Robert Finger, Anna Fabry, Marie Kammer, Jeroen Candel, Tobias Dalhaus, Eva Marie Meemken*
Im Winter 2023/24 fanden in weiten Teilen Europas grosse Bauernproteste statt. Traktoren blockierten Strassen und Supermärkte, die Proteste wurden von den Medien stark beachtet und Slogans wie „No Farmers No Food“ fanden grossen Anklang in der öffentlichen Debatte. In einem in der Fachzeitschrift EuroChoices (Finger et al. 2024) veröffentlichten Beitrag geben wir eine erste Dokumentation dieser Proteste, identifizieren Auslöser und Ursachen und ziehen Schlussfolgerungen.
Bauernproteste sind weltweit eine wichtige Form des kollektiven Handelns von Landwirten und haben auch in Europa eine lange Geschichte (Bush und Simi, 2001). In den letzten Jahren kam es vor allem in Frankreich und den Niederlanden immer wieder zu Protesten. Obwohl Bauernproteste kein neues Phänomen sind, haben sie Ende 2023 und Anfang 2024 erheblich an Dynamik und Intensität gewonnen (siehe Abbildung 1). Im Gegensatz zu früheren Protesten breiteten sich die Ereignisse von 2023/2024 über den gesamten Kontinent aus, was auf einen Ansteckungseffekt hindeutet, bei dem Proteste in Nachbarländern offenbar auch ein Auslöser waren.
Abbildung 1: Bauernproteste in Europa von November 2023 bis Februar 2024 (Finger et al. 2024 basierend auf Daten von ACLED).
Vielfältige und vielschichtige Gründe für die Proteste der Landwirte
Die Auslöser der Proteste variierten von Land zu Land und im Laufe der Zeit, aber es lassen sich mehrere übergeordnete Themen beobachten. Matthews (2024a) fasst sie wie folgt zusammen: i) wahrgenommener Druck auf die landwirtschaftlichen Einkommen, ii) strengere Umweltauflagen und iii) Handelswettbewerb.
Die erste Protestwelle wurde grösstenteils durch nationale Debatten über politische Massnahmen, wie die geplante Abschaffung von Kraftstoffsubventionen in Deutschland und Umweltvorschriften zur Reduzierung von Stickstoffemissionen aus der Tierhaltung in den Niederlanden und Flandern, Belgien, ausgelöst (Arte, 2024). In anderen Regionen wurden die Proteste durch länderspezifische Probleme wie erhöhte Produktionskosten aufgrund von Trockenheit und Einschränkungen der landwirtschaftlichen Wassernutzung in Spanien, Frankreich und Griechenland ausgelöst. Auch Importkonkurrenz löste Proteste aus, insbesondere in Polen und Bulgarien aufgrund ukrainischer Getreideimporte und in Belgien und Frankreich als Reaktion auf den als unfair empfundenen Wettbewerb durch das EU-MERCOSUR-Handelsabkommen (Arte, 2024). Die Proteste gingen über die EU hinaus und auch Schweizer Landwirte demonstrierten gegen ein instabiles sozioökonomisches Umfeld, Sorgen um die Erzeugerpreise, Unsicherheit über staatliche Unterstützung und zunehmende regulatorische Anforderungen. Im Vereinigten Königreich wurden die Proteste durch die Ablehnung möglicher billiger Lebensmittelimporte im Rahmen von Handelsabkommen nach dem Brexit angeheizt.
Diese unmittelbaren Auslöser wurden jedoch durch grundlegende Bedenken untermauert, darunter die als gering und zunehmend schwankend empfundenes Einkommen, hohe Inputkosten, die Marktmacht von nachgelagerten Akteuren sowie strenge Umwelt- und bürokratische Anforderungen in einer sich ständig verändernden politischen Landschaft (Matthews, 2024b). Insbesondere die zunehmenden Umweltambitionen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU und die Farm to Fork Strategie haben die Unzufriedenheit der Landwirt*innen erhöht. Diese Standards werden als zusätzliche Kosten für die Landwirt*innen angesehen, die durch die Inflation und die seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine besonders stark gestiegenen Inputpreise – etwa für Energie und Düngemittel – noch verschärft wurden. Viele Betriebe verfügen nicht über die Anpassungs- und Transformationskapazitäten, um wirksam auf Kombinationen solcher Schocks zu reagieren (Meuwissen et al., 2020). Dies trifft besonders stark kleine und weniger effiziente Betriebe, sowie Betriebe, deren Ausrichtung zunehmend nicht mehr den von Staat und Handel geforderten Standards entspricht (Matthews, 2024b).
Schnelle Reaktionen der politischen Entscheidungsträger
Angesichts der sich verändernden politischen Landschaft in Europa haben die politischen Entscheidungsträger sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene schnell auf die Proteste der Landwirt*innen reagiert. So zog die deutsche Bundesregierung ihre Pläne zur Abschaffung der Kraftstoffsubventionen teilweise zurück und verzichtete gänzlich auf die Einführung einer Kfz-Steuer für Landwirte (Neubert, 2024). Zudem wurden die Beschränkungen für Agrarimporte aus der Ukraine verschärft (Matthews, 2024a). Auf EU-Ebene wurde die Verordnung über den nachhaltigen Einsatz von Pestiziden vom Europäischen Parlament abgelehnt und schliesslich von der Europäischen Kommission zurückgezogen, da „angesichts der Ablehnung des Vorschlags durch das Europäische Parlament und des mangelnden Fortschritts bei den Diskussionen im Rat keine Einigung in Sicht war“ (Europäische Kommission, 2024). Dieser Rückzug wurde auch durch die Proteste und den damit verbundenen politischen Druck beeinflusst. Wie Ruig (2024) feststellt, „entschied sich die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Februar 2024, den Vorschlag komplett zurückzuziehen, um die aufgebrachten Landwirte, die auf den Strassen Brüssels protestierten, zu besänftigen“. Andere Initiativen im Rahmen der Farm to Fork Strategie wurden ebenfalls abgelehnt, darunter die Rahmengesetzgebung für nachhaltige Lebensmittelsysteme und die erwartete Überarbeitung der Tierschutzgesetzgebung (Matthews, 2024a; Ruig, 2024).
