Stefan Wimmer und K Hervé Dakpo*
Die Produktion ausreichender Nahrungsmittel für eine wachsende Weltbevölkerung ist eine enorme Herausforderung für die Landwirtschaft. Gleichzeitig erfordern Umwelt- und Klimabelastungen eine Minimierung des Einsatzes von Produktionsfaktoren mit negativen Externalitäten (z.B. Land oder Pflanzenschutzmittel). Eine Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität ermöglicht es Landwirten, mit der gleichen Menge an Inputs mehr Output zu produzieren oder mit weniger Inputs die gleiche Outputmenge zu produzieren. Während die globale Landwirtschaft in den letzten Jahrzehnten große Produktivitätssteigerungen erzielte, weisen neue Ergebnisse darauf hin, dass sich das Produktivitätswachstum in den Industrieländern verlangsamt (Fuglie, 2018).
Die Bewertung und Gestaltung politischer Massnahmen, die auf eine Steigerung der Produktivität abzielen, erfordern eine verlässliche Messung der Produktivität sowie die Identifizierung der Ursachen für Produktivitätsänderungen, wie z. B. technischen Wandel oder Änderungen in der Produktionseffizienz. In einem kürzlich in der Fachzeitschrift Applied Economic Perspectives and Policy erschienenen Artikel (Wimmer and Dakpo, 2023) replizierten wir eine einflussreiche Studie von O’Donnell (2012), die mit einem innovativen Index Produktivitätsveränderungen in der US-amerikanischen Landwirtschaft im Zeitraum 1960–2004 evaluiert hat. Anschliessend stellten wir die Ergebnisse der EU-Landwirtschaft gegenüber, indem wir die gleichen Methoden auf Produktionsdaten der EU-Landwirtschaft, die auf Länderebene vom Statistischen Amt der Europäischen Union (Eurostat, 2023) veröffentlicht werden, im Zeitraum 2000–2019 anwendeten. Zur besseren Vergleichbarkeit verwendeten wir noch einen dritten Datensatz, welcher landwirtschaftliche Produktionsdaten auf globaler Ebene über einen einheitlichen Zeitraum (1960-2020) beinhaltet.
Als Kennzahl für Produktivität benutzten wir die Totale Faktorproduktivität (TFP), welche im Gegensatz zu partiellen Produktivitätskennzahlen (z.B. Produktion pro Einheit Land) alle verwendeten Inputs und alle produzierten Outputs berücksichtigt. Dem Originalartikel (O’Donnell, 2012) folgend verwendeten wir in unserer Studie ausschließlich transitive Produktivitätsindizes, welche einen konsistenten Vergleich der landwirtschaftlichen Produktivität sowohl über verschiedene Zeiträume als auch über verschiedene Orte (Bundesstaaten oder Länder) ermöglichen. O’Donnell (2012) schlägt einen TFP-Index vor, der Lowe (1823) zugeschrieben wird und Durchschnittspreise als Gewichte für die Aggregation von Outputs und Inputs verwendet werden. Da für die EU keine vergleichbaren Preisdaten vorliegen, benutzen wir einen ähnlichen Index, der anstelle beobachteter Preise sogenannte Schattenpreise verwendet, welche mittels verfügbaren Mengendaten und gewissen Annahmen über die Produktionstechnologie geschätzt werden können.
Zunächst replizierten wir die originalen Ergebnisse in O’Donnell (2012) mit den vom US-Landwirtschaftsministerium (USDA) bereitgestellten Daten über Output- und Inputmengen sowie Preisen auf Bundesstaatsebene. Die Ergebnisse zeigen, dass im betrachteten Zeitraum (1960–2004) technischer Fortschritt der Haupttreiber des landwirtschaftlichen Produktivitätswachstums in den USA war und dass die technische Effizienz höher und stabiler war als die Skalen- und Mixeffizienz. In weiteren Analysen konnten wir zeigen, dass ähnliche Schlussfolgerungen ebenso aus alternativen TFP-Indizes (A-DEA; M-SFA; Global Malmquist) hervorgehen. Wie in Tabelle 1 gezeigt, weist der in der Originalstudie dargestellte Lowe-TFP-Index jedoch auf höhere jährliche durchschnittliche TFP-Wachstumsraten hin als die übrigen in unserer Replikationsstudie berücksichtigten Indizes.

