Robert Finger, David Wuepper, Chloe McCallum*
Ungewissheit und Risiko sind wesentliche Elemente der landwirtschaftlichen Produktion. Daher sind die Risikowahrnehmung und die Risikopräferenzen der Landwirte Schlüsselelemente für ihre Entscheidungsfindung, ob für den Einsatz von Inputs wie Dünger und Pflanzenschutzmittel, Investitionen oder das Risikomanagement, z.B. den kauf einer Versicherung. Das Wissen über die Risikopräferenz der Landwirte ist daher für Politik, Beratung und Industrie von grosser Bedeutung. So müssen beispielsweise Analysen über die Entscheidungen der Landwirte und ihre Reaktionen auf Markt- und Politikänderungen die Risikopräferenzen berücksichtigen. Agrarökonomen verwenden eine breite Palette von Methoden, um die Risikopräferenzen der Landwirte zu ermitteln. Diese umfassen zum Beispiel einfache Fragen zur eigenen Einschätzung der Risikopräferenz bis hin zu Lotterien (Iyer et al. 2020). Keine Methode dominiert alle anderen, d.h. es gibt nicht ‚die‘ beste Methode.
Bei der Messung der Risikopräferenzen der Landwirte gibt es insbesondere zwei Herausforderungen. Erstens führen alternative Messmethoden häufig zu unterschiedlichen Messungen bei denselben Landwirten. So kann ein Landwirt mal als risiko-liebend und mal als risiko-avers eingestuft werden, nur weil eine andere Methode zur Messung genutzt wurde. Zweitens wird häufig die Annahme getroffen, die Präferenzen der Landwirte seien stabil über die Zeit, empirisch werden aber immer wieder Veränderungen beobachtet und gemessen. Dies stellt die Annahme vollkommener Präferenz-Stabilität in der neoklassischen Theorie in Frage und stellt eine Herausforderung für die Verwendung dieser Ergebnisse in wirtschaftlichen und politischen Analysen dar (Bozzola und Finger, 2021). Die Bedeutung, das Ausmass und die Ursachen dieser Instabilitäten der Risikopräferenzen von Landwirten sind jedoch nach wie vor nicht genau bekannt. Empirische Belege für die methodenübergreifende und zeitliche Instabilität der Risikopräferenz von Landwirten sind rar.
In einer in der Fachzeitschrift Journal of Agricultural Economics veröffentlichten Studie (Finger et al. 2022) haben wir die Instabilität der Risikopräferenzen von Landwirten umfassend analysiert und quantifiziert. Wir quantifizieren sowohl die Instabilität bei verschiedenen Erhebungsmethoden als auch die Instabilität im Zeitverlauf. Wir vergleichen die Relevanz beider Instabilitätsquellen und untersuchen die Ursachen für die zeitliche Instabilität der Risikopräferenzen. Zu diesem Zweck verwenden wir wiederholte Messungen der Risikopräferenzen von Schweizer Landwirten und testen, ob Ertragseinbussen dazu führen, dass die Landwirte in den folgenden Perioden mehr oder weniger risikoscheu sind.
Wir nutzen Daten aus wiederholten Online-Befragungen, die von 2016 bis 2018 bei Zwetschgen -, Kirschen- und RebenproduzentInnen in der Schweiz durchgeführt wurden. Insgesamt wurden 8 Umfragen durchgeführt. Bei den Zwetschgen- und RebenproduzentInnen wurden die Umfragen in den Jahren 2016, 2017 und 2018 durchgeführt. Bei den KirschenproduzentInnen wurden nur 2017 und 2018 Umfragen durchgeführt (siehe auch Knapp et al., 2021). Insgesamt verwenden wir hier 1530 Beobachtungen. Unsere Stichprobe repräsentiert etwa 10 % der Schweizer Zwetschgen- und KirschenproduzentInnen und etwa 21 % der gesamten Schweizer RebenproduzentInnen**
Die Risikopräferenzen wurden in allen Jahren durch kontextbezogene Selbsteinschätzungsfragen zur Risikobereitschaft in vier verschiedenen Bereichen (Produktionsrisiko, Vermarktungsrisiko (d.h. Markt und Preise), finanzielle Entscheidungen und landwirtschaftliches Risiko im Allgemeinen) erhoben, dafür wurde eine Bewertungsfrage auf einer 11-Punkte-Likert-Skala verwendet (siehe Finger et al., 2022, und Iyer et al. 2020, für Details). Höhere Zahlen entsprechen risikoscheueren Entscheidungsträgern. Im Jahr 2018 verwendeten wir ausserdem eine Lotterie (nach Holt und Laury 2002). Landwirte mussten sich dabei 10mal zwischen mehr oder weniger riskanten Situationen im Kontext Pflanzenschutz entscheiden, was Rückschlüsse auf ihre Risikopräferenzen erlaubt. Die Entscheidungen in der Lotterie waren direkt wirksam für den ‘Gewinn’, d.h. die teilnehmenden Landwirte konnten dabei bis zu 200 CHF gewinnen.
