Judith Irek & Svetlana Fedoseeva

(Credit: Getty Images/iStockphoto)
Während viele Menschen Konsumgüter wie Elektronik, Bücher, oder Kleidung schon lange bei Amazon & Co. kaufen, fristete der Onlinehandel für Lebensmittel lange ein Nischen-Dasein. Nicht erst, aber insbesondere seit der Corona-Pandemie kaufen mehr und mehr KonsumentInnen in der Schweiz und weltweit auch Lebensmittel online. Während die Preissetzungs-Mechanismen der traditionellen stationären Detailhändler recht gut erforscht und verstanden sind, wissen wir noch wenig über die Preissetzung der neuen grossen Online-Akteure im Lebensmittelhandel. Unsere Analyse (Fedoseeva & Irek, 2022) schaut sich daher regionale Preisunterschiede des weltweit grössten Online-Supermarkts Amazon Fresh an.
Bisherige empirische und theoretische Studien aus dem Non-Food Segment lassen vermuten, dass der Trend zu mehr einheitlichen Preisen und weniger regionalen Preisunterschieden geht. Gründe hierfür sind das zentrale Management und die hohe Preis-Transparenz im Online-Handel. Um diese Hypothese zu prüfen, haben wir mehr als 4 Millionen Lebensmittelpreise von Amazon Fresh in den USA analysiert und für die Liefergebiete New York City und Los Angeles verglichen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass auch bei Amazon regionale Unterschiede weiterhin die Regel sind. Nur 27% der Lebensmittel wiesen an einem gegebenen Tag an beiden Orten den identischen Preis auf. Die restlichen 73% der Produkte hatten regional unterschiedliche Preise. Auch die Grösse der Preisunterschiede ist erheblich: Die durchschnittliche Preisdifferenz der Stichprobe beträgt 22 Prozent (entspricht USD 1.00), wenn identische Preise ausgeschlossen werden. Betrachtet man alle Produkte, inklusive jene mit identischen Preisen, sind es immerhin noch 16 Prozent des Produktpreises (USD 0.73). Innerhalb des Untersuchungszeitraums von drei Jahren (2017-2020) waren die Preisunterschiede allerdings rückläufig, sowohl bezüglich Häufigkeit als auch Grösse der Unterschiede. Wir können einen Trend hin zu mehr einheitlicher Preissetzung also bestätigen, allerdings auf einem weiterhin sehr niedrigen Niveau. Entscheidend für die Preisunterschiede sind vor allem das allgemeine lokale Preisniveau und Lebenshaltungskosten, weshalb die meisten Produkte teurer in New York City als in Los Angeles sind. Ebenso hat die lokale Konkurrenz einen grossen Einfluss: Steigt die lokale Konkurrenz in einem Liefergebiet durch die Eröffnung neuer Supermärkte, so steigt auch der Druck auf die Online-Preise an diesem Standort. Dies zeigt, dass Online- und Offline-Lebensmittelhandel eng miteinander verbunden sind und mögliche wechselseitige Auswirkungen bei einer Analyse des einen oder anderen Kanals berücksichtigt werden sollten.
Was wir nicht feststellen konnten, war ein direkter Einfluss des Pandemie-Geschehens auf regionale Preisunterschiede. Es ist also nicht etwa so, dass Amazon Fresh in Zeiten hoher Corona-Zahlen und strikter Lockdowns die Preise lokal erhöht hat. Ebenso konnte kein klares Muster identifiziert werden, was die Unterschiede zwischen frischen und haltbaren Lebensmitteln betrifft. Die meisten und grössten regionalen Preisunterschiede fanden sich bei Convenience-Produkten wie Tiefkühlwaren, Snacks und Bäckerei-Artikeln. Die meisten identischen Preise gab es hingegen bei Getränken, Babynahrung und Süssigkeiten.
Ein baldiger Markteintritt von Amazon Fresh in den vergleichsweise kleinen Schweizer Markt mit seinen Zollbeschränkungen und anderen Eigenheiten scheint zurzeit recht unwahrscheinlich. Dennoch halten wir es für relevant, die Entwicklungen dieses globalen Akteurs zu beobachten, um neue Geschäftspraktiken zu identifizieren und Auswirkungen auf Wettbewerber, aber auch auf andere Marktakteure wie Zulieferer und Konsumenten frühzeitig zu erkennen.
Solche Studien zu Online Preisen sind für politische Entscheidungsträger von Interesse, da sie räumlich und zeitlich sehr detaillierte Informationen zu Preisentwicklungen geben. In einigen Ländern werden automatisierte Erhebungen von Online Preisen bereits zur Inflationsmessung genutzt, unter anderem auch in der Schweiz für Bücher und Bekleidung (Bundesamt für Statistik, 2022). Gegenüber den klassischen, meist monatlich berechneten Verbraucherpreis-Indizes hat dies den Vorteil, dass Daten in Echtzeit zur Verfügung stehen und Preisänderungen aufgrund der grossen Datenbasis differenzierter nach Produkt, Ort und Verkaufskanal erfasst werden (Cavallo & Rigobon, 2016). In aussergewöhnlich dynamischen Zeiten aufgrund von Pandemie oder Krieg kann solche Echtzeit-Evidenz wertvoll für politische Entscheidungsträger sein.
Referenzen
Bundesamt für Statistik (2022). Landesindex der Konsumentenpreise (Dezember 2020=100) Methodische Grundlagen. ISBN 978-3-303-05778-0. https://dam-api.bfs.admin.ch/hub/api/dam/assets/20984927/master
Cavallo, A., & Rigobon, R. (2016). The billion prices project: Using online prices for measurement and research. Journal of Economic Perspectives, 30(2), 151-78.
Fedoseeva, S., & Irek, J. (2022). Within-retailer price dispersion in e-commerce: Prevalence, magnitude and determinants. Q Open, 2022, 2, 1–20. https://doi.org/10.1093/qopen/qoac021
Kontakt:
Judith Irek, Agroscope
Tänikon 1, 8356 Ettenhausen
judith.irek@agroscope.admin.ch
Anmerkungen
Der Beitrag ist Teil des Special Issues zu ‘Evidenzbasierter Agrar- und Ernährungspolitik – Rolle der Forschung für die Politikgestaltung’ in der Fachzeitschrift Q Open. Dieser Special Issue wird durch die SGA (Schweizerische Gesellschaft für Agrarwirtschaft und Agrarsoziologie) realisiert.
Gast-Editoren der Special Issue sind die SGA Vorstandsmitglieder Nadja El Benni, Robert Finger und Christian Grovermann. https://academic.oup.com/qopen/pages/cfp-evidence-based-agricultural-and-food-policy
Diese Arbeit wurde unterstützt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG Projektnr. FE 1830/1-1), erhalten von Svetlana Fedoseeva.