Charlotte E. Blattner, Robert Finger, Karin Ingold*
Die Landwirtschaft ist sowohl Mitverursacherin als auch Betroffene des Klimawandels: Einerseits trägt sie zum globalen Anstieg der Treibhausgasemissionen bei, andererseits ist sie ebenfalls in erhöhtem Mass von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen. Dazu gehören extreme Wetterereignisse wie Hitze oder Überschwemmungen, die Ernten oder Tiere schädigen können, aber auch stetige Temperaturveränderungen, die gängige Bewirtschaftungs- und Anbaupraktiken tendenziell in Frage stellen. Insgesamt stellt der Klimawandel die Landwirtschaft so vor grosse Herausforderungen (z.B. SBV 2019). Wie etwa hat sich die Landwirtschaft diesen Herausforderungen zu stellen? Welche Anpassungsmassnahmen sind auf welcher Ebene notwendig? Und wer trägt die damit einhergehenden Kosten?
Was wissenschaftlich, zunehmend auch politisch intensiv diskutiert wird, gewinnt nun auch aus rechtlicher Perspektive an Bedeutung. Eine Gruppe Schweizer Landwirte und Landwirtinnen verklagt die Regierung – nicht wegen zu viel, sondern wegen zu wenig Klimaschutz. Sie argumentieren, dass die Untätigkeit des Staates, wirksame Ziele zum Schutz des Klimas festzulegen und entsprechende Massnahmen zu treffen, ihre Betriebe existenziell bedroht. Erstmals schliessen sich damit Teile der Landwirtschaft der globalen Welle von Klimaklagen an, auf mehr Klimaschutz hinzuwirken.
In einem in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichten Artikel (Blattner et al. 2025) analysieren wir diesen neuartigen Fall, dessen Aufkommen sowie Konsequenzen aus politik- und rechtswissenschaftlicher Perspektive. Diese Klage markiert eine relevante Wendung in diesen Bereichen, und könnte global wichtige Impulse für die Landwirtschaft, die Politik und andere gesellschaftliche Akteure in Bewegung setzen.
Neun Landwirtinnen und -wirte sowie fünf landwirtschaftliche Organisationen (u.a. Uniterre, Kleinbauern-Vereinigung, Biogenève) aus Zürich, Schwyz, Genf, Neuenburg und Waadt reichten im März 20224 Beschwerde u.a. beim Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) ein, in der sie belegen, dass klimabedingte Extremwetterereignisse – Dürren, Stürme, Hagel und veränderte Jahreszeiten – ihre Erträge um durchschnittlich 10–40 % reduziert haben. Neben direkten Ernteverlusten treiben auch Anpassungsmassnahmen, wie der Umstieg auf neue Sorten, Kulturen oder die verstärkte Bewässerung, deren betriebliche Kosten in die Höhe. Die Beschwerdeführenden argumentieren, dass der Staat seine eigenen Klimaziele missachtet, unpassende Ziele wie Massnahmen verfolgt und damit nicht nur ihre wirtschaftliche Existenz, sondern auch ihre Grundrechte gefährdet. Der Fall basiert auf früheren Klimaklagen, insbesondere jenem der KlimaSeniorinnen, die kürzlich ein wegweisendes Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gegen die Schweiz erwirkt haben.
Die vorliegende Klage könnte zum Wendepunkt politischer Diskussionen werden. Die Landwirtschaft ist mit geschätzten 30% der globalen Treibhausgasemissionen einer der Hauptverursacher des anthropogenen Klimawandels, aber sie ist auch eine der Branchen, die am stärksten unter der Klimakrise leidet (BLW 2024). Bisher haben die gesellschaftlichen, rechtlichen und politischen Diskussionen rund um Klimaschutz die Landwirtschaft regelmässig als Teil des Problems dargestellt, das es härter zu regulieren gilt. In der Folge nahmen gerade in den jüngsten Jahren Bauernproteste in der Schweiz, Europa undweltweit zu. Mit dieser Klage fordern Landwirtinnen und Landwirte als unmittelbar vom Klimawandel Betroffene wahrgenommen zu werden. Sie fordern, durch dieses erstmalige Betreten rechtlicher Sphären, dass der Umfang und Inhalt landwirtschaftlicher Abhilfemassnahmen fernab vom politischen Kuhhandel rechtlich bestimmt werden.
Der Fall unterstreicht, dass Landwirtinnen und Landwirte keine homogene Interessensgruppe bilden, sondern Teile davon durchaus gewillt sind, als Treibkraft für mehr Klimaschutz zu agieren. Es ist durchaus möglich, dass dieser Fall das Bild der Landwirte in der Klimadebatte verändert und politischen Druck aufbaut, damit, mitunter im Agrarsektor, mehr Klimavermeidung und -anpassung betrieben wird. Zentrale Fragen dieser Debatte sind, wer die Kosten und regulatorischen Belastungen der Klimapolitik schultert, und welche Sektoren wie in die Pflicht genommen werden.