Ergebnisse zeigen, dass Landwirte in unserer Stichprobe im Durchschnitt risikoscheu sind. Allerdings ist die Heterogenität zwischen den einzelnen Landwirten beträchtlich. Dieses Ergebnis deckt sich mit der Mehrzahl der Studien zur Erhebung der Risikopräferenz bei europäischen Landwirten (vgl. z.B. Iyer et al., 2020).
Abbildung 1 zeigt Korrelationen der Risikopräferenzen über verschiedene Erhebungsmethoden hinweg, d. h. über verschiedene selbst angegebene bereichsspezifische Risikopräferenzen sowie über die Ergebnisse der Lotterie für die Jahre 2016, 2017 und 2018 (Lotterie nur 2018). Es zeigt sich, dass die selbstwahrgenommenen Risikopräferenzen in den 4 verschiedenen Bereichen hoch korreliert sind (Korrelationskoeffizienten von bis zu 0,72), aber diese Korrelation unterscheidet sich stark zwischen den Bereichen und der Zeit. Insbesondere die Bereiche Produktionsrisiko, Vermarktungsrisiko und landwirtschaftliches Risiko im Allgemeinen scheinen stark miteinander korreliert zu sein, während der Bereich des externen finanziellen Risikos hervorsticht. Das heisst, dass die Risikoaversion der Landwirte in den Bereichen Produktion, Vermarktung und Landwirtschaft im Allgemeinen nicht unbedingt ein guter Hinweis für ihre Risikopräferenzen in Bezug auf finanzielle Entscheidungen ist. Dies macht deutlich, dass eine bereichsspezifische Analyse der Risikopräferenzen notwendig ist. Darüber hinaus stellen wir fest, dass die selbst angegebene Risikopräferenz und die Ergebnisse der Lotterie nur schwach korrelieren (Korrelationskoeffizienten 0,06 bis 0,23). Insbesondere finden wir eine höhere Korrelation zwischen den Ergebnissen der Lotterieaufgabe und den Ergebnissen der selbst angegebenen Risikopräferenz im Bereich der externen finanziellen Risiken.
Abbildung 1. Korrelationen der Risikopräferenzen über verschiedene Erhebungsmethoden hinweg für die Jahre 2016, 2017 und 2018 (2018 mit und ohne Lotterie).

***, ** und * bedeuten, dass die Nullhypothese der Korrelation gleich 0, auf dem Signifikanzniveau von 1 %, 5 % bzw. 10 % abgelehnt wird.
Abbildung 2 zeigt die Korrelationen der Risikopräferenzen über die Jahre für alle selbst angegebenen bereichsspezifischen Risikopräferenzen. Es zeigt sich, dass die selbstberichteten Risikopräferenzen von einem Jahr zum anderen mässig korreliert sind (Korrelationskoeffizienten von 0,42 bis 0,55). Diese Korrelation nimmt ab, wenn man sich auf die Risikopräferenzen konzentriert, die mit einem Zeitunterschied von zwei Jahren gemessen werden (Korrelationskoeffizienten von 0,20 bis 0,48). Die zeitliche Stabilität der Risikopräferenzen war im Bereich der Produktionsrisiken am höchsten und im Bereich der Vermarktungsrisiken am geringsten (Abbildung 2).
Im Allgemeinen zeigen unsere Ergebnisse, dass die Instabilität der Risikopräferenzen über die Jahre hinweg sogar noch grösser sein kann als die Instabilität über die Erhebungsmethoden hinweg.
Abbildung 2. Korrelationen der selbsteingeschätzten Risikopräferenzen über die Jahre für jeden Bereich (Domain) der Risikopräferenz

***, ** und * bedeuten, dass die Nullhypothese der Korrelation gleich 0, auf dem Signifikanzniveau von 1 %, 5 % bzw. 10 % abgelehnt wird.
Nachdem wir die Veränderungen in den Risikopräferenzen im Laufe der Zeit untersucht und ihr Ausmass quantifiziert haben, testen wir woher diese Änderungen kommen. Zu diesem Zweck machen wir uns die Tatsache zunutze, dass einige der befragten Landwirte in einigen Jahren erhebliche Produktionseinbussen hinnehmen mussten. Insbesondere konzentrieren wir uns auf zwei Hauptursachen für Ertragsverluste im Schweizer Obst- und Weinbau: Frostschäden und Schäden durch Drosophila suzukii.
