Robert Finger*
Die Landwirtschaft steht vor grossen Herausforderungen. So steigt global die Nachfrage nach Nahrungsmitteln und anderen Ökosystemleistungen des Agrarsektors. Gleichzeitig steht das zugrunde liegende landwirtschaftliche Produktionspotenzial unter starkem Druck, beispielsweise aufgrund des Klimawandels und der Bodendegradation. Eine zunehmende Häufung von klimatischen, ökonomischen und institutionellen Schocks und Herausforderungen verringert zudem die Widerstandsfähigkeit (Resilienz) des Agrar- und Ernährungssektors. Der grosse ökologische Fussabdruck des Agrar- und Ernährungssystems muss drastisch reduziert, aber auch Tierwohl und soziale Nachhaltigkeit verbessert werden. Beim Adressieren dieser Herausforderungen entstehen potentiell verschiedene Zielkonflikte, z.B. zwischen Nahrungsmittelproduktion, Einkommen und Umweltschutz.
Gleichzeitig verändert die Digitalisierung die Land- und Ernährungswirtschaft schnell und grundlegend. So stützt sich der Agrarsektor zunehmend auf neue digitale Technologien wie Präzisionslandwirtschaft, Fernerkundung, unbemannte Luftfahrzeuge (z.B. Drohnen), datengesteuerte Anwendungen, das Internet of Things, künstliche Intelligenz, digital twins, Robotik und vieles mehr. Diese Entwicklung hat das Potenzial, Produktions- und Managemententscheidungen zu verbessern und zu transformieren und Zielkonflikte zu verringern, z. B. gleichzeitige Entwicklungen hin zu höherer Produktivität, Nachhaltigkeit, Widerstandsfähigkeit und Tierschutz zu ermöglichen. Dies kann die Produktivität steigern, den ökologischen Fussabdruck verringern und die natürlichen Ressourcen erhalten. Digitale Innovationen können einer der Schlüssel zur Entwicklung einer nachhaltigen Landwirtschaft sein (Walter et al., 2017). Optimistische Ergebnisse durch die Digitalisierung werden sich jedoch nicht von allein einstellen, da diese auch verschiedene Herausforderungen, Kosten und Risiken mit sich bringt, z.B. in wirtschaftlicher, sozialer und ethischer Hinsicht (z.B. Walter et al., 2017).
In einem in der Zeitschrift European Review of Agricultural Economics veröffentlichten Studie (Finger 2023) werden Chancen, Herausforderungen und Risiken aber auch politischen Optionen im Kontext digitaler Innovationen für nachhaltige und widerstandsfähige landwirtschaftliche Systeme untersucht.
Digitale Innovationen werden in fünf Kategorien zusammengefasst (Abbildung 1): (i) Georeferenzierungs- und Ortungstechnologien (z.B. GPS), (ii) Diagnosewerkzeuge (z.B. Sensoren, Fernerkundung), (iii) Anwendungswerkzeuge (die Nutzung der gesammelten Informationen für angepasstes Management, z.B. Precision Farming), (iv) automatisierte und autonome Prozesse, Maschinen und landwirtschaftliche Systeme (z.B. autonome Roboter) und (v) Netzwerke, Information und Kommunikation (z.B. durch Vernetzung von Maschinen, Anwendungen aber auch Akteuren). Digitale Innovationen in den Kategorien (i) und (ii) sind momentan bereits stärker verbreitet. Das volle Potential für Nachhaltigkeit und Resilienz wird jedoch erst durch die Nutzung der Technologien auch in Kategorien (iii)-(v) realisiert.
Abbildung 1. Dimensionen der Digitalisierung in der Landwirtschaft.

