Es werden zunehmend pestizidfreie, aber nicht biologische Produktionssysteme in staatlichen und privaten Programmen in Europa eingeführt. Eine zentrale Herausforderung besteht jedoch darin, zu definieren, was „pestizidfrei“ genau umfasst und bedeutet. Eine neue Studie gibt Einblicke in die Definition und Regulierung von pestizidfreien Anbausystemen und analysiert vier staatliche und private Programme (in Frankreich, Deutschland und der Schweiz). Die Analyse zeigt mehrere semantische und regulatorische Unschärfen und eine potenzielle Verwirrung rund um den Begriff der pestizidfreien Produktion auf, d.h. es ist keineswegs glasklar, was pestizidfreie Produktionssysteme genau sind.
Pflanzenschutz ist von entscheidender Bedeutung für die Ernährungssicherheit und eine ökonomisch tragfähige Landwirtschaft. Allerdings beruht Pflanzenschutz momentan oft noch stark auf den Einsatz von Pflanzenschutzmittel, die negativen Auswirkungen auf die Umwelt und menschliche Gesundheit haben (Möhring et al. 2020). Die Verringerung des Risikos des Pflanzenschutzmitteleinsatzes ist daher ein Ziel der Agrarpolitik, insbesondere in Europa. Die Schweiz will, zum Beispiel, bis 2027 das Risiko des Pflanzenschutzmitteleinsatzes um 50% reduzieren (Finger 2021). Zudem wünschen Verbraucher zunehmend eine Verringerung der Gesundheits- und Umweltrisiken des Pflanzenschutzmitteleinsatzes, was Initiativen auf Branchenebene auslöst (z. B. Grebitus und Van Loo, 2022, Möhring und Finger 2022).
Es gibt mehrere Wege, um ehrgeizige Ziele in der Pflanzenschutzmittelpolitik zu erreichen, z. B. durch angepasste Produktionsverfahren, den Einsatz neuer Technologien, aber auch durch die Umgestaltung des gesamten Ernährungssystems. Auf der Ebene der landwirtschaftlichen Produktion sind Ansätze wie integrierter Pflanzenschutz, agrarökologischer Pflanzenschutz und ökologischer Landbau zentral (z.B. Möhring et al. 2020, Ewert et al. 2023). In der europäischen Landwirtschaft beobachten wir zudem das Aufkommen eines weiteren, neuartigen Ansatzes: pestizidfreie, aber nicht biologische Produktion. Es handelt sich dabei um ein Produktionssystem, das zwischen konventioneller und biologischer Produktion liegt. Genauer gesagt, teilt sie mit dem Biolandbau oft den Grundsatz des Verzichts auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel, stellt aber keine anderen Anforderungen, wie z.B. den Einsatz von Mineraldünger (Jacquet et al., 2022). Die pestizidfreie Produktion hat somit eine klare Botschaft, nämlich „keine Pestizide“, an Landwirte, Verbraucher und politische Entscheidungsträger, hat aber niedrigere Hürden für die Einführung als der Biolandbau. Bislang wurden pestizidfreie Produktionssysteme vor allem in der akademischen Forschung behandelt, z.B. in konzeptionellen Analysen und experimentellen Untersuchungen (z.B. Jacquet et al. 2022, Pergner und Lippert, 2023, Saile et al. 2023 , Zimmermann et al. 2021).
In jüngster Zeit wurden pestizidfreie, aber nicht biologische Produktionssysteme zudem vermehrt in öffentlichen und privaten Programmen in Europa eingeführt. Deutschland und die Schweiz haben beispielsweise staatliche Agrarumweltprogramme mit freiwilliger Beteiligung von LandwirtInnen eingeführt (z. B. Mack et al. 2023, Runge et al. 2022). Ausserdem beginnen nachgelagerte Akteure, Preisaufschläge für pestizidfreie Produkte zu zahlen (z. B. Koch et al. 2023, Möhring und Finger 2022). In diesem Sinne entstehen auch pestizidfreie Labels, z.B. für Tomaten in Frankreich (Arcadia, 2023, Raynaud et al. 2009). Möglicherweise werden in den kommenden Jahren weitere dieser öffentlichen und privaten Programme folgen. So stellten Mora et al. (2023) fest, dass in der europäischen Landwirtschaft „…several chemical pesticide-free cropping systems are possible“. Die pestizidfreie Produktion wird somit zu einem integralen Bestandteil der europäischen Landwirtschaft werden.
