Nadja El Benni. Möchte man sich beim Zukunfts-Orakel nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, ist für den Blick in die Zukunft ein Blick in die Vergangenheit und eine Analyse der IST-Situation unumgänglich. Was wissen wir darüber, wie lange es von der Entwicklung bis zum praktischen Einsatz einer Technologie dauert? Wie viele Betriebe nutzen die neuen digitalen Technologien bereits heute? Mit welchen digitalen Herausforderungen ist die Landwirtschaft heute konfrontiert? Wie sieht die Zukunft unserer landwirtschaftlichen Betriebe aus?
Ein halbes Jahrhundert von der Forschung bis zum weit verbreiteten Einsatz
Am Beispiel Melkroboter, lassen sich die Schritte der technologischen Entwicklung im Landwirtschaftsbereich nachzeichnen. So begann die Entwicklung von automatischen Melksystemen vor 40 Jahren, nämlich in den 1980er Jahren in England und den Niederlanden, aufbauend auf den vorher stattgefundenen Entwicklungen von in der Industrie eingesetzten Robotern, Lasertechnologien und den Technologien zur Tieridentifikation. Etwa 20 Jahre später, im Jahr 1992, wurde der erste kommerziell verfügbare Melkroboter in den Niederlanden in Betrieb genommen[1] und Mitte der 90er Jahre folgten Deutschland und Dänemark. Im Jahr 1999 erfolgte der erste Melkrobotereinbau in Nordamerika, nämlich in Ontario, Kanada[2] und im selben Jahr im August nahm der erste Lely-Melkroboter auch in der Schweiz den Betrieb auf[3]. Vor allem über die letzten 10 Jahre ist der Anteil an Milchbetrieben mit Melkroboter rapide gestiegen, wobei Dänemark und Schweden an der europäischen Spitze stehen (s. Graphik 1, Stand 2014). In Deutschland waren im Jahr 2017 insgesamt 1943 Automatische Melksysteme im Einsatz[4]. Wir beobachten nicht nur eine Zunahme des Technologieeinsatzes, sondern auch rapide technologische Entwicklungen in der Milchproduktion. So ist mit dem Lely Orbiter neu eine Direktmilchverarbeitungsanlage auf dem Markt, mit der die per Melkroboter gemolkene Milch direkt ab Hof für den direkten Verzehr verarbeitet werden kann.
Graphik 1. Anteil an Milchviehbetrieben mit Melkroboter 2000-2014
Quelle: Barkema et al. (2015)[5]
Informationsgebende Technologien weiterverbreitet als ausführende Technologien
Auch im Ackerbau hat die Präzisionslandwirtschaft in den 1980er Jahren begonnen und war zu Beginn der 1990er Jahre mit ersten Technologien auf dem Markt erhältlich[6]. Dabei kann zwischen «diagnostischen» und «applikativen» Technologien unterschieden werden. Erstere liefern Sensorbasierte Information z.B. zur Erntequalität, Bodenfeuchte oder auch Ertragskarten. Letztere nutzen diese Information und setzen sie in einem Produktionsverfahren um, wie z.B. die teilflächen- oder pflanzenspezifische Applikation von Düngern oder Pflanzenschutzmitteln. Heutzutage am weitesten verbreitet und in den meisten neuen Traktoren bereits beim Kauf integriert, sind GPS-gesteuerte Lenksysteme. Auch wenn Präzisionstechnologien im Ackerbau in grossskaligen Landwirtschaftsstrukturen wie in den USA schon viel weiterverbreitet sind als in Europa, werden auch dort ortsspezifisch arbeitende applikative Technologien (zum Beispiel die teilflächenspezifische Düngerausbringung) bisher seltener als diagnostische Systeme eingesetzt. So zeigten Umfragen bei deutschen Präzisionstechnologien-nutzenden Landwirten, dass zwar 50-70% dieser Landwirte GPS zur Flächenvermessung nutzten, aber nur jeder fünfte der Befragten teilflächenspezifische Düngungstechnologie[7].
Für den digitalen Acker- und Futterbau stehen Lösungen verschiedene Anbieter zur Verfügung. Ein Beispiel ist die Plattform FieldView von The Climate Coporation (Monsanto). Die Plattform gibt den Betriebsleitenden Zugriff auf alle auf dem Betrieb gesammelten Daten, visualisiert diese z.B. in Ertragskarten und erlaubt zudem das Vergeben von Aufträgen von z.B. teilflächenspezifischer Düngung an die Landmaschinen. Auch in der Schweiz arbeiten die barto AG oder auch ADA von IP-Suisse an Plattformlösungen.