Die gleichen Methoden auf die EU-Landwirtschaft (2000–2019) angewandt, stellten wir fest, dass sowohl technischer Wandel (TFP*) als auch Effizienzveränderungen (TFPE) in den Jahren 2000 bis 2019 zu Veränderungen der TFP auf Länderebene beitrugen (siehe Abbildung unten). Wie im Fall der US-Landwirtschaft ist die technische Effizienz (OTE) hoch und stabil, während es hier Gewinne in der Skalen- und Mixeffizienz (OSME) zu verzeichnen gab. Dies ist insbesondere auf eine Anpassung des produzierten Outputmixes zurückzuführen. Insgesamt konnte die EU-Landwirtschaft nach unseren Ergebnissen ihre Produktivität jährlich um 0.92% steigern. Neben der Analyse auf EU-Ebene wertet die Studie die Entwicklung der Produktivität nicht nur auf aggregierter EU-Ebene aus, sondern auch auf Länderebene. Nach den zur Verfügung stehenden Daten und dem verwendeten A-DEA TFP-Index konnten Lettland und Belgien die größten Produktivitätsgewinne im betrachteten Zeitraum verbuchen. Belgien und Spanien waren die produktivsten Länder im Jahr 2019 und Belgien, Dänemark, Estland und Schweden waren die effizientesten Länder. Der technische Wandel variierte zwischen jährlichen Raten von -0.73% in Ländern der Mittelmeerregion (Griechenland, Italien, Malta, Portugal und Spanien) und +1% in Ländern der atlantischen Region (Belgien, Frankreich, Großbritannien, Irland und Niederlande).

Ein abschließender Vergleich mittels eines globalen Datensatzes über die Jahre 1961-2020, der ebenso von der USDA veröffentlicht wird, bestätigt, dass der Produktivitätszuwachs in der US-Landwirtschaft in den letzten Jahrzehnten höher war als in der EU-Landwirtschaft. Die gemessenen Wachstumsraten schwanken allerdings je nach verwendetem TFP-Index.
Unsere Replikationsstudie trägt zum Verständnis landwirtschaftlicher Produktivitätsänderungen bei, indem sie TFP-Änderungen in der US- und EU-Landwirtschaft mit produktionsökonomischen Methoden ermittelt und ihre Ursachen bestimmt. Damit ergänzt die Studie insbesondere die begrenzte empirische Evidenz zur Produktivitätsentwicklung in der europäischen Landwirtschaft. Durch die Replikation existierender Ergebnisse trägt unsere Studie auch zu mehr Transparenz in der agrarökonomischen Wissenschaftsdisziplin bei (siehe Finger, Grebitus und Henningsen, 2023). Sämtliche Software-Codes und Daten für die Replikation unserer Studie sind auf GitHub (https://github.com/AECP-ETHZ/Ag-Productivity-US-EU) einzusehen.
Studie (open access): Wimmer, S., & Dakpo, K. H. (2023). “Components of agricultural productivity change: Replication of US evidence and extension to the EU.” Applied Economic Perspectives and Policy. In press. https://doi.org/10.1002/aepp.13377.
*Autoren: Stefan Wimmer (ETH Zürich) und K Hervé Dakpo (ETH Zürich & INRAE). Kontakt: swimmer@ethz.ch
Foto Hintergrund: Martin Wimmer, Unterunsbach
Referenzen
Eurostat. (2023). Eurostat Database. Brussels: European Statistical Office (Eurostat). https://ec.europa.eu/eurostat/data/database.
Finger, R., Grebitus, C., & Henningsen, A. (2023). “Replications in agricultural economics.” Applied Economic Perspectives and Policy. In press. https://doi.org/10.1002/aepp.13386.
Fuglie, K. O. (2018). “Is agricultural productivity slowing?.” Global food security 17: 73–83. https://doi.org/10.1016/j.gfs.2018.05.001.
Lowe, E. J. (1824). “The present state of England in regard to agriculture, trade and finance: with a comparison of the prospects of England and France.” New York City, US: E. Bliss and E. White.
O’Donnell, C. J. (2012). “Nonparametric estimates of the components of productivity and profitability change in US agriculture.” American Journal of Agricultural Economics 94(4): 873–890. https://doi.org/10.1093/ajae/aas023.
Wimmer, S., & Dakpo, K. H. (2023). „Components of agricultural productivity change: Replication of US evidence and extension to the EU.” Applied Economic Perspectives and Policy. In press. https://doi.org/10.1002/aepp.13377.