Eine zentrale Herausforderung besteht jedoch darin, zu definieren, was ‘pestizidfrei’ genau umfasst und bedeutet. Da die pestizidfreie Produktion noch kein etabliertes und geregeltes Konzept (wie z.B. der Biolandbau) ist, werden solche Definitionen derzeit von der Industrie und den politischen Entscheidungsträgern in verschiedenen Ländern festgelegt. Wie sich die Definitionen in der Praxis auswirken, ist jedoch noch nicht dokumentiert.
In einem in der Fachzeitschrift Agricultural Systems erschienenen Studie (Finger 2024) wurden erste Einblicke in und kritische Überlegungen zu der Definition von pestizidfreien Anbausystemen in realen öffentlichen und privaten Programmen gegeben. Die Studie nutzt vier Beispiele pestizidfreier Produktion in der europäischen Landwirtschaft und gibt einen kohärenten Überblick darüber, wie diese einzelnen öffentlichen und privaten Programme pestizidfrei definieren, diskutiert die verwendeten Definitionen und zieht Schlussfolgerungen für Politik und Industrie.
Vier Fallstudien über pestizidfreie, aber nicht biologische Produktion
Die vier Fallstudien für pestizidfreie, aber nicht biologische Produktion sind i) ein staatliches Agrarumweltprogramm in der Schweiz, ii) ein staatliches Agrarumweltprogramm in Deutschland, iii) ein privates Programm von IP Suisse in der Schweiz und iv) ein privates Programm von „l’alliance nature et saveurs“ in Frankreich. Diese Fallstudien werden in Tabelle 1 kurz vorgestellt (siehe Finger 2024 für mehr Details).
Tabelle 1. Vier Fallstudien zum pestizidfreien, aber nicht ökologischen Pflanzenbau in Europa

Abbildung 1. Beispiel für die Kennzeichnung pestizidfreier Produktion unter dem label „cultivées sans pesticides“ (l’alliance nature et saveurs, Frankreich)

Beispiel für das Label „cultivées sans pesticides“ für Tomaten der französischen Genossenschaft Saveol im Programm von „l’alliance nature et saveurs“ in Frankreich
Definition von pestizidfreien Produktionssystemen
Um zu beschreiben, welche Definitionen und Ansätze in der realen Welt in Programmen zur pestizidfreien Produktion verwendet werden, adressieren wir sechs Fragen. Für jede Fallstudie haben wir die verfügbare Literatur und das Hintergrundmaterial verwendet (siehe Tabelle 1 für die wichtigsten Referenzen), um diese Fragen zu beantworten (es bezieht sich auf die im Jahr 2023 verwendeten Bestimmungen).
1) Wie werden Pestizide in der pestizidfreien Produktion definiert?
In allen Fallstudien bezieht sich „pestizidfrei“ in erster Linie auf den Verzicht auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel. Produkte, die im ökologischen Landbau verwendet werden dürfen, sind in den überprüften pestizidfreien Produktionsprogrammen in der Regel nicht eingeschränkt.
2) Welche Teile des Anbauphase sind geregelt?
Abbildung 2 zeigt eine stilisierte Darstellung der Anbauphasen, beginnend mit i) der Ernte der vorherigen Kultur, ii) der Nacherntephase, die z. B. die Vorbereitung des Saatbetts umfasst, iii) der Aussaat der pestizidfreien Kultur, iv) dem Wachstum der Kultur und v) der Ernte der pestizidfreien Kultur.
