Heterogenität der Risikopräferenzen europäischer Landwirte: Eine Meta-Analyse basierend auf Individualdaten

Viviana Garcia, Chloe McCallum und Robert Finger*

Landwirte sind mit einem breiten Spektrum an Risiken konfrontiert (z.B. extreme Wetterereignisse und schwankende Preise). Wie Landwirte auf diese Unsicherheiten reagieren, ist zentral für Landwirtschaft, Industrie und Politik, weswegen auch Risikopräferenzen von Landwirten von elementarer Bedeutung sind. Risikopräferenzen beziehen sich auf die Neigung von Landwirten, Risiken zu vermeiden und dafür Gewinne aufzugeben, ein Konzept, das als Risikoaversion bekannt ist. Risikopräferenzen sind ein Schlüsselfaktor für die Entscheidungen der Landwirte in Bezug auf Produktion, Investitionen und die Einführung neuer Technologien und Anbausysteme. Daher sind Risikopräferenzen von entscheidender Bedeutung für die Politikgestaltung. Die Risikopräferenzen von Landwirten wurden häufig in einzelnen Fallstudien (z.B. für ein bestimmtes Land) und in systematischen Übersichtsarbeiten oder Meta-Analysen untersucht, die sich auf die Zusammenfassung der durchschnittlichen Ergebnisse aller Studien konzentrieren (z.B. Iyer et al. 2020, Finger et al. 2024).

In einem kürzlich in der European Review of Agricultural Economics veröffentlichten Artikel (Garcia et al. 2024) untersuchen wir die Risikopräferenzen europäischer Landwirte mit Hilfe einer Meta-Analyse von Individualdaten, einem neuen Ansatz in der agrarökonomischen Literatur. Die Anwendung der Meta-Analyse von individuellen Teilnehmerdaten ermöglicht es uns, nicht nur die durchschnittliche Risikopräferenz der Landwirte zu bestimmen, sondern auch deren Verteilung, d.h. wie heterogen die Landwirte in ihren Präferenzen sind. Dadurch können wir die Charakteristika von Landwirten mit spezifischen Risikopräferenzen identifizieren und die Verallgemeinerbarkeit der verschiedenen Analysen besser einschätzen. Wir konzentrieren uns auf die Risikopräferenzen von Landwirten, die mit den beiden gebräuchlichsten Erhebungsmethoden gemessen werden, den Lotterien von Holt und Laury (2002) und der Selbsteinschätzung (z.B. nach Meuwissen et al., 2001).

Unsere Analyse konzentriert sich auf europäische Landwirte, die in einem ähnlichen wirtschaftlichen, institutionellen und politischen Umfeld (z.B. der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union) agieren.

In diesem Artikel beantworten wir die folgenden drei Hauptfragen:

      i.       Wie risikofreudig sind europäische Landwirte?

    ii.          Gibt es Unterschiede in den Risikopräferenzen der Landwirte in Abhängigkeit von der verwendeten Erhebungsmethode?

  iii.          Hängen die Risikopräferenzen von Merkmalen der Landwirte wie Geschlecht, Alter, Betriebsgrösse und Produktionssystem ab?

Wir haben vollständige Rohdaten zu den Risikopräferenzen von Landwirten aus 19 Studien in 13 europäischen Ländern gesammelt (Abbildung 1). Unsere finale Datenbank enthält die Risikopräferenzen von 5.157 Landwirten zusammen mit Informationen über die Merkmale der Betriebe und der Landwirte.

Abbildung 1. Die 13 Länder und 19 Studien die in unserer Analyse berücksichtigt wurden.

Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass europäische Landwirte im Durchschnitt risikoscheu sind, wenn ihre Risikopräferenzen mit Hilfe von Holt- und Laury-Lotterien gemessen werden, und dass sie im Durchschnitt risikoneutral sind, wenn ihre Risikopräferenzen mit Hilfe von Selbsteinschätzungen auf der Basis von Likert-Skalen gemessen werden. Im letzteren Fall unterscheiden sich die Risikopräferenzen der Landwirte je nach Risikobereich erheblich.

Abbildung 2 zeigt den Zusammenhang zwischen dem Mittelwert der Selbsteinschätzungen in vier Bereichen (x-Achse) und dem Variationskoeffizienten (y-Achse) für jede Studie und jedes Land in der Stichprobe. Die vertikale graue Linie zeigt den Punkt der Risikoneutralität an, und Werte über 3 entsprechen angegebenen risikoaversen Präferenzen. Im Durchschnitt liegen die Präferenzen der Landwirte im Bereich der Risikoneutralität zwischen 2,5 und 3,5. Im Vergleich zur Risikoaversion in der Landwirtschaft allgemein ist die Risikoaversion in Bezug auf Finanzen, Markt und Produktion höher.

Abbildung 2: Heterogenität der Selbsteinschätzung der Risikoneutralität (Mittelwert und Variationskoeffizient nach Studie und Land)

Ergebnisse zeigen, dass Risikopräferenzen sehr heterogen sind. Bei der Nutzung von Lotterien zeigt sich, dass 30% der Landwirte sehr risikoscheu und 21% risikofreudig sind. Bei der Selbsteinschätzung zeigt sich, dass 12 % der Landwirte sehr risikoscheu und 18 % sehr risikofreudig sind. Diese Heterogenität bedeutet, dass weder Risikoneutralität noch Risikoaversion die Risikopräferenzen aller Landwirte widerspiegeln.