Digitale Innovationen und Nachhaltigkeit landwirtschaftlicher Systeme
Um zu analysieren, wie diese digitalen Innovationen zur Nachhaltigkeit beitragen können, bewerten wir verschiedene Technologien im Rahmen des Konzeptes von Effizienz, Substitution und Redesign) (Abbildung 2). Digitale Innovationen können die Effizienz der landwirtschaftlichen Systeme erhöhen. So ermöglichen beispielsweise Präzisionslandwirtschaft einen gezielteren Einsatz von Betriebsmitteln (z. B. Dünger- und Pflanzenschutzmitteleinsatz), wodurch sich sowohl die privaten variablen Kosten als auch die externen Umweltkosten verringern (Finger et al., 2019). Die Digitalisierung kann es den Landwirten auch ermöglichen, umweltschädliche Praktiken durch weniger schädliche Verfahren zu ersetzen (Substitution), z. B. Herbizide durch mechanische Verfahren mit Hilfe von Unkrautbekämpfungsrobotern. Durch Effizienz und Substitution können digitale Innovationen Vorteile für die Umwelt und Tierwohl, aber auch wirtschaftliche (z. B. Kosteneinsparungen) und soziale (z.B. Vermeidung gefährlicher Arbeitsbedingungen) Vorteile schaffen, ohne die Nahrungsmittelproduktion oder die Bereitstellung anderer Ökosystemleistungen zu verringern.
Effizienz und Substitution konzentrieren sich jedoch „nur“ auf die Bewältigung der bestehenden Probleme, während die Ursachen der Probleme bestehen bleiben. Digitale Innovationen ermöglichen es uns auch, über diese Schritte hinauszugehen und eine transformative Neugestaltung landwirtschaftlicher Systeme zu ermöglichen (Redesign). Beispielsweise können digitale Innovationen die effiziente Umgestaltung von Feldern und sogar ganzen Agrarlandschaften ermöglichen, so dass Probleme wie Schädlingsdruck und Nährstoffverluste vermieden oder völlig neue Produktionssysteme geschaffen werden können, die nur minimale externe Inputs benötigen. Ein solches Redesign erfordern in der Regel nicht nur spezifische Technologien, sondern auch Kombinationen verschiedener digitaler Innovationen, z. B. unter Verwendung von Kombinationen aus anwendungsbezogenen Tools, autonomen Prozessen und neuen Netzwerken (Abbildung 2).
Abbildung 2. Die Digitalisierung kann durch Effizienz, Substitution und Redesign zu nachhaltigeren landwirtschaftlichen Systemen beitragen.

Digitalisierung und die Resilienz landwirtschaftlicher Systeme
Die Digitalisierung bietet auch Möglichkeiten, die Widerstandsfähigkeit (Resilienz) von landwirtschaftlichen Systemen und Betrieben zu erhöhen. Resilienz wird als die Fähigkeit verstanden, mit Herausforderungen umzugehen, d.h. die Fähigkeit, die Bereitstellung der beabsichtigten Leistungen und Funktionen (z.B. Erzeugung von Nahrungsmitteln und Generierung eines guten landwirtschaftlichem Einkommens) zu gewährleisten, wenn sie Schocks und Belastungen ausgesetzt sind (Meuwissen et al., 2019). In dem Paper bewerten wir die Auswirkungen digitaler Innovationen nicht nur als kurzfristige Robustheit (z. B. kurzfristige Ertragsstabilität), sondern auch Anpassungs- und Transformationsfähigkeit umfasst (Meuwissen et al., 2019) (Abbildung 3).
Abbildung 3. Digitalisierung und widerstandsfähigere (resilientere) landwirtschaftliche Systeme im Rahmen der Robustheit, Anpassungsfähigkeit und Transformierbarkeit.

Vielfältige Risiken und Herausforderungen
Während von digitalen Innovationen verschiedene potenzielle Vorteile erwartet werden, ergeben sich mehrere Herausforderungen in wirtschaftlicher, sozialer, und ethischer Hinsicht. Zum Beispiel brauchen viele Technologien oft grosse Investitionen, die grad für kleine Betrieb oft nicht realisierbar sind. Der potenzielle Nutzen digitaler Innovationen ist zudem oft ungleich verteilt. Viele Anbausysteme, Regionen und Landwirte können die potenziellen Vorteile digitaler Innovationen derzeit nicht voll ausschöpfen. So ist die Nutzung eines grossen Spektrums digitaler Technologien momentan weitgehend auf bestimmte Betriebe und Kulturen beschränkt. Angesichts einer solchen digital divides kann eine zunehmende Betonung und Abhängigkeit von der Digitalisierung eine noch grössere Ungleichheit und Machtkonzentration bedeuten.