Wir unterscheiden drei verschiedene Regelungen für die pestizidfreie Produktion (Abbildung 2). Bei (A) umfasst der Begriff „pestizidfrei“ den gesamten Zeitraum nach der Ernte der Vorfrucht bis zum Zeitpunkt nach der Ernte der pestizidfreien Kultur. Dies bedeutet, dass auch die Zeit vor der Aussaat, einschliesslich der Saatbettbereitung, pestizidfrei ist. Diese Praxis wird im privaten Programm von IP Suisse in der Schweiz und im staatlichen Agrarumweltprogramm der Schweiz angewendet. In (B) ist der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln erst ab einem bestimmten Zeitpunkt nach der Ernte der Vorfrucht verboten. Dies gilt für das deutsche staatliche Agrarumweltprogramm. Genauer gesagt ist für Ackerkulturen im Rahmen dieses Programms der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln vom 01. Januar bis zur Ernte oder mindestens bis zum 31. August verboten. Für Dauerkulturen gilt dieser Zeitraum vom 01. Januar bis zum 15. November. In (C) ist der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln erst zu einem Zeitpunkt nach der Aussaat verboten. Dieser Ansatz wird in dem privaten Programm von „l’alliance nature et saveurs“ in Frankreich angewandt. Hier wird der Einsatz von Pestiziden erst in der Blütephase eingestellt, insbesondere um sicherzustellen, dass sich keine Pflanzenschutzmittelrückstände auf den geernteten Produkten befinden. Ansatz (C) zielt also eher auf ein pestizidfreies Produkt (ohne Pflanzenschutzmittelrückstände auf den Produkten) und nicht auf eine pestizidfreie Produktion an sich.
Abbildung 2. Regulierung des Verzichts auf Pflanzenschutzmittel im Rahmen des Anbauprozesses für verschiedene staatliche und private Programme zur pestizidfreien Landwirtschaft.

3) Welche weiteren Ausnahmen für den Einsatz von Pestiziden sind zulässig?
Neben den oben dargestellten zeitlichen Aspekten gibt es verschiedene Ausnahmen beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Dazu gehört zum Beispiel die Saatgutbeizung. Im Rahmen des staatlichen Agrarumweltprogramms in der Schweiz ist die chemisch-synthetische Saatgutbeizung erlaubt. Im Gegensatz dazu ist die chemisch-synthetische Saatgutbeizung im staatlichen Agrarumweltprogramm in Deutschland und im privaten Programm von IP Suisse in der Schweiz nicht erlaubt. Als Ersatz für die chemisch-synthetische Saatgutbeschichtung wird das Saatgut in der Regel mit thermischen Verfahren oder biologischen Produkten behandelt.
Im Rahmen des staatlichen Agrarumweltprogramms der Schweiz gibt es weitere Ausnahmen für den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Konkret dürfen Landwirte Folgendes tun: i) Einzelstockbehandlungen, d.h. punktuelle Herbizidbehandlung, ii) Bandbehandlung von Herbiziden auf weniger als 50 % des Feldes, iii) bei Zuckerrüben können Herbizide eingesetzt werden, bis die Pflanzen das 4-Blatt-Stadium erreicht haben, iv) Einsatz von Herbiziden zur Abtötung von Kartoffelpflanzen, v) Fungizidbehandlungen gegen Kraut und Knollenfäule sind bei Kartoffeln erlaubt.
Das private Programm von IP Suisse in der Schweiz lässt diese Ausnahmen, die im Rahmen des staatlichen Agrarumweltprogramms gewährt werden, nicht zu. Landwirte, die am privaten Programm von IP Suisse teilnehmen, können jedoch eine Ausnahmegenehmigung für den Herbizideinsatz beantragen, wenn sie Direktsaat oder Mulchsaat anwenden oder Problemunkräuter vor der Aussaat bekämpfen müssen. Diese Ausnahme wird jedoch im Rahmen des staatlichen Agrarumweltprogramms der Schweiz nicht gewährt.
Im deutschen staatlichen Agrarumweltprogramm können risikoarme Wirkstoffe eingesetzt werden (BMEL 2023, S.87). Viele, aber nicht alle dieser risikoarmen Wirkstoffe dürfen im ökologischen Landbau eingesetzt werden, stellen aber geringe Risiken für die menschliche Gesundheit und die Umwelt dar (siehe Robin und Marchand 2022 für einen Überblick).