Diese Entwicklungen deuten darauf hin, dass die Proteste der Landwirt*innen mit zu einer Veränderung der politischen Landschaft beigetragen haben, die möglicherweise eine Gegenreaktion signalisiert. Wie Martin (2024) feststellt, hat “die Krise [der EU-Agrarpolitik] zu einer offensichtlichen 180-Grad-Wende in der Politik geführt, weg von den Zielen der „Nachhaltigkeit“ hin zu den Zielen der „Ernährungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit“ in der neuen strategischen Agenda der GAP für die nächsten fünf Jahre”. Die Bauernproteste haben Diskussionen über die Zukunft der Lebensmittelproduktion in Europa ausgelöst und gleichzeitig wichtige politische Vorschläge für eine nachhaltigere Landwirtschaft blockiert. Auch nach dem Abflauen der Proteste sind einige Landwirte unzufrieden und beklagen einen „enormen Vertrauensverlust“ in die Regierungen (Neubert, 2024).
Die grosse Aufmerksamkeit, die die Demonstrationen erregt haben, und die schnellen politischen Reaktionen, die sie hervorgerufen haben, lassen darauf schliessen, dass solche Proteste für die Landwirte auch in Zukunft ein wirksames Mittel sind, um ihren Einfluss geltend zu machen und sich gegen politische Veränderungen zu wehren. In der Tat flammen die Bauernproteste zurzeit (Ende 2024) in Frankreich, der Schweiz und anderen Ländern erneut auf.
Der Weg nach vorn
Angesichts der grossen Unzufriedenheit auf verschiedenen Ebenen und bei verschiedenen Akteuren ist eine öffentliche Debatte über die Zukunft der europäischen Agrar- und Ernährungssysteme dringend erforderlich. Die Debatte sollte klären, welche Systeme die Bevölkerung will, aber auch, wie die Kosten der Transformation (und auch ihrer Verzögerung) für Umwelt und Betriebe getragen werden. Für diesen Transformationsprozess sind daher auch flankierende politische Massnahmen erforderlich, die Agrar- Umwelt- und Ernährung-spolitik umfassen und zusammendenken. Der Übergang zu nachhaltigeren Produktionsmethoden ist vor allem kurzfristig oft mit Verlusten und Risiken verbunden, kann aber für die langfristige Produktivität und Wirtschaftlichkeit des Agrarsektors entscheidend sein. Es werden Strategien und Instrumente benötigt, um diese Synergien zwischen den Interessen der Landwirt*innen und Umweltzielen langfristig zu fördern.
Studie: Finger, R., Fabry, A., Kammer, M., Candel, J., Dalhaus, T. and Meemken, E.M., 2024. Farmer Protests in Europe 2023–2024. EuroChoices. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/1746-692X.12452 (Open Access)
*Robert Finger, Anna Fabry, Marie Kammer, Eva Marie Meemken: alle ETH Zurich. Jeroen Candel, Tobias Dalhaus: alle Wageningen University. Kontakt: rofinger@ethz.ch
Referenzen
Arte (2024).Bauer sucht Zukunft. https://www.arte.tv/de/videos/112907-055-A/arte-europa-die-woche/
Bush, E., & Simi, P. (2001). European farmers and their protests. Contentious Europeans: Protest and politics in an emerging polity, 97-124.
European Commission 2024. Sustainable use of pesticides. https://food.ec.europa.eu/plants/pesticides/sustainable-use-pesticides_en. Last accessed June 24, 2024.
Martin, E. (2024). The anatomy of the EU’s farm policy crisis. Geopolitical Intelligence Services Reports. May 01, 2024. https://www.gisreportsonline.com/r/eu-cap-farmer-protests/
Matthews, A. (2024a). Farmer Protests and the 2024 European Parliament Elections. Intereconomics, 59(2), 83-87.
Matthews, A. (2024b). Farmer Protests and Income Developments in the EU. The Political Quarterly 95(2): 344-349
Meuwissen, M. P., Feindt, P. H., Midmore, P., Wauters, E., Finger, R., Appel, F., … & Reidsma, P. (2020). The struggle of farming systems in Europe: looking for explanations through the lens of resilience. EuroChoices, 19(2), 4-11.
Neubert, K. (2024). Nach Bauernprotesten: Landwirte nach wie vor „sehr unzufrieden“ mit Bundesregierung. Euractiv, 28. 05. 2024. https://www.euractiv.de/section/gap-reform/news/nach-bauernprotesten-landwirte-nach-wie-vor-sehr-unzufrieden-mit-bundesregierung/
Ruig, P. (2024). Farm-to-fork, to protestors with pitchforks: the death of EU’s sustainable food policy. EuroObserver, 29. April 2024. https://euobserver.com/green-economy/arf1589b03