Digitalisierung schafft auch neue Risiken und Unsicherheiten. So kann der Einsatz von vernetzten digitalen Systemen und automatisierten, von künstlicher Intelligenz gesteuerten Entscheidungen im Agrar- und Ernährungssektor neue systemische Risiken schaffen und damit die Widerstandsfähigkeit des gesamten Sektors verringern. Darüber Entstehen neue Herausforderungen, z. B. in Bezug auf Verantwortung und Rechenschaftspflicht. Zum Beispiel, wer ist verantwortlich, wenn ein Algorithmus zu einem automatisierten Einsatz von Pflanzenschutzmitteln führt, der unangemessen (ertragsmindernd und kostensteigernd) oder sogar verboten ist (z. B. Einsatz grösserer Mengen als erlaubt): der Landwirt oder der Hard- oder Softwareanbieter? Die damit verbundenen Unsicherheiten begrenzen derzeit die Attraktivität des Einsatzes solcher Technologien.
Digitalisierung des Agrarsektors und die Agrarpolitik
Die Digitalisierung des Agrarsektors und die Agrarpolitik sind in zweierlei Hinsicht miteinander verknüpft. Erstens wie kann die Digitalisierung des Agrarsektors genutzt und gesteuert werden, um sicherzustellen, dass die politischen Ziele effizient erreicht werden. Genauer gesagt kann die Agrarpolitik proaktiv handeln, um sicherzustellen, dass die digitale Transformation der Landwirtschaft genutzt wird, um die angestrebten Ergebnisse (z.B. Produktion, Nachhaltigkeit und Resilienz) zu erreichen und gleichzeitig Fairness und Risikovermeidung zu ermöglichen (Walter et al., 2017). Zweitens wird die Digitalisierung des Agrar- und Ernährungssektors selbst Veränderungen in der Agrarpolitik mit sich bringen. So entstehen beispielsweise neue Politikfelder, wie die Regulierung autonomer Roboter, und die Digitalisierung ermöglicht grundlegend neue Politikkonzepte (Ehlers et al. 2021).
Momentan sind die digitalen Anwendungen mit dem grössten potenziellen gesellschaftlichen Nutzen oft nicht diejenigen, die sich für die Landwirte zuerst auszahlen, und werden daher oft am wenigsten angenommen. Zum Beispiel ist die Kostenersparnis durch Präzisionslandwirtschaft zwar oft vorhanden, aber grad für kleine Betrieb nicht gross genug, um Investitionen zu rechtfertigen. Der mögliche gesellschaftliche Nutzen diese Technologien, z.B. durch die Verringerung von Verlusten von Nährstoffen und Pflanzenschutzmitteln in die Umwelt sind oft weitaus höher. Diese Diskrepanz kann politische Interventionen rechtfertigen.
Die Förderung digitaler Innovationen ist jedoch kein eigenständiges politisches Ziel. Im Gegensatz dazu muss die Politik darauf abzielen, übergeordnete politische Ziele auf möglichst kosteneffiziente Weise zu erreichen. Die konkreten Potentiale digitaler Innovationen sind zudem oft sehr kontextspezifisch, d.h. nicht dieselbe Technologie ist für jeden Betrieb am besten geeignet. Darüber hinaus finden die Entwicklung und Einführung digitaler Innovationen in einem sehr dynamischen Umfeld statt. Was die effizienteste Technologie ist, kann sich schnell ändern. Der Schwerpunkt politischer Interventionen sollte daher nicht auf spezifischen digitalen Technologien und Ansätzen liegen. Vielmehr können die politischen Entscheidungsträger ein Umfeld schaffen und Anreizsysteme einrichten, die die Entwicklung und Anwendung der kosteneffizientesten Strategien zur Erreichung dieser Ziele fördern und ermöglichen, sei es durch digitale Innovationen oder durch andere Ansätze.