4) Was ist der Umfang der pestizidfreien Produktion?
Der notwendige Umfangdes Verzichts auf Pflanzenschutzmittel kann von einer einzelnen Parzelle über eine ganze Kultur (d. h. alle Parzellen einer Kultur in einem Betrieb) bis hin zum pestizidfreien Betrieb reichen. In den untersuchten öffentlichen und privaten Programmen ist dieser Umfang sehr unterschiedlich. Das deutsche staatliche Agrarumweltprogramm verwendet die Parzellenebene als kleinste Einheit für die Anmeldung, d.h. Landwirte können ein einzelnes Feld für die pestizidfreie Produktion anmelden. Das schweizerische staatliche Agrarumweltprogramm ist kulturspezifisch, d.h. die Landwirte müssen die gesamte Anbaufläche einer Kultur (z.B. Weizen) in einem bestimmten Jahr anmelden. Bei dem privaten Programm von IP Suisse können die Landwirte nur Teile einer Kultur anmelden, aber eine bestimmte Art der Nutzung der Kultur muss insgesamt pestizidfrei sein. So können die Landwirte zum Beispiel pestizidfreien Brotweizen anbauen, aber Futterweizen kann im selben Jahr auf demselben Betrieb mit Pflanzenschutzmitteln produziert werden. Es gibt kein Programm, das die Landwirte verpflichtet, ihren gesamten Betrieb auf pestizidfreie Produktion umzustellen.
5) Wie flexibel sind die Landwirte beim Ausstieg aus dem Programm?
In den hier untersuchten Beispielen können die Landwirte in der Regel problemlos innerhalb der Vegetationsperiode aus der pestizidfreien Produktion aussteigen, z. B. wenn die Kulturen nur noch mit chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln geschützt werden können. Im Rahmen der schweizerischen und deutschen staatlichen Agrarumweltprogramme können die Landwirte beispielsweise während der Vegetationsperiode aussteigen, erhalten dann aber keine Zahlungen. Dieser Ausstieg muss jedoch vor oder direkt bei einer Kontrolle erfolgen. Auch im privaten Programm von IP Suisse sowie im französischen privaten Programm von ‚l’alliance nature et saveurs‘ können die Landwirte während der Anbausaison aussteigen.
6) Wie lange gilt die Verpflichtung zur pestizidfreien Produktion?
Bei den überprüften staatlichen und privaten Programmen gilt die Verpflichtung nur für eine Anbausaison. Es gibt keine mehrjährigen Verpflichtungen.
Diskussion
Die hier vorgestellten vier Fallstudien geben wichtige Einblicke in die aktuelle Praxis der pestizidfreien Produktion.
Erstens ist in allen Fallstudien der Einsatz einiger chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel zwischen der Ernte der Vorfrucht und der Ernte der „pestizidfreien“ Kultur noch erlaubt. Dafür gibt es zwei Hauptgründe: i) der Einsatz von Pestiziden in einigen Teilen der Vegetationsperiode ist im Allgemeinen in manchen Fallstudien nicht geregelt (Abbildung 2); ii) es gibt zusätzliche spezifische Ausnahmen für den Einsatz chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel. Diese Ausnahmen umfassen beispielsweise die Verwendung von Saatgutbeize, die gezielte Anwendung von Herbiziden und weitere Ausnahmen für den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln bei bestimmten Kulturen. Solche Ausnahmen werden in der Regel eingeführt, um die Hürden für die Einführung zu senken und so die Attraktivität für die Landwirte zu erhöhen. Sie bedeuten jedoch auch, dass in den hier untersuchten Fallstudien die Definition der „pestizidfreien“ Produktion zu einem unscharfen Konzept wird. Dies steht im Gegensatz zur Regelung des Pestizideinsatzes im Biolandbau, für den es feste und klare Vorschriften ohne Ausnahmen gibt.
Zweitens unterscheiden sich die Anforderungen an eine pestizidfreie Produktion im Rahmen staatlicher Agrarumweltprogramme von Land zu Land. Wenn diese Programme die Grundlage für Kennzeichnungen bilden und solche Produkte zwischen den Ländern gehandelt werden, können inkohärente Standards zu einem Problem werden.
