolitik einzubringen. Unsere Arbeit zeigt, dass Kompromisse und politische Änderungen in der Schweizer Agrarpolitik über die parlamentarische Arbeit möglich sind. Die Akteure der Schweizer Agrarpolitik sollten die Chancen, welche eine ausgewogene Agrarreformetappe bietet, in der Zukunft wieder ergreifen.

 

*Metz, F., E. Lieberherr, A. Schmucki and R. Huber „Policy change through negotiated agreements: The case of greening Swiss agricultural policy.“ Policy Studies Journal https://doi.org/10.1111/psj.12417

1Florence Metz ist Assistant Professor an der Universität Twente. 2Robert Huber ist leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Gruppe Agrarökonomie und Agrarpolitik an der ETH Zürich.

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