Um eine wirksame und kosteneffiziente Politik zu gewährleisten, schlagen wir daher vor, dass die politischen Massnahmen auf einer Kombination der folgenden Grundsätze beruhen sollten: (i) Bereitstellung einer ausreichenden Infrastruktur für die digitale Landwirtschaft, (ii) Schaffung von Rahmenbedingungen für die Datennutzung und den Datenaustausch, (iii) Förderung von Bildung und Information, (iv) Stärkung von Unterstützungsmassnahmen, die über den einzelnen Betrieb hinausgehen (z. B. Förderung von Zusammenarbeit und gemeinsamer Nutzung), sowie von wirtschaftlichen Instrumenten wie (v) Steuern auf Betriebsmittel wie Düngemittel und Pflanzenschutzmittel, (vi) stärkere Ergebnisorientierung, z. B. durch ergebnisorientierte Vergütungssysteme und (vii) als letztes Mittel, gezielte Subventionen und Direktzahlungen (Abbildung 4).
Abbildung 4. Elemente möglicher politischer Interventionen zur Unterstützung der Digitalisierung, um eine nachhaltigere und widerstandsfähigere Landwirtschaft zu ermöglichen.

Digitale Innovationen ermöglichen es zudem, grundlegend neue politische Konzepte und Ansätze zu entwickeln (Ehlers et al. 2021). Zum Beispiel kann der Einsatz digitaler Werkzeuge eine bessere räumliche Ausrichtung von Massnahmen ermöglichen. So können beispielsweise politische Massnahmen nur auf Standorte beschränkt werden, an denen Umweltprobleme festgestellt wurden (z. B. ein grosses Erosionspotenzial oder die Verschmutzung von Gewässern). Eine solche räumliche Ausrichtung bedeutet geringere Kosten sowohl für Landwirte als auch für den Staat. Darüber hinaus kann ein breites Spektrum von Sensoren die breite Anwendung ergebnisorientierter Zahlungssysteme erleichtern, d.h. die Landwirte für das Erreichen konkreter Ergebnisse, z. B. in Bezug auf die biologische Vielfalt entschädigen. Beispielsweise können digitale Technologien wie Smartphone-Apps, unbemannte Flugzeuge und Satelliten verstärkt eine bessere Erhebung von Biodiversität ermöglichen und damit Chancen für neue ergebnisorientierte politische Instrumente bieten (Elmiger et al., 2023).
Studie (open access): Finger, R. (2023). Digital Innovations for Sustainable and Resilient Agricultural Systems. European Review of Agiricultural Economics. https://doi.org/10.1093/erae/jbad021
* Robert Finger, ETH Zürich. Kontakt: rofinger@ethz.ch. Dieser Beitrag ist im Rahmen des Projektes InnoFarm (https://innofarm-projekt.org/) entstanden, dass im Forschungsprogramm «Nachhaltige Wirtschaft» (NFP 73) des Schweizerischen Nationalfonds realisiert wurde.
Referenzen
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Elmiger, N., Finger, R., Ghazoul, J. and Schaub, S., 2023. Biodiversity indicators for result-based agri-environmental schemes–Current state and future prospects. Agricultural Systems, 204, p.103538. https://doi.org/10.1016/j.agsy.2022.103538
Finger, R., Swinton, S.M., El Benni, N. and Walter, A., 2019. Precision farming at the nexus of agricultural production and the environment. Annual Review of Resource Economics, 11, pp.313-335. https://doi.org/10.1146/annurev-resource-100518-093929
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Meuwissen, M.P., Feindt, P.H., Spiegel, A., Termeer, C.J., Mathijs, E., De Mey, Y., Finger, R., Balmann, A., Wauters, E., Urquhart, J. and Vigani, M., 2019. A framework to assess the resilience of farming systems. Agricultural Systems, 176, p.102656. https://doi.org/10.1016/j.agsy.2019.102656
Walter, A., Finger, R., Huber, R. and Buchmann, N., 2017. Smart farming is key to developing sustainable agriculture. Proceedings of the National Academy of Sciences, 114(24), pp.6148-6150. https://doi.org/10.1073/pnas.1707462114