Drittens unterscheiden sich die Anforderungen an eine pestizidfreie Produktion zwischen staatlichen und privaten Programmen. In der Schweiz umfasst dies beispielsweise die Ausnahmen für den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln sowie den notwendigen Rahmen der Einführung einer pestizidfreien Produktion. So können Landwirte, die das staatliche Programm erfüllen, nicht per se für das private Programm in Frage kommen (und sogar andersherum).
Viertens bezieht sich die Verwendung des Etiketts „pestizidfrei“ wie im privaten Programm von „l’alliance nature et saveurs“ in Frankreich eher auf ein rückstandfreies Endprodukt, aber nicht unbedingt auf eine pestizidfreie Produktion, d.h. chemisch-synthetische Pestizide sind erst nach der Blüte verboten. Diese Mehrdeutigkeit des Begriffs „pestizidfrei in der Produktion“ im Gegensatz zu „pestizidfreies Endprodukt“ kann zu Unstimmigkeiten und Verwirrung führen, vor allem, wenn in Zukunft weitere Kennzeichnungen eingeführt werden.
Fünftens konzentrieren sich die hier vorgestellten Fallstudien auf die Ebene des landwirtschaftlichen Betriebs, d.h. der Schwerpunkt endet mit der Ernte der Kulturpflanzen. Die pestizidfreie Produktion kann jedoch auch auf den Einsatz von Pflanzenschutz nach der Ernte (z.B. zur besseren Lagerung) ausgedehnt werden. Dies ist insbesondere dann relevant, wenn die Produkte entsprechend gekennzeichnet sind.
Empfehlungen für Politik und Industrie
Programme zur pestizidfreien Produktion können eine sinnvolle und praktikable Ergänzung der europäischen Agrar- und Lebensmittelsysteme sein. Unsere Analyse zeigt jedoch, dass der Begriff „pestizidfreier Anbau“ semantische und regulatorische Unstimmigkeiten und potenzielle Verwirrung mit sich bringt. Auf dieser Grundlage formulieren wir acht Empfehlungen für Politik und Industrie.
1) Keine Ausnahmen für den Pestizideinsatz. Pestizidfrei soll halten, was es verspricht. Die Gewährung von diversen Ausnahmen impliziert, dass es sich bei solchen Programmen oft „nur“ um Programme zur Verringerung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes handelt, nicht aber um streng ‘pestizidfreie’ Programme. Programme zur Verringerung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes können zwar sehr sinnvoll sein, um die Risiken des Pflanzenschutzmitteleinsatzes effektiv und effizient zu verringern, sie sollten jedoch einen anderen Namen und ein anderes Label tragen als pestizidfrei. Um also klarzustellen, dass alle Produktionsschritte pestizidfrei sind, sollten alle Ausnahmen gestrichen werden und der Zeitraum nach der Ernte der Vorfrucht bis zur Ernte der pestizidfreien Kultur verwendet werden (Option A in Abbildung 2).
2) Nutzung der Flexibilität der Landwirte beim Ausstieg. Die hier vorgestellten Fallstudien ermöglichen es den Landwirten bereits, sich während der Anbausaison flexibel gegen eine pestizidfreie Produktion zu entscheiden. Wenn die Landwirte sich dagegen entscheiden, erhalten sie weder Zahlungen noch wird das Produkt als pestizidfrei gekennzeichnet. Die Nutzung dieser Art von Flexibilität und die Erleichterung des Ausstiegs aus der pestizidfreien Produktion kann den Landwirten die Umstellung auf eine pestizidfreie Produktion erleichtern
3) Klare Unterscheidung zwischen „pestizidfreier Produktion“ und „pestizidarmer Produktion“. Staatliche und private Programme und Kennzeichnungen müssen sehr deutlich zwischen „pestizidfreier Produktion“ und „pestizidarmer Produktion“ unterscheiden.