Des Weiteren haben wir die Beziehung zwischen den Merkmalen des Betriebs und der Landwirte und den Risikopräferenzen untersucht. Wir finden signifikantere Zusammenhänge, wenn die Risikopräferenzen aus Selbsteinschätzungen betrachtet werden. Es zeigt sich beispielsweise, dass männliche Landwirte und Landwirte mit höherem Bildungsniveau weniger risikoscheu sind als ihre Kollegen und Landwirte mit grösseren Betrieben sind weniger risikoscheu.

Was bedeutet dies für Politik und Wirtschaft?

Die Agrarpolitik zielt oft darauf ab, das Risikomanagement der Landwirte zu unterstützen, z.B. durch Subventionierung von Versicherungssystemen (z.B. Bucheli et al. 2023). Darüber hinaus hängen verschiedene politisch relevante Entscheidungen der Landwirte, wie die Teilnahme an freiwilligen Agrarumweltprogrammen, der Einsatz von Betriebsmitteln und Investitionen in neue Technologien, mit den Risikopräferenzen der Landwirte zusammen (z.B. Schaub et al. 2023, Wüpper et al. 2023).

Die Erkenntnis, dass ein erheblicher Anteil der Landwirte nicht sehr risikoscheu ist, hilft bei der Bewertung von Wohlfahrtsmassnahmen und ökonomischen Modellen und ermöglicht eine angemessene Ressourcenallokation (Peterson und Boisvert, 2004). Falsche Annahmen über Risikopräferenzen können unbeabsichtigte Folgen haben, wie z.B. niedrige Beteiligungsquoten und zu niedrige oder zu hohe Prämien auf dem Versicherungsmarkt (Peterson und Boisvert, 2004). Darüber hinaus könnte die Beobachtung, dass Risikopräferenzen mit dem Kontext und den Charakteristika der Landwirte zusammenhängen und möglicherweise mit diesen bei der Entscheidungsfindung interagieren, offene Fragen bezüglich der geringen Nutzung von Agrarumweltprogrammen, Ernteversicherungen und neuen Technologien erklären.

Für ökonomische Modelle bedeuten unsere Ergebnisse, dass Anwendungen die Risikoaversion entsprechend den Profilen der Landwirte berücksichtigen könnten, anstatt von Risikoaversion oder Risikoneutralität auszugehen. Ex-ante Evaluationen sind ein nützliches Instrument zur Bewertung politischer Massnahmen, wobei neuere Anwendungen speziell Verhaltensfaktoren wie Risikopräferenzen berücksichtigen, um die Gestaltung zielgerichteter und massgeschneiderter agrarpolitischer Massnahmen zu verbessern (z.B. Huber, et al., 2023). Unsere Analyse liefert solche Bewertungen mit einer angemessenen Bandbreite der Risikoaversion europäischer Landwirte.

Study (open access): Garcia, V., McCallum, C., & Finger, R. (2024). Heterogeneity of European farmers’ risk preferences: an Individual Participant Data Meta-analysis. European Review of Agricultural Economics.  https://doi.org/10.1093/erae/jbae012

Referenzen

Bucheli, J., Conrad, N., Wimmer, S., Dalhaus, T., & Finger, R. (2023). Weather insurance in European crop and horticulture production. Climate Risk Management41, 100525.

Finger, R., Garcia, V., McCallum, C., Rommel, J. (2024). A Note on European Farmers’ Preferences under Cumulative Prospect Theory. Journal of Agricultural Economics. 75(1): 465-472

Holt, C. A., & Laury, S. K. (2002). Risk aversion and incentive effects. American Economic Review, 92(5), 1644–1655.

Huber, R., Bartkowski, B., Brown, C., El Benni, N., Feil, J. H., Grohmann, P., … & Müller, B. (2024). Farm typologies for understanding farm systems and improving agricultural policy. Agricultural Systems213, 103800.

Iyer, P., Bozzola, M., Hirsch, S., Meraner, M., & Finger, R. (2020). Measuring farmer risk preferences in Europe: a systematic review. Journal of Agricultural Economics71(1), 3-26.

Meuwissen, M. P., Huirne, R. B. M., & Hardaker, J. B. (2001). Risk and risk management: an empirical analysis of Dutch livestock farmers. Livestock production science69(1), 43-53.

Peterson, J. M., & Boisvert, R. N. (2004). Incentive‐Compatible Pollution Control Policies under Asymmetric Information on Both Risk Preferences and Technology. American Journal of Agricultural Economics86(2), 291-306.

Schaub, S., Ghazoul, J., Huber, R., Zhang, W., Sander, A., Rees, C., … & Finger, R. (2023). The role of behavioural factors and opportunity costs in farmers‘ participation in voluntary agri‐environmental schemes: A systematic review. Journal of Agricultural Economics.

Wuepper, D., Bukchin‐Peles, S., Just, D., & Zilberman, D. (2023). Behavioral agricultural economics. Applied Economic Perspectives and Policy.

*Autoren: Viviana Garcia (ETH Zürich), Chloe McCallum (Queen’s Business School) Robert Finger (ETH Zürich). Kontakt: Viviana Garcia (vgarci@ethz.ch )

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About Robert Finger

I am professor of Agricultural Economics and Policy at ETH Zurich. Group Website: www.aecp.ethz.ch. Private Website: https://sites.google.com/view/fingerrobert/home