Welche Auswirkungen hätte die Trinkwassserinitiative?

Schmidt, A., Mack, G., Möhring, A., Mann, S., El Benni, N.

Die Trinkwasserinitiative verlangt, dass nur noch diejenigen Landwirtschaftsbetriebe mit Direktzahlungen unterstützt werden, welche die Biodiversität erhalten, pestizidfrei produzieren, ohne prophylaktischen oder regelmässigen Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung auskommen und ihren Tierbestand mit dem auf dem Betrieb produzierten Futter ernähren können. Folgend der Botschaft des Bundesrates (2018) und nach Definition der 2018 geltenden Gesetzgebung wären sowohl phytosanitäre Massnahmen als auch Biozide verboten.

In einer ex-ante Evaluation wurden mit dem rekursiv-dynamischen agentenbasierten Agrarsektormodell SWISSland*,** die Auswirkungen der Trinkwasserinitiative für die Schweizer Landwirtschaft für das Jahr 2025 abgeschätzt. Die Ergebnisse sind in einem Bericht*** und einem Paper**** veröffentlicht.

Für die Evaluierung wurde davon ausgegangen, dass sich bei einer Annahme der TWI lediglich der Ökologische Leistungsnachweis (ÖLN) für die Schweizer Landwirtinnen und Landwirte verändert, während alle übrigen zum Zeitpunkt der Einreichung der TWI (Januar 2018) geltenden Gesetze und Verordnungen unverändert bis 2025 bestehen bleiben. Unsicherheiten bezüglich der zu erwartenden Preise, Naturalerträge, Kosten sowie dem Arbeitszeitaufwand wurden mittels 18 Szenarien abgebildet. Die Modellannahmen wurden auf Basis wissenschaftlicher Literatur, Expertengesprächen sowie in enger Zusammenarbeit mit einer Begleitgruppe erstellt (Evaluierungsdesign siehe Abbildung 1).

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Abbildung 1: Evaluierungsdesign – Impacts und Outputindikatoren

Die Modellrechnungen zeigen, dass bei einer Verschärfung des ÖLN durch die Annahme der Trinkwasserinitiative 9–23% der Schweizer Landwirtschaftsbetriebe aus wirtschaftlichen Gründen aus dem ÖLN aussteigen würden. Abhängig vom Szenario wäre es für 33−63% der Veredelungsbetriebe (Schweine- und Geflügelbetriebe) sowie für 51−93% der Spezialkulturbetriebe profitabler, ohne Direktzahlungen zu produzieren, als alternativ Ertragseinbussen durch eine Bewirtschaftung nach den Richtlinien der Initiative in Kauf zu nehmen. Für diese Betriebe würde das Umweltrecht bzw. dessen Umsetzung die Grenzen der Intensivierung vorgeben. Die Modellkalkulationen zeigen auch, dass es sich für 87% der Betriebe mit Raufutterverzehrern nicht lohnen würde ohne Direktzahlungen zu wirtschaften, so dass diese weiterhin im ÖLN verbleiben würden. Die Modellrechnungen deuten für alle Betriebstypen darauf hin, dass mit der Umsetzung der TWI die bereits heute relativ intensiv wirtschaftenden Betriebe eher aus dem ÖLN aussteigen und in der Folge noch weiter intensivieren würden, während die eher extensiven Betriebe im ÖLN verbleiben und folglich noch extensiver wirtschaften würden. Die Anzahl Betriebe würde sich durch die Annahme der Trinkwasserinitiative mit 0-3% nur geringfügig verändern.

Anhand von drei aus den SWISSland Ergebnissen ableitbaren Umweltindikatoren, nämlich Biodiversitätsförderfläche und Stickstoffüberschuss und Tierbesatzdichte, wurde die Wirkung der Trinkwasserinitiative auf die Biodiversität und die Wasserqualität abgeschätzt****. Die Modellresultate deuten darauf hin, dass die Initiative trotz des vermehrten Ausstiegs der vor allem intensiv produzierenden Betriebstypen eine positive Auswirkung auf die Wasserqualität auf sektoraler Ebene in der Schweiz hätte. Dies wäre zum einen auf die Zunahme der pestizidfreien Ackerfläche und zum anderen auf die Verringerung der Stickstoffüberschüsse zurückzuführen. Die Berechnungen ergeben, dass je nach Szenario 70−92 % der offenen Ackerfläche und 11-52% der Dauerkulturfläche in der Schweiz pestizidfrei bewirtschaftet werden würden.