In rechtlicher Hinsicht machen die Landwirte und Landwirtinnen geltend, dass die geltend gemachte Untätigkeit der Regierung nicht nur ihre Rechte auf Leben, Privat- und Familienleben und persönliche Freiheit verletzt, sondern auch ihre Wirtschaftsfreiheit und ihre Eigentumsgarantie bedroht. Nach einer ersten Ablehnung ihres Begehrens durch das UVEK haben die Betroffenen im Oktober 2024 Klage beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht; sollte auch dieses nicht auf ihr Begehren eintreten, wird der Entscheid wohl an das Bundesgericht weitergezogen.
Die Klage der Schweizer Landwirte und Landwirtinnen stützt sich auf zwei wegweisende Gerichtsverfahren zum Klimawandel, den Neubauer-Fall und den Fall der KlimaSeniorinnen.
Erstmals bestätigte das Deutsche Bundesverfassungsgericht 2021 im Neubauer-Fall, dass der Staat u.a. aufgrund der verfassungsmässigen Eigentumsgarantie verpflichtet ist, die Bürger – einschliesslich der Landwirtinnen und Landwirte – vor den Auswirkungen und Gefahren des Klimawandels zu schützen. Das Gericht sah diese Pflicht im einschlägigen Fall jedoch nicht als verletzt an.
Der zweite Fall der KlimaSeniorinnen betrifft den oben erwähnten Entscheid des EGMR, in welchem erstmals das Ausbleiben wirksamer Klimamitigation als Verletzung konventionsrechtlicher (Menschenrechts-)Garantien qualifiziert wurde. Verschiedene Organe der Schweizer Politik und Verwaltung, Bundesrat, Parlament und Bundesamt für Justiz eingeschlossen, versuchen die Relevanz und den geforderten Handlungsbedarf aus dem EGMR-Entscheid abzuschwächen. Dies kann zur Folge haben, dass auch die Bauernklage vor den Schweizer Gerichten keinen einfachen Stand haben wird. Weiter ist zu erwarten, dass sich die Schweizer Gerichte in dieser Frage zurückhalten werden, bis das Umsetzungsverfahren im Fall KlimaSeniorinnen abgeschlossen ist. Doch der öffentliche Druck wächst – auch auf die Gerichte – und eine Entscheidung zugunsten der Landwirte könnte den politischen Umgang mit Klimaschutzmassnahmen weltweit verändern.
Im Gegensatz zu den KlimaSeniorinnen könnten die Schweizer Landwirtinnen und Landwirte vor dem EGMR keine Verletzung ihrer Wirtschaftsfreiheit und Eigentumsgarantie geltend machen, da die Schweiz das entsprechende Protokoll Nr. 1 zur Europäischen Menschenrechtskonvention, dass diese Rechte abdeckt, nicht ratifiziert hat. Trotz dieser Limitation ist die Klage nicht nur für die Schweiz von Bedeutung. Diese reiht sich in den globalen Trend der “climate change litigation” ein, wonach immer mehr Akteure – von Umweltschützerinnen und -schützern bis hin zu Unternehmen – Regierungen insbesondere aufgrund unzureichenden Klimaschutzes verklagen. Der vorliegende Fall könnte dazu führen, dass weitere Akteure der Landwirtschaft in anderen Ländern ähnliche oder ähnlich gelagerte Klagen einzureichen gewillt sind. Unter einem breiteren Blickwinkel wird so auch politischer Druck aufgebaut, damit dem Klimaschutz in der Politik die notwendige Aufmerksamkeit geschenkt wird und Klimaanpassungsstrategien für die Landwirtschaft priorisiert werden. Dabei ist klar: Die Landwirtschaft muss sich anpassen – aber sie darf mit dieser Herausforderung nicht allein gelassen werden. Gerade diese Klage zeigt: Statt eines Konflikts zwischen Landwirten und Klimaschützern braucht es eine gemeinsame Strategie, um produzierende, nachhaltige, widerstandsfähige Agrar- und Ernährungssysteme zu fördern.
Studie: Blattner, C.E., Finger, R. and Ingold, K., 2025. Why farmers are beginning to take their government to court over climate change. Nature, 637(8048), pp.1050-1052. https://www.nature.com/articles/d41586-025-00222-z
*AutorInnen: Charlotte E. Blattner (Université de Lausanne) Robert Finger (ETH Zürich), Karin Ingold (Universität Bern, EAWAG). Kontakt: charlotte.blattner@unil.ch
Referenzen:
Blattner, C.E., Vicedo-Cabrera, A.M., Frölicher, T.L., Ingold, K., Raible, C.C. and Wyttenbach, J., 2023. How science bolstered a key European climate-change case. Nature, 621(7978), pp.255-257.
Blattner, C.E., Finger, R. and Ingold, K., 2025. Why farmers are beginning to take their government to court over climate change. Nature, 637(8048), pp.1050-1052.
BLW 2024 Landwirtschaft im Klimawandel https://www.blw.admin.ch/de/landwirtschaft-im-klimawandel
SBV 2019: Schweizer Landwirtschaft im (Klima)wandel https://www.sbv-usp.ch/fileadmin/sbvuspch/05_Themen/Klimawandel/SBV_Fokusmagazin_FOKUS03_DE_web.pdf
Link zur Klage: https://avocatclimat.ch/wp-content/uploads/2024/03/2024-03-05-Plainte-25a-PA-AvoC-caviardee.pdf