Zunächst testen wir die Auswirkungen der Erfahrungen mit Frostschäden an Obst und Weinreben. Während der Blüte im Frühling verursachen Spätfröste in der Schweiz regelmässig grosse Mengen- und Qualitätsverluste bei Früchten und Reben (Dalhaus et al., 2020). . In der Umfrage wurden die Landwirte gebeten, anzugeben, ob sie im Jahr der Umfrage Frostschäden erlitten haben. Im Jahr 2017 waren die Frostschäden aussergewöhnlich gross, in unserer Stichprobe hatten mehr als 60 % der Erzeuger im Jahr 2017 mit Frostschäden zu kämpfen, verglichen mit 6 % im Jahr 2018. Zweitens testen wir die Auswirkungen der Erfahrungen mit Schäden durch Drosophila suzukii (siehe Knapp et al., 2021). In der Umfrage wurden die Landwirte gebeten, anzugeben, ob und in welchem Ausmass sie im Jahr der Umfrage Schäden durch Drosophila suzukii erlitten haben. Während der Befall mit Drosophila suzukii im Durchschnitt weniger als 5 % der Gesamtanbaufläche ausmacht, sind einzelne Erzeuger von einem erheblichen Befall betroffen. Wir definieren Schocks in unserer Analyse als den Prozentsatz der durch Drosophilia suzukii oder durch Frost geschädigten Ernte in der Vegetationsperiode. Drittens betrachten wir auch die Kombination beider Schocks, d. h. wir testen, ob die Erfahrung eines Frostschadens und eines Schadens durch Drosophila suzukii im selben Jahr mit einer Änderung der Risikopräferenzen verbunden ist.
Unsere Analyse zeigt, dass die Erfahrung mit einzelnen Schocks hat nur begrenzte Auswirkungen auf die Risikopräferenzen der Landwirte. Die Erfahrung mit Frost- und Schädlingsschäden führt jedoch dazu, dass die Landwirte eher risikotoleranter werden. Das heisst, dass sie nach Erfahrungen eines grossen Schocks bereit sind mehr Risiken einzugehen.
Zusammenfassend zeigen unsere Ergebnisse also, dass die Risikopräferenzen der Landwirte bei weitem nicht so stabil sind, wie es üblicherweise angenommen wird. Sowohl Erhebungsmethoden als auch Veränderungen über die Zeit sind dabei relevant. Dies stellt eine Herausforderung für die Verwendung von Risikopräferenzen in wirtschaftlichen und politischen Analysen dar. Erstens können sich die Risikopräferenzen der Landwirte im Laufe der Zeit drastisch und schnell ändern. Äussere Einflüsse (z. B. Wetter- und Marktschocks, politische Veränderungen) können dazu führen, dass risikoscheue Landwirte weniger risikoscheu oder sogar risikofreudiger werden und umgekehrt. Politische Massnahmen, die darauf beruhen, dass Landwirte risikoscheu sind, wie z. B. die Unterstützung von Versicherungen, können daher schnell ineffizient werden und nicht mehr wirksam sein. Zweitens sollten sich politische Massnahmen nicht auf Risikopräferenzen stützen, die aus einer einzigen Erhebungsmethode abgeleitet wurden. Dies gilt für verhaltensbasierte Erhebungsmethoden (wie Lotterien) im Vergleich zu selbstberichteten Erhebungsmethoden. Im Gegensatz dazu sollte das Ausmass, in dem eine Methode und die ihr zugrunde liegende psychologische Eigenschaft das Verhalten vorhersagen kann, in der politischen Analyse grössere Aufmerksamkeit geschenkt werden.
*Robert Finger., David Wuepper, Chloe McCallum sind an der ETH Zürich. Kontakt: rofinger@ethz.ch
** siehe Knapp et al., 2021a, 2021b, Wuepper et al., 2021 für weitere Anwendungen). Die Daten sind frei zugänglich, siehe Knapp et al. (2019) für eine weitere Dokumentation von Details zu den Erhebungen.
Referenzen
Bozzola, M., Finger, R. (2021). Stability of risk attitude, agricultural policies and production shocks: evidence from Italy. European Review of Agricultural Economics 48 (3): 477–501 >>
Dalhaus, T., Schlenker, W., Blanke, M., Bravin, E., Finger, R. (2020). The Effects of Extreme Weather on Apple Quality. Scientific Reports 10: 7919 https://doi.org/10.1038/s41598-020-64806-7
Finger, R., Wuepper, D. McCallum, C. (2022). The (in)stability of farmer risk preferences. Journal of Agricultural Economics. In Press https://doi.org/10.1111/1477-9552.12496
Iyer, P., Bozzola, M., Hirsch, S., Meraner, M., Finger, R. (2020) Measuring Farmer Risk Preferences in Europe: A Systematic Review. Journal of Agricultural Economics. 71(1): 3-26 >>
Knapp, L., Dalhaus, T., Wüpper, D., Finger, R. (2021). Revisiting the diversification and insurance relationship: Differences between on- and off-farm strategies. Climate Risk Management 32, 100315 >>
Knapp, L., Wuepper, D., Finger, R. (2021). Preferences, personality, aspirations, and farmer behavior. Agricultural Economics 52(6): 901-913 >>
Knapp, L., Mazzi, D., Finger, R. (2021). The economic impact of Drosophila suzukii: perceived costs and revenue losses of Swiss cherry, plum and grape growers. Pest Management Science 77: 978–1000 >>
Knapp, L., Bravin, E., Finger, R. (2019). Data on Swiss Fruit and wine growers‘ management strategies against D. suzukii, risk preference and perception. Data in Brief 24, 103920 >>