Herausforderungen bei Infrastruktur, rechtlichem Rahmen, Vernetzung und Teilhabe
Trotz einer zunehmenden Digitalisierung landwirtschaftlicher Betriebe und der damit einhergehenden Flut an Daten und Informationen, bleiben viele Synergieeffekte für ‘smarte’ Lösungen ungenutzt. Dies hat vielschichtige Gründe. Zum Beispiel sind derzeit die verschiedenen Technologien und Daten noch ungenügend miteinander verknüpft, um einen echten Mehrwert aus der Digitalisierung zu ziehen. Neben einem flächendeckenden Breitbandnetz müssen Datenplattformen für die Datensammlung und den Datentransfer aufgebaut werden, auch um mehrfache Dateneingaben zu vermeiden. Datennutzungsrechte und Datenschutz, die Sicherheit von Mensch und Tier, z.B. Haftungsregelungen bei dem Einsatz von autonomen Maschinen, müssen rechtlich klar geregelt werden. Wichtig ist es auch allen Betriebe gleiche Chancen für die Teilhabe am technologischen Fortschritt zu geben. Dafür müssen neue Bildungs- und Beratungsangebote entwickelt werden. Die oft teuren Investitionen, die bei der Umstellung auf digitale Technologien auf den Betrieben entstehen, sollten auch seitens der Politik mit geeigneten Massnahmen berücksichtigt werden.
Von Utopie zur Wirklichkeit – auf der Swiss Future Farm wird die Digitalisierung greifbar
Die einzelnen Bausteine für ein digitales gesamtbetriebliches Management sind heute bereits vorhanden, die Vernetzung aber noch ungenügend, der Wert der Daten noch nicht gehoben und damit der Mehrwert der Digitalisierung für das Betriebsmanagement wenig greifbar. Das möchte die Swiss Future Farm (www.swissfuturefarm.ch) ändern und übt, testet und zeigt die Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung auf einem fast typischen Schweizer Landwirtschaftsbetrieb. Die Forschungsanstalt Agroscope arbeitet dabei daran, den Wert der vielen sensorbasierten Betriebs-, Tier- und Felddaten in einen echten Mehrwert umzuwandeln und Entscheidungsgrundlagen für ein datenbasiertes Betriebsmanagement zu entwickeln.
Dr. Nadja El Benni ist Mitglied der Geschäftsleitung von Agroscope und leitet den Forschungsbereich «Wettbewerbsfähigkeit und Systembewertung» am Standort Tänikon (TG). Dieser Beitrag ist auch im ‚Blick ins Land‘, 5/ 2019, S.31 erschienen.
Referenzen
[1] Holloway, L., Bear, C. (2017). Bovine and human becomings in histories of dairy technologies: a robotic milking systems and remaking animal and human subjectivity, The British Society for the History of Science 2, 2017, 215-234.
[2] Rodenburg, J. (2012). The Impact of Robotic Milking on Milk Quality, Cow Comfort and Labor Issues, DairyLogix Consulting, Paper presented at the 2012 National Mastitis Council Annual Meeting, Woodstock, Ontario, Canada http://www.dairylogix.com/Document-0.pdf
[3] https://www.schweizerbauer.ch/tiere/milchvieh/wir-erleben-ein-rekordjahr-38498.html (30.10.2017)
[4] https://www.agrarheute.com/media/2017-12/tabelle_ams_melkssyteme_2007-2017.pdf
[5] Barkema, H.W., con Keyserlingk, M.A.G., Kastelic, J.P., Lam, T.J.G.M., Luby, C., Roy, J.-P., LeBlanc, S.J., Keefe, G.P., Kelton, D.F. (2015). Invited review: Changes in the dairy industry affecting dairy catlle health and welfare, Journal of Dairy Science 98, 7426-7445.
[6] Finger, R., Swinton, S.M., El Benni, N., Walter, A. (2019). Precision Farming at the Nexus of Agricultural Production and the Environment, Annu. Rev. Resour. Econ. 2019, 11 (Im Druck) >>
[7] Reichardt, M., Jürgens, CX. (2009). Adoption and future perspecitve of precision farming in Germany: results of several surveys among different agricultural target groups. Precision Agriculture 10(1), 73-94.
Besten Dank für diesen Beitrag und die Entwicklungsarbeit in der selbsternannten SwissFutureFarm. Bitte immer wieder berücksichtigen, dass SFF weder typisch, noch repräsentativ, noch umfassend und Firmen neutral genug ist, um in der Schweiz das Smart Farming vernetzt weiterzuentwickeln.
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