Es zeigt sich jedoch auch, dass bei einer Annahme der Trinkwasserinitiative die landwirtschaftliche Produktion und der Selbstversorgungsgrad rückläufig wären. Abhängig vom Szenario würde die Bruttokalorienproduktion der Schweizer Landwirtschaft um 12–21% zurückgehen und der Bruttoselbstversorgungsgrad würde um 11–20% sinken. Wenn der Gesamtverbrauch an Nahrungsmitteln in der Schweiz in Zukunft konstant bliebe, müssten bei Umsetzung der TWI mehr Nahrungsmittel importiert werden. Die Initiative hätte somit gesamthaft eine Verlagerung der inländischen Produktion ins Ausland zur Folge.

Wenn das heutige Direktzahlungsbudget den im ÖLN verbleibenden Betrieben vollumfänglich zur Verfügung stünde und die Betriebe Mehrpreise für ihre nach den Richtlinien der Initiative erzeugten Produkte erzielen könnten, würde das Einkommen der im ÖLN verbleibenden Betriebe je nach Szenario um durchschnittlich 2−34 % zunehmen. Ohne Mehrpreise für TWI-Produkte würden die Einkommen der Landwirtinnen und Landwirte im Durchschnitt um 6−19 % sinken. Eine Sensitivitätsanalyse zeigt, dass Preisschwankungen das landwirtschaftliche Einkommen stärker beeinflussen würden als Naturalertragsschwankungen.

Aufgrund modelltechnischer Restriktionen konnten Arbeitsspitzen in der Landwirtschaft in der Modellierung nicht berücksichtigt werden, auch wenn diese im pestizidfreien Pflanzenbau an Relevanz gewinnen würden. Es war auch nicht möglich, einen betriebsindividuellen Schädlingsdruck mit entsprechenden betriebsindividuellen Naturalertragseinbussen in den Modellrechnungen abzubilden. Zudem wurden keine veränderten Ertragsausfallsrisiken und deren Auswirkungen auf das Verhalten der Betriebe berücksichtigt. An dieser Stelle wird auch darauf verwiesen, dass die mit SWISSland modellierten Umweltwirkungen eine erste Abschätzung darstellen und eine derzeit durchgeführte Studie von Agroscope mittels der Methode Life Cycle Assessment detailliertere Informationen zu den Umweltwirkungen der verschiedenen Szenarien bereitstellen wird.

Referenzen

* Möhring, A., Mack, G., Zimmermann, A., Ferjani, A., Schmidt, A., Mann, S. (2016). Agent-based modeling on a national scale – Experiences from SWISSland, Agroscope Science 30, 1-56.

** Zimmermann, A., Möhring, A., Mack, G., Ferjani, A., Mann, S. (2015). Pathways to Truth: Comparing Different Upscaling Options for an Agent-Based Sector Model, Journal of Artificial Societies and Socials Simulation 18(4), 11

***Schmidt, A., Mack, G., Möhring, A., Mann, S., El Benni, N. (2019). Folgenabschätzung Trinkwasserinitiative: ökonomische und agrarstrukturelle Wirkungen. Agroscope Science 83, 1-145.

****Schmidt, A., Mack, G., Möhring, A., Mann, S., El Benni, N. (2019). Stricter cross-compliance standards in Switzerland: Economic and environmental impacts at farm- and sector-level, Agricultural Systems 176 (2019), 102664 (online first)

 

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About Robert Finger

I am Agricultural Economist and head of the Agricultural Economics and Policy Group at ETH Zurich. Group Website: www.aecp.ethz.ch. Private Website: https://sites.google.com/view/fingerrobert/home