4) Klare Unterscheidung zwischen „pestizidfreier Produktion“ und „pestizidfreien Produkten“. Die pestizidfreie Erzeugung umfasst den gesamten Produktionszyklus (Option A in Abbildung 2). Im Gegensatz dazu sind Ansätze, die darauf abzielen, jegliche Pflanzenschutzmittelrückstände auf dem Endprodukt zu vermeiden (z.B. Option C in Abbildung 2), stattdessen als Produkte ohne Pflanzenschutzmittelrückstände oder pestizidfreie Produkte anzugeben und zu kennzeichnen.
5) Harmonisierung der Definitionen. Die Verwendung des Begriffs „pestizidfrei“ und die zugrundeliegenden Praktiken müssen klarer geregelt und harmonisiert werden, sowohl innerhalb eines Landes als auch länderübergreifend sowie zwischen staatlichen und privaten Programmen. Eine solche Harmonisierung ist auf nationaler Ebene erforderlich, um sicherzustellen, dass Landwirte staatliche und private Programme einhalten können. Die Harmonisierung auf internationaler Ebene ermöglicht, dass gekennzeichnete Produkte länderübergreifend gehandelt werden können. Für die Regulierung könnte ein ähnlicher Ansatz wie für biologische Erzeugnisse erforderlich sein.
6) Ausschluss schädlicher nicht-chemisch synthetischer Pestizide. Zusätzlich zum Verbot chemisch-synthetischer Pestizide sollten auch Pestizide mit hohem Risiko für die Umwelt oder die menschliche Gesundheit, die derzeit im ökologischen Landbau noch zugelassen sind, wie z. B. Kupfer, von der pestizidfreien Produktion ausgeschlossen werden. Das würde bedeuten, dass bei der pestizidfreien Produktion der Einsatz aller schädlichen Pflanzenschutzmittel vermieden wird, unabhängig davon, ob es sich um chemisch-synthetische Mittel handelt oder nicht. Dieser Ansatz würde den politischen Zielen entsprechen, die Risiken des Pflanzenschutzmitteleinsatzes zu verringern.
7) Spezifizierung des Umfangs pestizidfreie Produktion. Einige der untersuchten Programme erlauben die Einführung der pestizidfreien Produktion auf Parzellenebene, andere verlangen die Einführung der pestizidfreien Produktion für eine bestimmte Kultur auf dem gesamten Betrieb. Je kleiner die für die Teilnahme erforderlichen Einheiten sind, desto geringer sind die Einstiegshürden für die Landwirte. Eine Kernfrage ist jedoch das effektive Monitoring: Können verschiedene Pflanzenschutzstrategien für dieselbe Kultur auf verschiedenen Parzellen wirklich wirksam und effizient überwacht werden? Wenn nein, sind die Anforderungen auf Betriebsebene zu erfüllen. Wenn ja, führt die Einführung auf Parzellenebene zu grösstmöglicher Flexibilität für die Landwirte und ermöglicht, dass ein und derselbe Landwirt in verschiedenen Wertschöpfungsketten liefern kann, d. h. pestizidfreie und nicht-pestizidfreie Produktion.
8) Erstellen mehrjähriger Programme. Mehrjährige Programme können die Dauerhaftigkeit und Wirksamkeit pestizidfreier Produktion erhöhen. Ausserdem können nachgelagerte Akteure dadurch die Möglichkeit erhalten, über mehrere Jahre hinweg zuverlässiger pestizidfreie Produkte zu beziehen. Solche mehrjährigen Regelungen werden in den hier untersuchten Fallstudien derzeit nicht verwendet, wohl aber in Biodiversitätsprogrammen (z. B. Elmiger et al. 2023). Während eine mehrjährige Teilnahme für alle verpflichtend sein könnte, könnte die Schaffung von Anreizen für eine mehrjährige Verpflichtung zusätzlich zu den jährlichen Programmen ein gangbarer Weg sein.
Studie: Finger, R. (2024). On the definition of pesticide-free crop production systems. Agricultural Systems 214: 103844. Open Access: https://doi.org/10.1016/j.agsy.2023.103844
Weitere Referenzen finden Sie im Originalartikel https://doi.org/10.1016/j.agsy.2023.103844
Kontakt: Robert Finger, ETH Zürich. Email: rofinger@ethz.ch